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Maximilian Butek „Nicht mehr nur auf China setzen“

Mitarbeiter mit Masken arbeiten an einem Fließband bei SAIC General Motors
Die Autoproduktion ist wieder angelaufen: Mitarbeiter mit Masken arbeiten an einem Fließband bei SAIC General Motors
© IMAGO / ZUMA Wire
Das rigide Null-Covid-Regime in Peking treibt Expats aus dem Land und die deutsche Wirtschaft auf die Suche nach zusätzlichen Standbeinen in Asien, berichtet AHK-Chef Maximilian Butek aus Schanghai

Maximilian Butek ist Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Schanghai und Geschäftsführender Direktor und Vorstandsmitglied der Deutschen Auslandshandelskammer in Schanghai

In welchem Maß legt Chinas Null-Covid-Politik derzeit deutsche Fabriken in China lahm?

MAXIMILIAN BUTEK: Ein Großteil der deutschen Unternehmen sind in und um Schanghai angesiedelt, gefolgt von Jiangsu und Peking. Die neue Dynamik in der Null-Covid-Politik der chinesischen Führung trifft die gesamte heimische Wirtschaft und damit auch die deutsche Produktion. Etwa drei Viertel der Firmen mit eigenen Werken produzieren an Orten, die von Lockdowns betroffen sind – und nur jede fünfte davon kann den Betrieb am Laufen halten. Selbst diese 19 Prozent erreichen im Median aber nur 30 bis 50 Prozent ihrer Kapazität.

Betrifft das sowohl Unternehmen, die für den chinesischen Markt produzieren, wie auch rein exportorientierte Unternehmen?

Für letztere, die meist aus Südchina – etwa im Raum Shenzhen – heraus operieren, ist die Lage besser. Aber auch Standorte, die nicht direkt betroffen sind, leiden unter den drastischen Covid-Einschränkungen, wenn sie Lieferungen aus Schanghai und dem Yangtse-Delta nicht bekommen. Es geht um die Anfälligkeit von Wertschöpfungsketten: Die Planbarkeit von Lieferketten sowohl innerhalb von China als auch international, die in mehr als zwei Jahren Pandemie schon eingeschränkt war, ist nun vollends gestört. Und bei diesen drastischen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus sind auch zunächst keine Änderungen in Sicht.

Es bleibt also so, dass Unternehmen in Städten oder Regionen, in denen teilweise oder komplette Ausgangssperren herrschen, nur mit Genehmigung arbeiten können?

Erst wurden Sondergenehmigungen erteilt, dafür musste mit der lokalen Regierung verhandelt und eine städtische Erlaubnis mit Auflagen erlangt werden. Dann wurde für den Raum Schanghai eine „Whitelist“ veröffentlicht mit zunächst 666 Unternehmen – denen eine Schlüsselfunktion zugeschrieben wurde. Das sollte einer Ordnung nach Wichtigkeit folgen, aber ein Kriterium war wohl, wer die meisten Steuern zahlt.

Und wie kommt man auf so eine Liste?

Inzwischen ist die Liste größer und es können Empfehlungen ergehen oder Anträge gestellt werden, dass zum Beispiel besonders unverzichtbare Zulieferer aufgenommen werden. Ein willkürliches Vorgehen oder signifikante Diskriminierung ist uns aber nicht zugetragen worden. Wenn Sie auf einer solchen Whitelist stehen, dann können Sie bei der lokalen Regierung beantragen, dass Sie in einem sogenannten Closed Loop produzieren. Dafür müssen sie einen Sicherheitsplan vorlegen, wie neue Infektionen unter den Beschäftigten verhindert werden können. Das wird dann entsprechend genehmigt, oder auch nicht.

Der einzige Weg, einem angeordneten Produktionsstopp zu entgehen, ist also die Liste und die Closed Loop-Lösung, bei der Beschäftigte im Betrieb arbeiten und leben. Wie realistisch ist das?

