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Kolumne Ausgepresste Argentinier

Am Beispiel Argentiniens zeigt sich, dass ein neues Verfahren zur Umschuldung für Staaten benötigt wird. Von Nouriel Roubini
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Nouriel Roubini ist Chairman von Roubini Global Economics und Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University.

Wie natürliche Personen, Aktiengesellschaften und andere private Unternehmen, die sich zur Verringerung einer exzessiven Schuldenlast in ein Konkursverfahren begeben, brauchen auch Länder manchmal geordnete Umschuldungen oder Schuldenschnitte. Doch die laufende juristische Auseinandersetzung Argentiniens gegen Gläubiger, die sich einer solchen Lösung verweigern – sogenannte Holdouts – zeigt, dass das internationale System zur geordneten Umstrukturierung staatlicher Schulden wohl Schaden genommen hat.

Die Überschuldung von natürlichen Personen, Unternehmen oder Regierungen kann von Pech, schlechten Entscheidungen oder einer Mischung aus beidem herrühren. Wenn Sie eine Hypothek aufnehmen und dann Ihren Arbeitsplatz verlieren, ist das Pech. Wenn Ihre Schulden untragbar werden, weil Sie zu hohe Kredite aufgenommen haben, um ausgedehnte Urlaube zu machen oder teure Haushaltsgeräte zu kaufen, tragen Sie durch ihr Fehlverhalten die Verantwortung. Das gleiche gilt für Unternehmen: Manche haben Pech und ihre Geschäftspläne schlagen fehl, während andere überhöhte Kredite aufnehmen, um ihrer mittelprächtigen Geschäftsleitung zu hohe Gehälter zu zahlen.

Unglückliche Umstände und falsches Verhalten (d.h. ein falscher politischer Kurs) können auch bei Regierungen zu untragbaren Schuldenlasten führen. Wenn sich die Terms of Trade eines Landes (der Preis seiner Exporte) verschlechtern und es eine schwere, lang anhaltende Rezession gibt, kann die Steuerbasis schrumpfen und die Schuldenlast untragbar werden. Doch kann eine untragbare Schuldenlast auch von Krediten zur Finanzierung überhöhter Ausgaben, dem Versäumnis, ausreichende Steuern zu erheben, und anderen politischen Maßnahmen herrühren, die das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft untergraben.

Schwierige Ausbalancierung

Ist die Schuldenlast einer natürlichen Person, eines Unternehmens oder einer Regierung zu hoch, müssen Rechtssysteme geordnete Verfahren zu ihrer Rückführung auf ein eher zu bewältigendes Niveau bereitstellen (das näher am potenziellen Einkommen des Schuldners liegt). Wenn es zu einfach ist, den Zahlungsausfall zu erklären und so seine Schuldenlast zu reduzieren, resultiert das in Anreizen für die Schuldner zum Fehlverhalten. Werden eine Umschuldung und eine Reduzierung der Schulden jedoch zu schwierig, weil unglückliche Umstände zu den untragbaren Schulden geführt haben, ist das sowohl für den Schuldner schlecht als auch für seine Kreditgeber. Denn die letzteren haben mehr von einer verringerten Schuldenquote, die bedient wird, als von einem völligen Zahlungsausfall des Schuldners.

Es ist nicht leicht die richtige Balance zu finden. Rechtliche Konkursregelungen für natürliche Personen und Unternehmen, die das schaffen, haben sich über eine langen Zeitraum hinweg entwickelt.

Da für Regierungen keine offiziellen Konkursregeln existieren (obwohl Anne Krueger, frühere stellvertretende Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds, vor mehr als einem Jahrzehnt einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt hat), müssen sich Länder auf einen marktbasierten Ansatz zur Lösung exzessiver Schuldenprobleme stützen. Bei diesem Ansatz bietet das betroffene Land an, alte Schuldverschreibungen gegen neue mit niedrigerem Nennwert und/oder niedrigeren Zinszahlungen und längeren Laufzeiten einzutauschen. Wenn die meisten Anleger dieses Angebot akzeptieren, kommt es zu einer erfolgreichen Umschuldung.

Gefährliches US-Urteil

Es gibt dabei jedoch ein zentrales Problem: Während ein Konkursgericht „Holdouts“ zwingen kann, das Tauschangebot zu akzeptieren, sofern eine deutliche Mehrheit der Gläubiger dies bereits getan hat, erlaubt es der marktgestützte Ansatz Gläubigern, sich einer Einigung zu verweigern und Klage auf vollständige Bezahlung zu erheben.

Das ist der Grund, warum viele Regierungen den marktgestützten Ansatz während des letzten Jahrzehnts um einen vertraglichen Ansatz erweitert haben, der das „Holdout“-Problem durch Umschuldungsklauseln (sogenannte Collective Action Clauses oder CACs) löst, mit denen „Holdouts“ ebenfalls die von der Mehrzahl der Gläubiger akzeptieren Bedingungen aufgezwungen werden können. Diese Klauseln sind bei Staatsanleihen inzwischen Standard, fehlten jedoch in den Verträgen der von Argentinien vor dem Krisenjahr 2001 begebenen Anleihen. Obwohl 93 Prozent der Gläubiger des Landes 2005 und 2010 bei zwei Tauschangeboten neue Bedingungen für ihre Anleihen akzeptierten, verklagte eine kleine Gruppe von „Holdouts“ Argentinien in den USA. Durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA wurde ihnen nun das Recht auf vollständige Bezahlung zugesprochen.

Die Entscheidung des Gerichts ist aus zwei Gründen gefährlich:

Erstens befand das Gericht erstmals, dass ein Land diejenigen seiner Gläubiger, die eine große Reduzierung ihrer Ansprüche („Haircut“) akzeptiert haben, nicht weiter bezahlen kann, bis die „Holdouts“ vollständig bezahlt sind. Warum also sollte irgendein künftiger Gläubiger, der von einer geordneten Umschuldung profitieren würde, dafür stimmen, wenn seine Ansprüche von nur einem einzigen „Holdout“ blockiert werden können?

Zweitens kann, wenn die „Holdouts“ vollständig bezahlt werden, die Mehrzahl der Gläubiger, die einen Haircut akzeptiert hat, ebenfalls eine vollständige Bezahlung verlangen. Wenn das passiert, schießt die Schuldenlast des betreffenden Landes erneut in die Höhe und wird untragbar. Das zwingt die Regierung – in diesem Fall die argentinische, die die meisten ihrer Schulden bedient – zum neuerlichen Ausfall gegenüber allen Gläubigern.

Eine Neuregelung muss her

Der Einschluss von CACs in neue Anleiheverträge mag anderen Ländern helfen, das Holdout-Problem künftig zu vermeiden. Doch selbst CACs sind keine 100-prozentige Lösung, weil sie so konzipiert sind, dass es einer kleinen Minderheit der Gläubiger möglich ist, sich einer Einigung zu verweigern und so eine geordnete Umschuldung zu verhindern.

Daher müssen entweder Super-CACs konzipiert und eingeführt werden (obwohl es Jahre dauern wird, diese in alle neuen Anleiheverträge aufzunehmen), oder die internationale Gemeinschaft könnte überlegen, ob der Vorschlag des IWF aus dem Jahre 2002 auf ein offizielles Konkursgericht für staatliche Schuldner wiederbelebt werden soll. Es darf nicht sein, dass „Holdouts“ geordnete Umschuldungen blockieren, von denen Schuldner und Gläubiger profitieren.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2014.
 www.project-syndicate.org

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