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Kolumne Am Problem vorbei gedacht

Warum die Abschaffung der Abgeltungsteuer die Probleme bei der privaten Altersvorsorge nicht löst. Von Christian Kirchner
Abgeltungssteuer: 25 Prozent auf alle Kapitalerträge
Abgeltungssteuer: 25 Prozent auf alle Kapitalerträge
© Mauritius Images

Man muss schon genau lesen und nachdenken, will man verstehen, welche Idee derzeit in Berlin kursiert: Die SPD will die Abgeltungsteuer abschaffen, lautet die griffige Zeile, die seit diesem Wochenende die Runde macht. Für die Steuer sei die Grundlage entfallen, weil nun auch Länder wie Luxemburg oder die Schweiz weit enger als früher mit deutschen Steuerbehörden kooperierten.

Die Abgeltungsteuer abschaffen? Was sich vordergründig gut anhört für all jene, die von Kapitalerträgen leben (in der Summe vielleicht einige Hunderttausend Menschen) oder für das Alter sparen und vorsorgen (in der Summe eine zweistellige Millionenzahl an Menschen), hat in Wahrheit das Zeug dazu, die ungeförderte Vorsorge in Deutschland noch weiter zu ruinieren. Weil der Staat ohne drastische Verbesserung der Vorsorgebedingungen – etwa über höhere Freibeiträge oder größere Förderungen der Riester-Rente oder der betrieblichen Altersvorsorge - die private Vorsorge so noch unattraktiver macht, als sie aufgrund der Niedrigzinsen und der Gebühren der Anbieter ohnehin schon ist.

Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital
Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital

Denn natürlich wird die automatisch abgeführte Steuer von 25 Prozent zuzüglich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag auf Zinsen, Dividenden und Kursgewinne nicht ersatzlos gestrichen. Die Erträge sollen künftig schlicht mit dem persönlichen Steuersatz versteuert werden. Das wären dann für Gutverdiener 42, für Spitzenverdiener gar 45 Prozent. Und für Geringverdiener? Ändert sich nichts. Denn wer einen geringeren persönlichen Steuersatz als die Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent zahlen muss, kann sich das zuviel gezahlte Geld schon heute wieder zurückholen. Sprich: Es wird für niemanden billiger, aber für viele teurer.

Man kann – passend zur aktuellen Debatte über die ungleiche Vermögensverteilung – mit aller Berechtigung darüber streiten, ob es ungerecht ist, wenn ein mehrfacher Millionär lediglich 25 Prozent Abgeltungsteuer etwa auf seine Zinseinkünfte bezahlen muss, wenn andere Einkünfte aus Arbeit mit bis zu 45 Prozent versteuert werden müssen.

ungleichen Vorsorgeverteilung

Es gibt in Deutschland jedoch nicht nur ein Problem mit der ungleichen Vermögensverteilung, das über Steueränderungen behoben werden kann, ja vielleicht muss. Es gibt in Deutschland - erstens - ein Problem mit der Altersvorsorge, weil derzeit noch knapp drei Beitragszahler auf einen Rentner kommen, im Jahr 2040 aber nur noch eineinhalb. Und obwohl die Erkenntnis darüber inzwischen recht weit verbreitet ist, sinkt die Bereitschaft, etwas für die Altersvorsorge zu tun. Das dokumentieren Umfragen ebenso wie die stagnierende oder gar sinkende Zahl der Riester-Verträge, der Zahl der Aktionäre oder der abgeschlossenen Lebens- und Rentenversicherungen.

Und es gibt - zweitens - ein Problem mit einer ungleichen Vorsorgeverteilung, und die sieht, grob skizziert, so aus, dass Altersvorsorge dort am wenigsten praktiziert wird, wo sie am nötigsten wäre: Unter Geringverdienern, Menschen mit lückenhaften Erwerbsbiografien zum Beispiel. Weil sie es nicht besser wissen. Oder nicht besser können, weil einfach kein Geld dafür da ist.

Beides sind drängende politische Themen. Sie sind ebenso drängend wie die Frage, ob man das mit der Abgeltungsteuer geschaffene Steuerprivileg auf Kapitalerträge für Topverdiener nun wieder kassieren muss oder nicht. In jedem Fall bergen beide Themen aber eine weit größere soziale und politische Sprengkraft auf lange Sicht. Denn wer nichts für das Alter tut, weil er nicht will – oder weil er nicht kann – fällt dem Staat künftig wieder vor die Füße.

Größere Anreize für Geringverdiener

Das Grundproblem ist, dass man Bürgern in Zeiten der noch vor wenigen Jahren (und bei der Einführung der Abgeltungsteuer) undenkbar niedrigen Zinsen eigentlich die Anreize erhöhen müsste, etwas fürs Alter zu tun, wenn sie schon aufgrund der Marktgegebenheiten sinken. Nüchtern betrachtet haben Anleger derzeit die Wahl, entweder mit sicheren Anlagen eine bestenfalls schwarze Null zu verdienen oder mit riskanten vielleicht ein bis zwei Prozent pro Jahr. Mehr bleibt nicht übrig, wenn die Steuer, die Gebühren für Produktanbieter und Berater und natürlich noch die (ebenfalls mit zu versteuernde) Inflation von den Erträgen abgezogen werden. Nichts zu tun ist da rationaler, als es den Anschein erweckt.

Schafft man die Abgeltungsteuer ab und ersetzt sie einfach mit dem persönlichen Steuersatz, wird für niemanden der Anreiz zur Vorsorge erhöht. Aber für viele noch weiter gesenkt. Der Ruf nach Steuererleichterungen und höheren Anreizen mag billig klingen, im Kontext mit der Debatte um die Abgeltungsteuer ist er aber ebenso naheliegend wie einfach: Wenn der Staat Gutverdiener künftig höher belangen will, wenn es um Kapitalerträge geht, sollte er die Mehreinnahmen sinnvoll am anderen Ende der Einkommensskala einsetzen: Über höhere Sparerfreibeträge, einer noch stärkeren Förderung für Geringverdiener und eine Erhöhung der Förderung der Riester-Rente und der betrieblichen Altersvorsorge, mehr Finanzbildung, auch und gerade bei Menschen mit geringem Einkommen.

Doch wie realistisch ist das? Die Bundesregierung erweckt nicht den Eindruck, die sinkende Vorsorgebereitschaft und die drohende Altersarmut gerade bei Geringverdienern als Problem anzusehen. Anders ist nicht zu erklären, dass sie die Rentenleistungen trotz der unverkennbaren demografischen Herausforderungen ausbauen will mit der Rente mit 63.

Unter die Sparer? Dürften sich durch die Debatte in ihrer Haltung eher bestätigt sehen, im Zweifel lieber nichts zu tun. Und Geld entweder auszugeben oder ebenso zins- wie risikofrei auf Spar- und Girokonten liegen zu lassen, statt die ohnehin nur mageren Erträge auch noch mit Finanzdienstleistern und dem Fiskus zu teilen.

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