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Western von gestern AT&T - die Kartellleiche

Charles L. Brown
Charles L. Brown
© Ilustration: Jindrich Novotny, Foto: Getty Images
Die Wirtschaft ist voller Skandale, Fehden und Machtkämpfe. Capital erinnert an die spektakulärsten. Diesmal: die Zerschlagung von AT&T

Kurz vor Ende seiner Rede verliert Charles Brown dann doch die Fassung. Tränen steigen ihm in die Augen, mit brüchiger Stimme bringt der Chef des wertvollsten Unternehmens der Welt seinen Auftritt zu Ende. Es ist der 8. Januar 1982, und Brown verkündet vor Journalisten das Ende von AT&T, dem ältesten Telefonkonzern der Welt: knapp eine Million Mitarbeiter, über drei Millionen Aktionäre, wertvoller als Exxon, GM und Mobil zusammen.

AT&T ist nicht nur eine amerikanische Institution, sondern auch der größte Monopolist der Welt. Und daher den US-Kartellwächtern seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Schon 1913 wird das auf den Telefonerfinder Alexander Graham Bell zurückgehende Unternehmen gezwungen, sein Telegrafengeschäft abzuspalten. AT&T macht sich trotzdem überall breit, dominiert die Märkte für Orts- und Ferngespräche und für Telefonequipment, mit seinen wenigen Konkurrenten geht der Konzern nicht zimperlich um.

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In den 50er-Jahren zwingt die Regierung AT&T, sich aus angrenzenden Industrien wie der Datenverarbeitung herauszuhalten. 1974 eröffnet sie schließlich ein neues Kartellverfahren gegen den Monopolisten, das 1981 vor Gericht landet. Der Telekomgigant fährt Heerscharen von Anwälten auf, die Regierung hält dagegen. Nach zehn Monaten und 92 Zeugenvernehmungen begreift AT&T-Chairman Brown, dass es in dem Mammutverfahren für ihn nichts zu gewinnen gibt. Mit dem Justizministerium einigt er sich auf einen Deal, um einem Urteil zuvorzukommen: AT&T muss seine 22 regionalen Tochterfirmen abspalten, darf dafür aber endlich in das Geschäft mit Computern vorstoßen.

Es folgt eine gigantische Restrukturierung: Bis Anfang 1984 werden die 22 Netzbetreiber in sieben Holdings konsolidiert. Für viele Angestellte, die ihr Leben lang für „Ma Bell“ gearbeitet haben, fühlt es sich an, als ob ihre Familie auseinandergerissen wird. AT&T erholt sich von der Trennung nicht, auch das neu erschlossene EDV-Geschäft bringt dem Ex-Monopolisten kein Glück. Dagegen entwickeln sich die entstandenen „Baby Bells“ gut. Zu ihnen gehört SBC Communications: Die Firma übernimmt 2005 sogar das ehemalige Mutterunternehmen und nennt sich wieder AT&T. 2016 hatte sie angekündigt, den Medienkonzern Time Warner übernehmen zu wollen. Doch der Deal liegt auf Eis: Die Kartellwächter in Washington sperren sich.

Hauptperson

Charles L. Brown , 1921 in Richmond geboren, trat 1946 in den Dienst des Telefonkonzerns AT&T, für den schon seine Eltern gearbeitet hatten. Der gelernte Elektroingenieur verbrachte sein gesamtes Berufsleben bei „Ma Bell“. 1979 stieg er zum Chairman auf. In dieser Position musste er die Zerschlagung des Monopolisten abwickeln – ein Schritt, den er später bereute: „Das System war nicht kaputt, und es brauchte keine Reparatur.“ Brown ging 1986 in Rente und starb 2003.

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