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Cum-Ex-Prozess Bad Banks

Symbolbild Cum-Ex-Skandal
Symbolbild Cum-Ex-Skandal
© IMAGO
Vor dem Landgericht Bonn endet ein historischer Prozess um Cum-Ex-Geschäfte mit Aktien. Die Angeklagten können auf Milde hoffen – sie haben dafür eine ganze Industrie ans Messer geliefert

„Je länger ich Ihnen zuhöre“, unterbricht der Vorsitzende Richter der 12. Strafkammer am Landgericht Bonn den Zeugen, „umso größere Probleme habe ich mit dem Adjektiv ‚renommiert‘. Bitte verwenden Sie den Begriff sparsamer.“ Der Zeuge, selbst Anwalt, zögert kurz, ob von einem seiner Kollegen im Saal eine Intervention kommt, ein Antrag auf ­Befangenheit etwa wäre nach so einer Bemerkung nicht ungewöhnlich, – aber nichts. Die Vertreter der Banken, die mit dem Wörtchen „renommiert“ gemeint waren, schweigen.

Es ist eine erschütternde Erkenntnis, die der erste Strafprozess gegen Aktienhändler der berüchtigten Cum-Ex-Geschäfte aufgedeckt hat – die tiefe Verstrickung von Banken in das, was heute als der größte Steuerskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte gilt. Es war ein Steuerbetrug in industriellem Maßstab, ein Milliardengeschäft, in dem Banken, Aktienhändler und ihre Helfer perfekt zusammenarbeiteten: Entweder wickelten sie die Deals im Eigengeschäft ab, um sich riesige Steuererstattungen zu holen, ohne selbst je Steuern darauf bezahlt zu haben. Oder sie halfen kräftig mit.

Das Urteil des Gerichts gegen zwei Aktienhändler, angeklagt wegen schwerer Steuerhinterziehung in 33 Fällen und versuchter schwerer Steuerhinterziehung in einem Fall, Gesamtschaden fast 447,5 Mio. Euro, wird für die nächsten Wochen erwartet. Doch Richter Zickler hat seine Einschätzung bereits deutlich gemacht: „Cum-Ex-Geschäfte in der hier angeklagten Konstellation sind strafbar.“ Was Banken und Investoren gemacht hätten, sei ein „kollektiver Griff in die Staatskasse“ gewesen.

Solche Sätze werden auf der ganzen Welt aufmerksam studiert. Denn es geht um weit mehr als zwei Angeklagte in Bonn: Das Gerichtsverfahren hat die Grundlage für eine gewaltige juristische Abrechnung gelegt, die Gerichte noch für Jahre beschäftigen wird. Geldinstitute, Fondsgesellschaften, Trader, Anwälte und Berater bildeten ein System, das die Geschäfte über Jahre betrieb, so absichtsvoll kompliziert, dass nur ganz wenige überhaupt noch durchblickten. Nach vielen Jahren der Ermittlungen wird es nun aufgearbeitet.

Ein Stellvertreterprozess

So stand auch Anne Brorhilker lange vor einem Rätsel. Zehn Jahre arbeitete die heutige Oberstaatsanwältin auf diesen Prozess in Bonn hin, zehn Jahre trug sie Puzzleteil für Puzzleteil zusammen und wusste doch lange nicht, ob es für eine Anklage reichen würde. 653 Seiten umfasst die Anklageschrift, 54 Druckseiten davon trägt sie am ersten Verhandlungstag Anfang September vor.

Der Saal ist zum Bersten gefüllt, Dutzende Schaulustige, Journalisten und Anwälte beobachten, wie die Richter den großen, einseitig verglasten und sonst holzgetäfelten Raum S.011 betreten. Nach den üblichen Formalien hat Brorhilker ihren großen Auftritt. Zweieinhalb Stunden liest sie ab, konzentriert, fast monoton, verzieht keine Miene. 34 Fälle von 2006 bis 2011 legt sie den Angeklagten Martin S. und Nick D. zur Last. Der gesamte Steuerschaden betrage 447491676 Euro und 78 Cent. Für jeden Fall aufgeschlüsselt: der Tag des Antrags auf Steuererstattung, der Bescheid und die Bank oder Kapitalgesellschaft, die das Geld einstrich. Es ist eine illustre Runde, die mit S. und D. zugange waren, die Hamburger Privatbank M.M. Warburg, die Société Générale, die Bank of New York Mellon und die Fondsgesellschaft Hansainvest.

