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Geldanlage Anlegerfalle Crowdinvesting

Crowdinvesting gilt als hippe Form des Geldanlegens – zu Unrecht. Denn einer verliert fast immer: der Anleger. Von Heinz-Roger Dohms

Robert Henker, 33, rotblonde Haare, breites Grinsen, ist der neue Star unter Deutschlands Gründern. Seit seine Firma Cashboard den Seven Ventures Pitch Day gewann, eine Art Europameisterschaft für Start-ups, reißen sich die Investoren um ihn.

So stieg der größte deutsche Risikokapitalgeber Earlybird bei Cashboard ein, ebenso wie der Hamburger Onlinespiele-König Heiko Hubertz („Bigpoint“). Die unmissverständliche Botschaft: Wer sein Geld vervielfachen möchte, der setzt dieser Tage auf Robert Henker.

Eine schöne Story wäre das, hätte sie nicht einen faden Beigeschmack. Denn lange vor Earlybird, Heiko Hubertz und dem Seven Ventures Pitch Day vertrauten Hunderte Kleinanleger ihr Geld dem smarten Henker an. Im November 2012 und im April 2013 waren das insgesamt 450.000 Euro. Man sollte meinen, als Investoren der ersten Stunde hätten die Kleinanleger nun das große Los gezogen – doch weit gefehlt. Denn jetzt, wo seine Firma durchstartet, bootet Henker sie urplötzlich aus.

„Buy-out“ nennt er das und spricht von einer „Rekordrendite“. Tatsächlich ist die Rendite bescheiden – und der Begriff „Buy-out“ fragwürdig: „In Wahrheit wurden die Kleinanleger einfach vor die Tür gesetzt“, sagt Wolf Brandes von der Verbraucherzentrale Hessen. Ein in der Gründerszene gut verdrahteter Kapitalmarktrechtler meint: „Das Unternehmen hat den Investoren die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt: Fresst oder sterbt.“

Die Causa Cashboard könnte zum Präzedenzfall werden. Denn die Berliner sind nur eines von Dutzenden deutschen Start-ups, die sich seit 2011 über sogenanntes Crowdinvesting finanzieren – also mittels Hunderter Schwarminvestoren, die jungen Firmen mit ein paar Hundert oder Tausend Euro Anschubhilfe geben. Und die im Gegenzug partizipieren wollen, sollte eines der Start-ups tatsächlich groß herauskommen.

steigende Ausfallraten

Bislang gilt Crowdinvesting als hippe Form des Geldanlegens – auch weil die Firmen, die auf Plattformen wie Seedmatch oder Companisto um Investoren werben, meist eine cool klingende Geschäftsidee mitbringen. Mal geht es um einen neuartigen Lernstift für Kinder. Mal um einen ultraleichten Helikopter. Mal um „den einfachsten Server der Welt“.

Inzwischen zeigt sich, dass viele Ideen nicht nur cool sind – sondern vor allem wacklig. So verloren Schwarminvestoren allein im zweiten Quartal rund 3,5 Mio. Euro, wie die Finanzierungsberatung Barkow Consulting exklusiv für Capital errechnet hat. In nur drei Monaten wurden damit sieben Prozent aller Gelder vernichtet, die hierzulande in Crowdprojekte investiert waren. Das weckt Erinnerungen an zwei deutsche Börsensegmente, die gefeiert wurden – und bald darauf crashten: Anfang des Jahrtausends der Neue Markt. Und jüngst der Bond M, also die Börse für Mittelstandsanleihen.

Die steigenden Ausfallraten sind allerdings nicht das eigentliche Problem. Denn dass es zu Pleiten kommt, sagt Peter Barkow, „ist bis zu einem gewissen Grad Teil des Deals“. Von der Idee funktioniert die Finanzierung von Start-ups nämlich ähnlich wie Lottospielen: In den meisten Fällen verliert man. Das aber akzeptieren die Investoren in der Hoffnung, irgendwann vielleicht doch mal fünf oder gar sechs Richtige zu erwischen, also mit dabei zu sein, „wenn da draußen ein neues Facebook entsteht“, wie Barkow sagt – „oder zumindest ein kleines Facebook“. Bedenklicher als die explodierenden Ausfälle ist eine andere Entwicklung: Offensichtlich ist es möglich, die Crowdinvestoren – siehe Cashboard – mitten im Spiel auszusperren. Und zwar, um im Lottobild zu bleiben, spätestens dann, wenn die dritte richtige Kugel gezogen wurde, wenn die Sache also endlich beginnt, Spaß zu machen.

