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Gastkommentar Auf dem Weg zum dritten Schuldenschnitt

Ein erneuter Schuldenerlass darf keine Anreize für andere Krisenländer bieten. Von Kai Carstensen
Die linkspopulistische Syriza von Alexis Tsipras (M.) führt in den Umfragen
Der neue Regierungschef Alexis Tsipras will nicht länger sparen
© Getty Images
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Kai Carstensen ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kiel. Zuvor leitete er den Bereich Konjunktur und Befragungen am Ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München

Der Wahlsieg von Alexis Tsipras ist keine Überraschung. Viele haben darauf hingewiesen, dass der Versuch, die griechische Wirtschaft innerhalb der Eurozone zu sanieren, zu einer politischen Radikalisierung der Bevölkerung führen kann. Denn wer kein Licht am Ende des Tunnels mehr sieht, erliegt allzu leicht den Parolen der Populisten. Laut Tsipras sollen es nun also staatliche Mehrausgaben und ein erneuter Schuldenschnitt richten. Kann das gut gehen?

Vorab: Es war nicht die Troika, die Rezession und Arbeitslosigkeit nach Griechenland gebracht hat. Vielmehr leidet das Land an den Folgen einer Kreditblase, die massive Fehlallokationen von Arbeit und Kapital bewirkt und ein Konsumniveau der Privaten und insbesondere des Staates etabliert hatte, das durch heimische Produktion bei weitem nicht gedeckt war. Als die Blase platzte, weil die Gläubiger kalte Füße bekamen, wäre der wirtschaftliche Absturz ohne die Kredite der Troika und der EZB noch weitaus dramatischer gewesen.

Die Reformprogramme, derentwegen die Troika so in der Kritik steht, sehen lediglich Anpassungen vor, die Griechenland angesichts der Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung, der Verkrustung weiter Teile der Wirtschaft und der Überschuldung des Staates ohnehin hätte angehen müssen. Kurz: Es sind die selbst verursachten Zustände, die schwer auf der griechischen Bevölkerung lasten, nicht das europäische Diktat.

Euro-Austritt wäre sinnvoll gewesen

Dennoch ist es schwer zu ertragen, Anweisungen von außen zu bekommen. Schon allein deshalb wäre ein schneller Austritt aus der Währungsunion wohl sinnvoll gewesen. Die griechische Politik hätte umso selbständiger über Reformen entscheiden können, je weniger sie auf die Hilfe anderer angewiesen gewesen wäre. Zudem konnten die langfristig wirkenden Reformprogramme das zentrale kurzfristige Problem der griechischen Wirtschaft, die mangelnde preisliche Wettbewerbsfähigkeit, gerade nicht lösen.

Im Gegenteil wurde die notwendige Senkung von Löhnen und Preisen – die interne Abwertung – in dem Ausmaß verschleppt, in dem frisches Geld nach Griechenland floss. Das Resultat ist der vielzitierte Schrecken ohne Ende, denn die Preise begannen erst mit großer Verzögerung zu sinken. Vermutlich stünde Griechenland heute besser da, wenn es gleich aus dem Euro ausgetreten wäre und kräftig abgewertet hätte.

Die Austrittsoption besteht nach wie vor. Aber nachdem die interne Abwertung mittlerweile in Gang gekommen ist, stellt sich die Frage, ob Griechenland den verbleibenden Weg nicht besser innerhalb der Eurozone zurücklegen sollte. Dagegen sprechen sowohl ökonomische als auch politische Gründe.

Verheerendes politisches Signal

Aus ökonomischer Sicht bleibt das Problem der Verschuldung. Sinkende Löhne und Preise reflektieren eine rückläufige Schuldentragfähigkeit und machen die Schuldenlast immer unerträglicher. Die Alternative einer Abwertung durch den Wechselkurs ändert daran nichts, wenn es sich um Außenschulden handelt, aber zumindest intern wäre der reale Anstieg der Verbindlichkeiten gestoppt – und damit ein Bremsklotz beseitigt. Nach außen steht hauptsächlich der Staat in der Kreide. Das bedeutet, dass die Ausleihungen der öffentlichen Gläubiger, und folglich auch Deutschlands, auf jeden Fall im Feuer stehen. Ein dritter Schuldenschnitt (zwei Schuldenerlasse, einmal zu Lasten der privaten und einmal zu Lasten der öffentlichen Gläubiger, hat es schon gegeben) erscheint ökonomisch unumgänglich.

