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Autokrise E-Autos, Handelskrieg, Chinaflaute: Kriegt die deutsche Autoindustrie die Kurve?

Autoschlangen am Verladehafen in Emden
Warten auf den großen Anschub: Autoschlangen am Verladehafen in Emden 
© Julian Faulhaber
Die deutsche Autoindustrie kämpft um den Anschluss: von Handelskriegen bedroht, beim Elektroauto abgehängt, in China nicht mehr Nummer eins. Ist unser Wohlstand bedroht?

Auf der Terrasse vor dem Büro von Matthias Magnor kann man sich das beste Bild von dem machen, was gerade los ist in der Autoindustrie. Unten auf dem Autoterminal der Firma BLG Logistics in Bremerhaven, deren operatives Geschäft Magnor führt, stehen Zehntausende Neuwagen in Reih und Glied. Manche direkt in der gleißenden Sonne. Manche verdeckt mit einer weißen Plane oder eingepackt wie ein Christo-Kunstwerk. Viele aber auch in den „Regalen“, fünf bis sechsstöckigen Parkhäusern, die über das Gelände verteilt sind. Wenn man ins Land schaut, sieht man aus manchen Perspektiven Autos bis zum Horizont. 

Immer mehr sind es in den letzten Jahren geworden, so viele, dass Magnor jetzt im Hinterland Flächen anmietet, um Parkraum zu schaffen. Man kann es schon auf der Herfahrt aus dem Zug sehen. Vor der Nordsee kommt das Automeer. 

Porsches und BMWs, die in die Welt hinaus sollen. Direkt daneben ankommende Autos aus China, von Herstellern wie BYD oder Great Wall, die jetzt Europa erobern sollen. Jede Woche ungefähr kommt ein neuer Frachter und spuckt Autos aus China aus. Andere verbinden Bremerhaven mit Amerika, Korea, Japan.

Fahrzeug-„Regale“ im Hafen von Bremerhaven
Fahrzeug-„Regale“ in Bremerhaven: Vor der Nordsee kommt das Automeer
© Robin Hinsch

Gründe für die immer größeren Halden gibt es viele. Mal ist es der Schiffsverkehr, der völlig durcheinandergerät. Dann wieder müssen bei angelieferten Autos auf dem Hafengelände in großem Stil nachträglich Teile in die Motorräume geschraubt werden, Teile, die in der Produktion gefehlt haben. Neuerdings stehen immer mehr E-Autos länger als bei den Verbrennern üblich, weil in Europa plötzlich Flaute herrscht. Schließlich ist Bremerhaven zum Einfallstor für die Hersteller aus China geworden, die hier Fuß fassen wollen. Während sie das versuchen, stehen sich ihre Autos an der Weser die Reifen ins Blech.

„Wir fühlen uns hier wie ein Seismograf der Autobranche“, sagt Magnor. Es ist schwerer geworden, Autos zu verkaufen, vor allem die elektrischen, die schon ein Fünftel des Umschlags ausmachen. 80.000 Autos stehen am Kai. „Bei 100.000 macht es keinen Spaß mehr“, so Magnor. „Dann müssen unsere Fahrer ständig umparken.“ 

Seit dem Wirtschaftswunder hat der Autobau in Deutschland für Wohlstand und Sicherheit gesorgt. Zuletzt trieb er 30 Jahre die Globalisierung an. Er hatte seinen Anteil daran, dass die weltweite Vernetzung hierzulande für wenig Kopfschmerzen und Protest sorgte, sondern für sprudelnde Einnahmen. Deutsche Autos fuhren voraus bei Technik, Design, Vermarktung. 

All das scheint in Gefahr. Die Deutschen trotten hinterher. Die hiesigen Manager wirken oft angespannt, verzweifelt, hilflos. „Manche haben schon in der Coronapandemie und dann nach dem Angriff auf die Ukraine gedacht, es wäre der perfekte Sturm, aber es war nur ein kleines Lüftchen“, sagt Fabian Piontek, Autoexperte der Beratungsfirma Alixpartners. „Erst jetzt entfaltet sich das ganze Unwetter.“ Investoren ergreifen die Flucht, Branchenfirmen streichen Tausende Jobs, die Gewinnmargen vieler Hersteller schrumpfen trotz aller Gegenmaßnahmen. 

Autokrise: E-Autos, Handelskrieg, Chinaflaute: Kriegt die deutsche Autoindustrie die Kurve?

Alles kommt auf einmal

Für diejenigen, die die Autos bauen und verkaufen, ist es der maximale Stress. „Dass alles auf einmal kommt, macht es schwierig“, sagt Thomas Schäfer mit nüchterner Stimme. Sich so weit die Blöße geben, dass er über sein Schicksal stöhnt, will der Automanager sichtbar nicht. Schäfer ist Chef der Marke VW und sicher mit der wichtigste, aber vielleicht auch der gepeinigste Manager des größten europäischen Autokonzerns in diesen Tagen. Schäfer steht auf dem Plateau eines Veranstaltungszentrums in Peking. Er hat hier am Vortag der großen Automesse das Showcar ID. Code enthüllt, ein Modell, mit dem er das schrumpfende Chinageschäft von VW retten will.

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