Acht Minuten und 54 Sekunden dauert der Werbefilm, mit dem sich Robert Henker Ende 2012 erstmals an die Crowd wendet. Seine Firma, die Investmentlösungen für Sparer anbietet, heißt damals noch Refined Investment. „Wir stehen für technologische Innovation und ein nachgewiesen tragfähiges Geschäftsmodell“, tönt Henker, „werde Teil unseres Teams und mache Refined Investment zu deinem Unternehmen.“

100.000 Euro in 53 Minuten

Cashboard-Gründer Robert Henker bei der Verleihung des SevenVentures Pitch Days
Cashboard-Gründer Robert Henker bei der Verleihung des SevenVentures Pitch Days
© Cashboard GmbH

Henkers Werbekampagne gerät zum Triumph. Binnen 53 Minuten hat er die 100.000 Euro beisammen, nie zuvor ist ein europäisches Schwarmprojekt in derart kurzer Zeit finanziert worden. Wenige Monate später versucht Henker erneut sein Glück – diesmal mit einem offenen Brief, den er bei Seedmatch veröffentlicht. „Liebe Crowd“, schreibt er und erklärt, dass seine Firma wider Erwarten bereits Gewinne erwirtschafte. „Vor diesem Hintergrund können wir jetzt früher als geplant internationalisieren.“ Dafür brauche er wieder Geld: 350.000 Euro. Die „liebe Crowd“ lässt sich nicht lange bitten.

Was sind das für Leute, die per Knopfdruck Tausende Euro in junge Firmen mit ungewissen Geschäftsaussichten pumpen? „Zumindest bei den höheren Beträgen sind es erfahrene Anleger – oder zumindest solche, die sich dafür halten“, sagt der Trierer Ökonomieprofessor Lars Hornuf, der seit Jahren zum Thema Crowdinvesting forscht. Mit dem typischen „Prokon-Investor“ beispielsweise sei der Schwarminvestor nicht vergleichbar. „Die Klientel, um die es hier geht, ist gebildet, hat bereits Erfahrungen mit Aktien gesammelt und sucht sich ihre Investments ohne Vermittler im Internet selbst aus – der männliche Akademiker um die 40, wenn Sie so wollen.“

Doch agieren die Anleger wirklich auf Augenhöhe mit den Start-ups? Ein Blick in die Verträge, die Start-up und Crowd miteinander schließen, lässt daran zweifeln. „Denn in denen finden sich viele Regeln, die eindeutig zum Nachteil der Anleger sind“, sagt Verbraucherschützer Brandes. Ähnlich sieht Experte Barkow die Sache: „Ein Start-up-Investment macht nur dann Sinn, wenn der Anleger auch einen fairen Anteile am Unternehmen erwirbt. Denn nur so partizipiert er auch am steigenden Firmenwert“ – was bei Companisto oder Seedmatch aber nicht der Fall ist. Dort erhalten die Anleger für ihr Geld nämlich nicht etwa Aktien – sondern komplexe Beteiligungsinstrumente wie „Partiarische Nachrangdarlehen“. Diese Papiere bergen zwar, genau wie Aktien, das Risiko des Totalverlusts, bieten allerdings nicht dieselben Chancen.

So profitiert der Schwarminvestor von den Wertzuwächsen des Start-ups nur unter sehr speziellen Bedingungen. Stattdessen muss er sich selbst im Erfolgsfall mit einer vorab festgelegten Verzinsung zufriedengeben. Ein weiterer Nachteil: Anders als vollwertige Anteilseigner beinhalten die Hybridpapiere kaum Mitspracherechte. Das erleichtert es den Firmen, die Crowd herauszudrängen, sobald die ersten professionellen Investoren kommen.