Das ist für die wenigsten Betriebe ein Alternative. Denn dieser Prozess kann extrem aufwändig sind. Sie brauchen ein ausgefeiltes Hygiene- und Sicherheitskonzept für Arbeiter, die im Unternehmen leben, wohnen, essen und schlafen – und dazu auch bereit sind. Die meisten können diese Anforderungen und auch die nötige Infrastruktur und Versorgung nicht garantieren. Sie müssten zum Beispiel in medizinischen Notfällen auch die Versorgung der Mitarbeiter gewährleisten. Das ist ein hohes Risiko. Überwiegend sind lediglich große Unternehmen und Zulieferer, beispielsweise für die Auto-, Maschinenbau- oder Chemiebranche in der Lage, diese Möglichkeit in Anspruch zu nehmen.

Wir wissen von Volkswagen in China, dass Bänder wochenlang stillstanden. Welcher Anteil deutscher Werke musste die Produktion denn stoppen oder mindestens zeitweise herunterfahren?

Da sprechen wir über nahezu alle – mit Ausnahme von kritischen Industrien, wie etwa Pharmaunternehmen, die teilweise mit voller Kapazität produzieren konnten. Die Gründe waren eine Mischung aus vielen Faktoren: amtliche Verbote, Mangel an Arbeitskräften und Engpässe, die sich bei Materialien wie Stahl, Elektronik oder Kunststoffen einstellten. Unternehmen brauchten neue logistische Lösungen für den Transport von Rohstoffen. In einer Blitzumfrage der Auslandshandelskammer nannten Unternehmen als größte Behinderung fehlende Logistik und Materialien bzw. Vorprodukte (je 69 Prozent), gefolgt von ausbleibenden Transportpapieren und Arbeitern, die in ihren Compounds blockiert sind (je 56 Prozent).

Heißt das, dass die meisten deutschen Hersteller wegen der Null-Toleranz-Politik gegen Corona ihre Umsatzerwartungen korrigieren müssen? In Umfragen der EU- und US-Handelskammern wurden Korrekturen von 60 Prozent gemeldet.

Grundsätzlich hat die neue Dimension der Umsetzung der Null-Covid-Strategie massive wirtschaftliche Auswirkungen auf die Unternehmen. Die werden sich für die Monate April und Mai im Umsatz niederschlagen – natürlich. Es kommt etwas auf die Branchen an und wie viele Unternehmen tatsächlich im Lockdown sind. Aber ich kenne kein Unternehmen, das seine Umsatzzahlen derzeit nicht anpasst. Viele Unternehmen glauben auch nicht, dass sie das wieder aufholen können – auch wenn Rebounds nicht auszuschließen sind. Im Bereich Automobil etwa könnte durch Kaufanreize der Umsatz zu halten sein, aber die Profite dürften sinken. Für alle Unternehmen, die jetzt fast zwei Monate nicht produzieren konnten, wird es extrem schwierig, ihre Profitabilität bis Ende des Jahres zu halten.

Beobachten Sie denn eine schleichende Abkehr vom chinesischen Markt?

Sehen Sie, die Führung hat ein Ende der Lockdowns Ende Juni angekündigt. Aber wissen wir, ob es nicht erneut dazu kommt? Und dann in anderen Städten oder Provinzen? Man darf China nicht kurzfristig betrachten, das wäre ein Fehler. Selbst wenn wir zu den Wachstumsprognosen der Regierung für das Jahr 2022 von 5,5 Prozent Analystenstimmen dazunehmen, die von 4,5 bis 5 Prozent ausgehen, ist das für China erst einmal eine schwächere Leistung als geplant – aber doch höher als im weltweiten Vergleich. Mittelfristig ist und bleibt China der wichtigste Markt für Deutschland und einer der wichtigsten Wirtschaftsmotoren der Welt.

Ein Gradmesser für das Stehvermögen sind ja Investitionsabsichten. Wie ist da Ihr Echo?