Aus politischer Sicht wäre ein dritter Schuldenschnitt innerhalb der Eurozone aber verheerend, insbesondere wenn er – wie von Syriza angestrebt – mit staatliche Mehrausgaben einher geht, für die erneut die internationale Gemeinschaft aufkommen müsste. Denn das würde bedeuten, dass die EU den Populisten entgegenkommt, nicht aber der früheren Regierung, die – wenn auch zähneknirschend – versucht hat Reformen umzusetzen. Welchen Schluss sollten daraus wohl die Wähler in anderen hochverschuldeten Euroländern ziehen? Zudem wäre es ein Schlag ins Gesicht derjenigen Krisenländer, die sich an die Reformprogramme halten und ihre Kredite zurückzahlen. Und nicht nur das: Es wäre ein Zeichen, dass am Ende die anderen zahlen, wenn der Schuldner nur darauf beharrt.

Die Signalwirkung ginge jedoch noch weiter. Auch Italien und Frankreich verlangen derzeit Ausnahmen vom angeblich so gehärteten Stabilitäts- und Wachstumspakt. Was unter dem genauso unseligen wie ökonomisch widersinnigen Motto „Mehr Wachstum statt mehr Sparen“ daherkommt, heißt in Wahrheit „Mehr Konsum auf Pump“, hat mit Wachstum nichts zu tun und ist genau die Strategie, die Länder wie Griechenland und Italien erst in Bedrängnis gebracht hat. Wer den Griechen nun Schulden erlässt, um ihnen mehr Konsum oder eine Ausweitung der staatlichen Beschäftigung zu ermöglichen, kann den Italienern und Franzosen eine „flexible“ Auslegung des europäischen Fiskalpakts kaum verwehren. Es ist wenig Phantasie vonnöten, um sich das Ziel dieser Entwicklung vorzustellen. Wenn nämlich erst die Verschuldung Italiens oder gar Frankreichs ins Unerträgliche gestiegen ist, greifen keine Rettungspakete mehr. Dann hilft nur noch die Druckerpresse. Gut geschmiert ist sie ja schon.

Keine falschen Anreize für die Zukunft

Aber wie soll es stattdessen weitergehen? Meine Vermutung ist, dass die EU die Kreditkonditionen weiter auf Kosten der Gläubigerländer und ihrer Steuerzahler ändert, ohne die nominale Verbindlichkeit anzutasten. Wenn die Zinsen nur genug gesenkt und der Rückzahlungstermin weit genug verschoben werden, löst sich das Problem inflationsbedingt ganz von allein, ohne dass der deutsche Finanzminister seine Abschreibungen der staunenden Öffentlichkeit und dem Bundesrechnungshof erklären muss. So ist es auch beim ersten Schuldenschnitt zu Lasten der öffentlichen Gläubiger gewesen.

Meine Empfehlung ist das nicht. Ich denke, der dritte Schuldenschnitt ist kaum zu vermeiden, aber er muss politisch unattraktiv genug sein, um keine Nachahmer zu finden. Es geht dabei nicht um Bestrafung sondern darum, falsche Anreize für die Zukunft zu vermeiden. Ein Euro-Austritt ist fast immer politisch unattraktiv, selbst wenn er, wie im Falle Griechenlands, ökonomisch durchaus Vorteile bietet.

Insofern wäre mit einem Austritt Griechenlands aus dem Euro bei teilweisem Erlass der Schulden beiden Seiten gedient: Die Eurozone macht deutlich, dass es eine rote Linie gibt. Und Griechenland kann durch Abwertung wettbewerbsfähig werden und die für den langfristigen Wohlstand unerlässlichen Reformen in Eigenregie umsetzen.

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