In den Zuschauerreihen sitzen Dutzende Stenografen (die angeblich in ganz Nordrhein-Westfalen wegen des Prozesses ausgebucht sind) sowie Strafverteidiger, die Banken, Fonds und Händler auf der ganzen Welt vertreten. Brorhilkers Anklage gerät für sie zu einer Abrechnung. Anders als oft behauptet, hätten sich die Geschäfte mitnichten von selbst am Markt ergeben, sondern erforderten ein „planmäßiges und arbeitsteiliges Zusammenwirken der Beteiligten“, trägt Brorhilker vor. Auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt, sie hat die Schlacht zu diesem Zeitpunkt schon gewonnen, und sie weiß das. Das liegt nicht nur an der Akribie, mit der sie sich eingearbeitet hat, sondern auch daran, dass sie die wichtigsten Beteiligten der Deals, die Händler und ihre Berater, geknackt hat. Die Angeklagten sind zugleich ihre wichtigsten Zeugen, ebenso wie jener Anwalt, der bitte nicht mehr „renommiert“ sagen soll.

Cum-Ex war eine Industrie

Dies zeigt sich schon am nächsten Tag, als sich der Hauptangeklagte Martin S. erstmals zu seiner Aussage erhebt. S. hat einen Vortrag vorbereitet, der per Beamer an die Wand geworfen wird. Ein Kapitel: „How Profit Was Made in the Cum-Ex-Cycle“. Mit dem Laserpointer in der Hand geht der Mann, 41 Jahre alt, marineblauer Anzug, Apple Watch am Handgelenk, Phase für Phase die Geschäfte durch. Wären da nicht die schwarzen Roben, könnte dies auch ein Seminar für Masterstudenten sein.

Grob gesagt funktionierten die Geschäfte so: Kurz vor dem Tag der Hauptversammlung, dem Dividendenstichtag, kauften Cum-Ex-Investoren große Aktienpakete deutscher Konzerne, um sie bald darauf wieder zu verkaufen. Wird nun in dieser Zeit die Dividende ausgeschüttet und die darauf fällige Kapitalertragsteuer ans Finanzamt abgeführt, stellen sich ziemlich verzwickte Fragen: Wem gehört die Aktie mit (cum) Dividende, dem Käufer oder dem Verkäufer? Letzterer hat sie zwar zum Zeitpunkt der Ausschüttung schon verkauft, dem Käufer wird sie aber meist erst nach der Ausschüttung (ex Dividende) ins Depot gebucht. Und wer hat eventuell Anspruch auf eine Erstattung der Steuer? Weil die Geschäfte mit Dutzenden Stellen dazwischen, mit Händlern und Leerverkäufern angelegt waren, stellten Banken mehrfach Steuerbescheinigungen aus – mit denen sich Käufer und Verkäufer die Steuer erstatten ließen. Obwohl die Steuer nur einmal bezahlt worden war. Für die Investoren sollten die Geschäfte in wenigen Wochen bis zu 15 Prozent Rendite abwerfen – allein den deutschen Staat sollen sie bis zu 12 Mrd. Euro an Steuereinnahmen gekostet haben.

Martin S., ein in Oxford ausgebildetes Wunderkind, verstand die Mathematik der Cum-Ex-Transaktionen und sorgte dafür, dass die Gleichungen stets aufgingen. Seine Karriere begann er 2002 beim Londoner Ableger von Merrill Lynch, 23 Jahre war er alt. Fast alle seines Jahrgangs seien damals in der City gelandet, nur fünf Absolventen seien Ingenieure geworden. Die Börse sei eine schöne Aufgabe für Mathematiker, erzählt er: „Ich vergleiche es gerne mit der Planung einer Reise. Du weißt, wo du hinwillst, kennst die Optionen und Restriktionen und versuchst, als Erster ans Ziel zu kommen.“

Drei Tage lang redet S., sein Leben in zwölf Kapiteln. Es ist ein durchkomponierter Vortrag im Jargon eines Börsenhändlers. In seiner Welt ging es einzig darum, Börsendeals zu konstruieren, die „steuer-attraktiv“ sind. Mit jeder Stunde, jeder Excel-Tabelle wird das Ausmaß deutlicher, die Raffinesse klarer. Es ging nicht um übliche Geschäfte, es ging darum, den Staat auszunehmen. 2004 folgte S. seinem Chef Paul M. zur Hypovereinsbank (HVB), dort lernte er den Mitangeklagten Nick D. kennen.

