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Kommentar Angst vor dem großen China-Crash

China verabschiedet sich von der Rolle als globale Werkbank. Der Weg stimmt - aber der Erfolg ist fraglich. Von Horst Löchel

Die schlechten Nachrichten aus China häufen sich. Das Wachstum im ersten Quartal 2014 war mit 7,4 Prozent um 0,3 Prozent geringer als im vierten Quartal des vergangenen Jahres. Auf das Jahr hochgerechnet, würde dies auf die niedrigste Wachstumsrate seit dem Jahr 1990 hinauslaufen. Sowohl das Export- als auch das Importwachstum waren im ersten Quartal leicht negativ. In China selbst beträgt die durchschnittliche Auslastung der Produktionskapazitäten in der Industrie nur noch 75 Prozent. Aufhorchen lässt insbesondere auch, dass die Investitionen, die Kraftmaschine des chinesischen Wachstums, im ersten Quartal mit dem niedrigsten Wert seit dem Jahr 2002 gewachsen sind.

Auch die Signale aus dem Finanzsektor sind alles andere als erfreulich. Allein im ersten Quartal ist die Kreditvergabe um 560 Mrd. Renminbi – knapp 70 Mrd. Euro – und damit um neun Prozent im Jahresvergleich gefallen. Auch die Treuhandfonds, die wichtigsten Player in Chinas Schattenbanksystem, haben ihre Kreditvergabe massiv eingeschränkt; allein im März um fast 80 Prozent im Jahresvergleich – rund 12 Mrd. Euro.

Der China-Experte Horst Löchel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance & Management
Der China-Experte Horst Löchel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance & Management

Der Kreditrückgang trifft insbesondere die Bauunternehmen. Der Verkauf von Immobilien geht seit etwa einem dreiviertel Jahr deutlich zurück. Das erhöht nicht nur das Risiko von Pleiten im Bausektor, sondern schwächt auch Chinas Wachstum. Mit einem Anteil von rund 16 Prozent am Bruttoinlandsprodukt ist der Bausektor einer der wichtigsten Industriezweige Chinas. Die Schwäche des Immobiliensektors ist es auch, die darauf hindeutet, dass sich das Wachstum im zweiten Quartal weiter in Richtung sieben Prozent abschwächt.

Doppelter Strukturwandel

Wie sind diese Zahlen zu werten? Tatsächlich durchläuft Chinas Wirtschaft zurzeit einen doppelten Strukturwandel. Zum einen nähert sich die industrielle Revolution, die das Land seit seiner Öffnung durch Deng Xiaoping 1978 durchläuft, seinem Ende. Bereits heute leben mehr als 50 Prozent der chinesischen Bevölkerung in Städten. Der Strom billiger Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft in die Industrie ist bereits abgerissen. Darüber hinaus altert China, bedingt durch die Ein-Kind-Politik, schnell mit dem Effekt, dass das Arbeitskräftepotential weiter abnimmt und mit ihr die Arbeitskosten steigen.

China wird absehbar nicht mehr die Werkbank der Welt sein und sein Produktionspotential wird nur noch zwischen sieben und acht Prozent liegen. Die Zeiten von Wachstumsraten von zehn und mehr Prozent gehören endgültig der Vergangenheit an.

Darüber hinaus findet in China ein wirtschaftspolitischer Strukturwandel statt. Chinas neue Führung um Partei- und Staatschef Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang will weg von der ressourcenintensiven Industrieproduktion hin zum umweltfreundlichen Betrieb des Dienstleistungs- und Hightech-Sektors. Die nächste Stufe der Wertschöpfungskette soll erreicht werden, nicht zuletzt um höhere Einkommen als mit Billigexporten zu generieren. Qualität statt Quantität heißt die Parole. Das geht allerdings auch auf Kosten des kurzfristigen Wachstums.

Schwacher Konsum

Während beispielsweise die alte Führung um Hu Xintao und Wen Jiabao die Auswirkungen der globalen Finanzkrise auf Chinas Volkswirtschaft noch mit einem gigantischen Konjunktur- und Kreditprogramm bekämpft hat, setzt die neue Politik auf nachhaltiges und nicht mehr vom billigen Geld abhängigen Wachstum. Deswegen ist es der neuen Führung auch gar nicht unwillkommen, wenn sich die Kreditvergabe und damit das Wachstum verlangsamt. Immerhin beträgt die Verschuldungsquote des chinesischen Unternehmenssektors bereits heute 160 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Darüber hinaus soll die Abhängigkeit des chinesischen Wachstums von Exporten und Investitionen durch höheren inländischen Konsum reduziert werden. Wie schwer dieser Wandel aber sein dürfte erkennt man leicht daran, dass der Anteil des Konsums an der gesamten Wirtschaftsleistung nach wie vor unter vierzig Prozent liegt, während allein die Investitionen 50 Prozent ausmachen. Mit anderen Worten: Der Konsum muss um ein Vielfaches wachsen, um den angestrebten Rückgang von Investitionen und Export auch nur annähernd auszugleichen.

Betrachtet man den doppelten Strukturwandel etwas genauer, sind die Nachrichten aus China vielleicht gar nicht so schlecht, wie sie auf den ersten Blick aussehen. Vielmehr spiegeln sie den wirtschaftlichen Strukturwandel von der Agrar- über die Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft wider. Zum anderen sind sie Ausdruck einer neuen Wirtschaftspolitik, die Chinas Wachstum auf gesunde Füße stellen will. Dazu passt, dass Chinas neue Führung mehr Marktwirtschaft wagen will. Dem Markt soll in Zukunft eine ‘entscheidende Rolle’ bei der Allokation knapper Ressourcen zukommen.

Es ist alles andere als sicher, dass China den doppelten Strukturwandel erfolgreich bewältigen wird. Die chinesische Wirtschaftspolitik scheint jedoch wieder mal auf dem richtigen Weg zu sein.

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