Investitionen werden nicht in dieser Kürze verlagert. Investionen in Fixed Assets werden natürlich zum allergrößten Teil erst einmal pausiert. Und Projekte, die zwei Jahre in Vorbereitung waren, werden auch in irgendeiner Art gelauncht. Aber klar hat die Unsicherheit in der geopolitischen Gemengelage zugenommen. In unserer Umfrage vom April gaben 32 Prozent an, dass sie geplante Investitionen auf Eis legen, 46 Prozent stimmten zu, dass die Attraktivität des chinesischen Marktes in dieser Situation abgenommen hat. Die Unternehmen sind im Wesentlichen mit Risikomanagement beschäftigt. Etwa ein Viertel beabsichtigt auch, in der Region zu diversifizieren.

Das heißt konkret?

Wie kann ich meine Lieferketten diversifizieren? Wie kann ich Resilienz herstellen? Mit welchen Fixed Assets Investments kann ich nach China gehen – oder sollte ich besser andere Länder ansteuern? Aber Diversifizierung bedeutet beides: aus China raus und in China bleiben. Solche Überlegungen gab es schon 2018, als der Handelskrieg mit den USA eskalierte. Da waren die Kosten der Diversifizierung noch sehr hoch. Die Priorität verschiebt sich jetzt in Richtung Resilienz der Lieferketten. Das Thema wird prominenter und auch beschleunigt. Jetzt scheint der richtige Moment, Optionen in der Region zu prüfen. Ich denke, wir werden zweigleisige Strategien sehen, wie China plus eins oder China plus zwei. Deutsche Unternehmen werden sich weiterhin in China fest etablieren, aber eben Back up-Lösungen finden.

Und der Prozess erhält durch die Null-Toleranz-Politik neuen Schub?

Gerade wenn man mit eigener Produktion reingeht, kann es zehn Jahre dauern, um Lieferketten neu aufzusetzen. Und das wird jetzt erfolgen. Man wird nicht mehr nur auf China setzen, sondern sich ein, zwei weitere Standbeine in der Region aufbauen. Für ein regionales Management gehen Sie am besten dahin, wo der Arbeitsmarkt am weitesten entwickelt ist. Man braucht internationale Talente mit einer hervorragenden Ausbildung. Im klassischen Produktionsbereich fallen Länder wie Vietnam, Malaysia, oder Thailand ins Gewicht. Für eine stark arbeitsintensive Produktion schauen sie nach Ländern, wo der technologische Grad noch nicht so hoch, aber die Verfügbarkeit von Arbeitskräften gegeben ist.

Glauben Sie denn, dass der Höhepunkt dieses äußerst rigiden Corona-Regimes überschritten ist?

Nein, wir sehen keinerlei Anzeichen für eine Änderung in der Strategie. Präsident Xi hat am 5. Mai noch einmal bestätigt, dass es kein Abweichen von der Null-Covid-Politik geben wird. Es wird auch nicht mehr darauf verwiesen, eine Balance zu finden zwischen Wirtschaft und Blockaden. Es war eine ganz klare Ansage. Ein weiteres Indiz ist die Absage der Asia Games, die für nächstes Jahr in China geplant waren, eins sehr prestigeträchtige Sport-Event ähnlich der Olympischen Spiele. Dass diese Spiele schon jetzt abgesagt wurden, war für alle überraschend.

Wir haben abschreckende Bilder von Containerdörfern, Sportstadien oder Messehallen für die Massenisolierung von Covid-Verdachtsfällen gesehen – bisher aus Schanghai. Geht man in anderen großen Metropolen ähnlich rabiat vor?

Von Lockdowns waren auch Städte im Norden von China betroffen – und auch im Süden, zum Beispiel in Shenzhen. Die Ausmaße dieses Vorgehens sind aber in Schanghai bislang einmalig. Was nicht heißt, dass solche Isolationszentren nicht auch in anderen Städten aufgebaut werden. Man will vorbereitet sein, wenn es wie in Schanghai zu einer exponentiellen Kurve der Ansteckung kommen sollte. In Peking ist die Zahl der Neuinfektionen sehr viel geringer. Aber die epidemiologische Lage ist nicht unser Beritt. Wir beobachten die Folgen für die deutschen Unternehmen und ihre Mitarbeiter.