Genau so war es bei Cashboard, wo es vor einigen Wochen plötzlich hieß, dass man sich, so Henker, „zu einer strategischen Neuausrichtung“ entschlossen habe. Diese mache „signifikante Investitionen erforderlich, die in den nächsten Jahren zu deutlich negativen Ergebnissen führen“. Daher werde man „vor 2019 planmäßig nicht in der Lage sein, die Darlehen zurückzuzahlen“. Die kaum verhohlene Drohung: Wer das Buy-out-Angebot nicht annehme, müsse sich auf schwere Zeiten einstellen. „Wenn ich jemandem ein Angebot mache, dann drohe ich ihm doch nicht“, rechtfertigt sich Henker gegenüber Capital. „Es ging mir darum, dem Anleger offen zu kommunizieren, welche Alternativen er hat und was die möglichen Konsequenzen sind.“ Branchenexperten sehen das anders: „Kein Manager würde sich trauen, so mit einem professionellen Investor zu reden. Aber mit der Crowd kann man es offenbar machen“, sagt René S. Klein vom Fachportal Für-Gründer.de.

Pleite nach drei Monaten

Noch rabiater als bei Cashboard ging es bei Bloomy Days zu, einem Onlineversandhandel für Blumensträuße. Als dort wenige Monate nach der Schwarmfinanzierung eine Risikokapitalfirma einsteigen wollte, verkündete die Gründerin Franziska von Hardenberg, dass der Deal an den Ausstieg der Crowdinvestoren gekoppelt sei. Die Kleinanleger hätten also die Möglichkeit, das Buy-out-Angebot anzunehmen – oder die Pleite der Firma und damit den Totalverlust zu riskieren. Hardenberg erklärt dies damit, dass sich mit dem Einstieg der VC-Firma „Stolpersteine“ in den Verträgen mit der Crowd aufgetan hätten. Für den Investor habe dies ein Risiko dargestellt.

Als Mittler zwischen Start-up und Crowd müssten Seedmatch oder Companisto die Benachteiligung der Kleinanleger eigentlich unterbinden. Stattdessen lassen sie die Unternehmen gewähren – und maximieren so ihre eigenen Profite.

Denn je mehr Firmen vom Schwarm finanziert werden, desto höher sind die Erlöse durch Gebühren für die Portale. Ob diese Strategie nachhaltig ist? „Auf lange Sicht hingegen wäre es viel werbewirksamer, wenn es tatsächlich mal einen Exit gäbe, bei dem die Crowd ihren Einsatz verfünffacht oder verzehnfacht“, meint Finanzprofessor Hornuf. Solche Erfolge scheinen auf Basis der Musterverträge von Seedmatch oder Companisto kaum vorstellbar. Was Seedmatch-Gründer Jens-Uwe Sauer zurückweist: Die Verträge seien „unter der Prämisse entstanden, beiden Seiten gerecht zu werden“, sagt er.

Wie lange die Schwarminvestoren das ungleiche Spiel mitspielen, ist fraglich. Denn schon jetzt stehen Gewinnen von rund 500. 000 Euro Verluste von 7,7 Mio. Euro gegenüber, Tendenz stark steigend. Dabei häufen sich Fälle leichtfertiger Kapitalvernichtung. So lagen beim Münchner Start-up Vibewrite zwischen Crowdkampagne und Pleite gerade mal drei Monate. Insgesamt sind inzwischen 25 vom Schwarm finanzierte Unternehmen insolvent.

Für den Schwarminvestor, der in aller Regel nicht in eines, sondern gleich in mehrere Start-ups investiert hat, ergibt sich damit folgende Rechnung: Die vermeintliche „Rekordrendite“ bei Cashboard betrug 48,5 Prozent – über die gesamte Laufzeit. Wenn der Crowdinvestor in jedes seiner Start-ups die gleiche Summe investiert, bräuchte er also zwei „Rekordrenditen“, um auch nur eine der 25 Pleiten auszugleichen. „70 Prozent unserer Investoren haben sich für das Renditeangebot entschieden. Der Erfolg gibt uns recht“, sagt Henker. Wie hoch das Plus unter fairen Bedingungen ausgefallen wäre, wird ein Rätsel bleiben. Das ließe sich nur ermitteln, wenn man wüsste, wie viel Geld Earlybird und Co. investiert haben – und welcher Wert sich so ergibt. Dazu aber will Henker derzeit nichts sagen.

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