D. schildert, wie ihre Geschäfte durch die Gremien der Großbank gingen: Ihre Vorgesetzten hätten immer alles genehmigt, es habe Prozesse und Ausschüsse gegeben, die die Geschäfte genau anschauten. Etwas verbergen, so sagt er, wollte dort niemand, alles sei offen zugänglich gewesen. S. beschreibt die Stimmung so: Die Maxime hieß, vermeide Steuern, wo immer es geht, und sei kreativ.

Die HVB betont, sie kooperiere seit Jahren mit den Steuerbehörden und bereite sich auf mögliche Rückforderungen vor. Zugleich geht sie gegen drei ehemalige Vorstände vor. Ansonsten will sich die Bank zum Bonner Verfahren aber nicht äußern.

Gewissensbisse hatte S. nicht: „Es wurde nie etwas versteckt. Es gab keine Black Box. Es gab nur einen extrem profitablen Schreibtisch. Zwei der vier Jahre, die wir bei der HVB waren, sagte man mir, dass wir der profitabelste Tisch auf dem Parkett der Aktienderivate seien.“

Vier Jahre nach dem Start bei der HVB gründete S. mit seinem Chef die Firma Ballance, die Banken und Investoren bei Cum-Ex-Geschäften unterstützte. Wenig später stieß auch D. dazu. Das „Cum-Ex-Eco-System“, dessen Teil S. und D. waren, umfasste Investoren, Broker, Käufer, Verkäufer, Kreditgeber, Depotbanken und Clearstream, die Tochter der Deutschen Börse, als Wertpapierabwickler – „eine ganze Indus­trie, die Hand in Hand arbeitet, wo jedes Rädchen ineinandergriff“, sagt S. Vor den entscheidenden Tagen ging er nachts noch mal alles durch: War alles bedacht, wusste jeder, was er zu tun hatte? Schon die Grundstruktur eines Cum-Ex-Deals ist kompliziert, mit Kaskaden von Leer-, Absicherungs- und Kreditgeschäften. Ein falscher Knopfdruck, und Millionen wären womöglich dahin gewesen.

Die Geschäfte waren damit, anders als von vielen Bankern und Beratern lange behauptet, nichts, was sich einfach durch Angebot und Nachfrage am Markt ergab. „Ohne die doppelte Steuererstattung wären die Geschäfte sinnlos gewesen“, gibt S. zu. Bedauern? Ja, aus der Perspektive von heute. Er habe nun mehr Lebenserfahrung, sagt S. Niemals habe er erwartet, strafrechtlich belangt zu werden. „Mit dem Wissen von heute würde ich mich nicht an der Cum-Ex-Industrie beteiligt haben“, sagt er.

Ziel: Den Fiskus ausnehmen

Ende Oktober, am zehnten Verhandlungstag, kommt es zum nächsten denkwürdigen Auftritt vor Gericht. Flankiert von zwei Verteidigern tritt an diesem Tag der offizielle Kronzeuge der Anklage auf, einer der Männer, die sich all die Finessen und Stellschrauben der Deals ausgedacht haben. In den Medien tritt der Anwalt nur unter Pseudonym auf und will Benjamin Frey genannt werden, um sich ein unbelastetes Leben aufzubauen. Sein Bart ist leicht ergraut, eine Stelle auf dem Kopf fast kahl – man sieht, dass die letzten Jahre nicht immer leicht gewesen sein müssen.

Frey war Partner jener kleinen Steuerkanzlei, die rund um den Globus für die Geschäfte stand. Ihr Gründer Hanno Berger lebt seit 2012 im Schweizer Exil, beteuert dort seine Unschuld und glaubt an eine Gesetzeslücke im deutschen Steuerrecht. Als Zeuge wollte er nicht in Bonn aussagen. Frey hingegen muss die Angst zerfressen haben – oder er erkannte für sich die Chance, die ihm eine Kooperation mit den Ermittlern bieten würde. Jedenfalls fuhr er Ende 2016 von Zürich nach Düsseldorf und stellte sich den Behörden. Holprig waren seine ersten Gespräche mit Staatsanwältin Brorhilker, ein „Auf und Ab“, wie der Richter später sagen wird. Doch in den folgenden Monaten und Jahren half Frey den Ermittlern, viele Puzzleteile zusammenzusetzen. Er habe „die Hosen runtergelassen“, sagt Frey selbst. Die Rolle des Geläuterten gefällt ihm.

Lange Zeit schien das unmöglich. Frey kämpfte mit Berger, dem „König der Steuerberatungsindustrie“, wie er ihn nennt, 1,90 Meter groß und eine „rhetorische Wucht“. Dass es darum ging, den Fiskus auszunehmen? War klar, sagt Frey vor Gericht – und wenn jemand kritisch nachfragte, ob das denn alles so rechtens sei, habe Berger stets eine Antwort parat gehabt: „Wer ein Problem damit hat, dass wegen unserer Arbeit weniger Kindergärten gebaut werden: Hier ist die Tür.“

Frey schildert einen Termin mit den wichtigsten Managern der Hamburger Privatbank M.M. Warburg. „Herr Berger hat damals sehr deutlich gesagt, was wir machen können: Cum-Ex in großem Umfang“, sagt der Kronzeuge. Die Gesprächspartner hätten gewusst, was das bedeutete. Die Bank bestreitet das Treffen nicht, will sich aber ansonsten nicht zu dem Prozess äußern.

Ein oder zwei Banken aber reichten nicht. Für Cum-Ex-Deals brauchten Frey und Berger viele Institute in wechselnden Rollen. Solche, die Aktien in den Kreislauf warfen, einen Leerverkäufer, einen Käufer, Depotbanken, Broker und sogenannte Leverage-Provider, die Geld liehen, um die Geschäfte erst so richtig aufzublasen. Zu ihnen habe auch die Deutsche Bank gehört, sagt Frey, die teils hohe dreistellige Millionensummen bereitstellte, einmal sei es gar 1 Mrd. Euro gewesen. Auch die Deutsche Bank müsse von den Geschäften gewusst haben: „Die haben sich, bevor sie die eine Milliarde in den Fonds investierten, selber beraten lassen über angesehene Kanzleien“, sagt Frey. Das Institut kommentiert das Verfahren ebenfalls nicht und betont, man habe nie aktiv Cum-Ex-Geschäfte betrieben. Allerdings, so ein Sprecher, habe man Kunden geholfen, etwa durch „Finanzierung von Wertpapiertransaktionen. Diese Finanzierungen sieht die Deutsche Bank heute auch sehr kritisch und kooperiert mit den Untersuchungen der Ermittlungsbehörden.“

Später stiegen dann auch noch reiche Investoren ein, die ihr Geld in GmbHs, Fonds und andere Vehikel steckten, die Frey und Berger entworfen hatten. Zu ihnen zählten Unternehmer, Anwälte und Fußballstars. Viele erklärten später, sie hätten von der Art der Geschäfte nichts gewusst und seien falsch beraten worden. Folgt man Frey, dann war es in einigen Fällen wirklich so.

Andere hingegen seien bestens informiert gewesen. Denn wer 50 Millionen investiere, der schaue sich das ganz genau an, erzählt Frey: „Wenn diese Investoren sich heute in die Öffentlichkeit stellen und sagen: ‚Was, das hat mit Cum-Ex zu tun?‘ – da kriege ich Bauchkrämpfe, weil das eine Lüge ist.“

Zugleich aber mussten Berger und Frey einen immer größeren Aufwand betreiben, um ihre Geschäfte weiterlaufen zu lassen. Denn ab 2009 häuften sich die Signale, dass der Gesetzgeber in Berlin das bunte Treiben der Cum-Ex-Dealer abstellen wollte. Da habe sich ein „Störgefühl“ eingestellt, sagt Frey heute. Doch statt die Sache zu beenden, hätten sie gleich nach neuen Begründungen gesucht, warum die Geschäfte dennoch legal sind. Erst recht wollten sie nicht sehen, dass sie für die Geschäfte ins Gefängnis gehen könnten. „Wir wussten, dass das unter Umständen haarig werden könnte. Aber da hat noch keiner da­ran gedacht 2009, dass man mal in dem Saal hier enden würde“, sagt Frey.

Der Staat sah zu

In all dem Tumult gibt es einen Beteiligten, ohne den all die Geschäfte nicht möglich gewesen wären und der in diesem Verfahren doch merkwürdig unbeteiligt wirkt: der Staat, vor allem seine wichtigsten Beamten und Politiker in Berlin. Bereits in den 1990er-Jahren gab es erste Hinweise, dass es ein Problem mit der doppelten Erstattung von Steuerzahlungen geben könnte. Im Jahr 2002 wandte sich gar der Bundesverband deutscher Banken an das Finanzministerium, warnte und legte zur Erläuterung der Geschäfte sogar freundlicherweise eine Zeichnung bei: So funktioniert es, und das ist das Problem. Doch es geschah lange: nichts.

In Bonn wird mit jedem Tag klarer, dass der Staat nicht nur einmal versagte, sondern mehrfach. Weil er Warnungen ignorierte; weil er schlechte, teils von Lobbyisten inspirierte Gesetze auf den Weg brachte und weil er in seinen Verwaltungsverfahren die Cum-Ex-Masche quasi per Knopfdruck zuließ.

Dazu zählte etwa das Sammelträgerverfahren, das Banken beim Bundeszentralamt für Steuern die automatische Anmeldung und Erstattung von Steuern ermöglichte. Der Clou: Die Anträge wurden gar nicht kontrolliert, räumt ein Beamter vor Gericht ein. „Wir konnten nur prüfen, ob zum Beispiel die Kontonummer stimmte.“ Ob die Erstattung gerechtfertigt war, schaute in der Behörde niemand nach. Bis 2009 war das möglich, dann erst änderten die Finanzbehörden das Verfahren.

Der Staat als argloser Tölpel, auch in der Gesetzgebung. Für das Jahressteuergesetz 2007 baten Beamte im Finanzministerium ausgerechnet die Banken und ihren Verband um Hilfe. „Und dann ist das, um das kurz zu fassen, eins zu eins, ohne dass ein Komma geändert wurde, so in das Gesetz gegossen worden“, sagt Frey aus. Die Folge: Das Gesetz verhinderte nur inländische Cum-Ex-Geschäfte. Übers Ausland liefen die Deals weiter, die Volumina wuchsen, Frey sagt: „Das Gesetz war ein Brandbeschleuniger.“ Ähnlich hilflos mutet ein BMF-Schreiben von 2009 an. Kurz war Sand im Getriebe, dann liefen die Geschäfte über neue ­Konstellationen einfach weiter – auch dank Berger, der in Berlin seine Drähte nutzte.

Das erste Mal, dass der Staat wirksam einschritt, geschah dank einer Mitarbeiterin des Bundeszen­tralamts für Steuern im März 2011. Sie zog sich aus den Hunderten Erstattungsansprüchen, die bei ihr eingingen, einen Antrag heraus – und wunderte sich: Ein US-Pensionsfonds hatte über eine komplizierte Kon­struktion in riesigem Umfang Aktien gekauft und verkauft und verlangte nun 27 Mio. Euro an Kapitalertragsteuer zurück. Als die Frau nachfragte, erhielt sie erst Ausflüchte, dann Drohungen: Bergers Kanzlei schrieb ihr, man werde sie persönlich haftbar machen, wenn sie das Geld nicht umgehend freigebe. Doch die Beamtin fragte weiter, eskalierte die Situation. Die Auszahlung wurde blockiert – und die Ermittlungen begannen.

Heute, auch das hat das Bonner Verfahren schon vor der Urteilsverkündung deutlich gemacht, steht die Aufarbeitung noch am Anfang. Kurz vor Weihnachten verhafteten Ermittler den früheren Steuerchef der wohl einflussreichsten Anwaltskanzlei der Welt, Freshfields. Mit seinen Gutachten hatte Ulf J., wie einst Berger und Frey, den Cum-Ex-Geschäften erst den Weg bereitet. Gegen eine Kaution von 4 Mio. Euro kam J. zwar wenige Tage später wieder frei, muss sich seither aber regelmäßig bei der Polizei melden. Seine Verhaftung dürfte bei vielen Beteiligten für neue Nervosität gesorgt haben – vor allem bei jenen, die bisher noch nicht behelligt worden sind.

Aktuell laufen in Deutschland Ermittlungsverfahren gegen knapp 600 Börsenhändler, Manager, Investoren, Berater und Anwälte. Nach einer Liste der Bankenaufsicht Bafin stehen 130 Banken im Verdacht, an den Geschäften beteiligt gewesen zu sein. Die nächsten Prozesse starten schon bald, diesmal in Frankfurt und Wiesbaden. Viele Beschuldigte und Zeugen sieht man dann wieder.

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