Die in Scharen weglaufen, wie Ihre Umfrage zeigt.

Die Flüge aus China nach Deutschland sind noch nicht ausgebucht. Wir haben also keine akute Abwanderung. Aber nach einer Blitzumfrage Anfang Mai planen rund 28 Prozent der aus Deutschland nach China entsandten Fachkräfte das Land wegen der strengen Corona-Maßnahmen zu verlassen. Und zwar 18 Prozent zum Ende ihres Vertrags, und zehn Prozent auch schon davor. Da sind Familienangehörige nicht inbegriffen, aber wir sprechen sicher von vielen Hunderten. Dazu gibt es Ärzte, Lehrer, Professoren und andere Deutsche, die in dieser Statistik nicht erfasst wurden. Dahinter stecken sicher auch emotionale Reaktionen: Man ist wirklich verärgert und frustriert – und in der Anspannung auch am Rande seiner nervlichen Belastbarkeit. Ich würde sagen, die Anzahl der Ausländer wird sich signifikant verringern. Ob das ein Exodus wird, sollten wir rational betrachten.

Also glauben Sie, der Trend lässt sich noch aufhalten?

Vieles wird vom weiteren Verlauf abhängen. Sollten wir bis Ende Juni eine Rückführung ins normale Leben in Schanghai sehen, werden viele Expats zunächst in einen verlängerten Sommerurlaub nach Deutschland gehen. Viele waren seit zweieinhalb Jahren nicht mehr da, und länger. Dann wird überlegt: Gehe ich zurück oder nicht? Kann ich das meiner Familie zumuten? Zugleich bietet China nach wie vor hohe Karrierechancen, gute Gehälter und Lebensbedingungen. Sollte auch Peking in den vollständigen Lockdown gehen und die Maßnahmen in Schanghai verlängert werden, wird das die Stimmung noch einmal massiv negativ beeinflussen.

Müssen deutsche Arbeitgeber sich perspektivisch Sorgen machen?

Es sind in den vergangenen zwei Jahren schon etwa 50 Prozent der Expats gegangen. Und es ist extrem schwierig für deutsche Unternehmen, neue ausländische Talente zu rekrutieren. Das hat sich jetzt noch einmal verschärft. Aber die internationalen Reisebeschränkungen und die langen Quarantänepflichten halten an, und es ist kein Ende in Sicht. Ein keimender Optimismus Anfang des Jahres hat sich wieder in Pessimismus umgekehrt. Solche Entscheidungen werden nicht aufgrund einer Prämie getroffen. Und der Ruf von China in Deutschland trägt aktuell auch nicht positiv dazu bei, ausländische Mitarbeiter zu gewinnen, in China eine Arbeit anzutreten.

Lassen sich Expats leicht durch chinesische Kräfte ersetzen?

Der Trend zur Lokalisierung im Bereich Personal ist nicht neu, auch in den Schlüsselpositionen im Management. Selbst auf der Leitungsebene sind 65-70 Prozent lokalisiert. Aber egal ob Chinesisch, Deutsch oder welche Nationalität auch immer – man suchte regelmäßig im Headquarter den Austausch. Der fehlt nun. Und manche fragen, ob man in Deutschland noch nachvollziehen kann, was hier gerade passiert? China hat sich seit Ausbruch der Pandemie in 2020 drastisch verändert und auch weiterentwickelt. Außerdem konnte man vor der Pandemie noch chinesische Mitarbeiter in Schlüsselpositionen setzen, mit denen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut war. Wenn Sie jetzt neue Mitarbeiter auf dem chinesischen Markt rekrutieren müssen, die sie gar nicht kennen, macht das die Kommunikation äußerst schwierig.

Zieht es die deutschen Unternehmen insgesamt auch weg?

Der chinesische Markt ist und bleibt der wichtigste Markt für Deutschland. Demnach sind deutsche Unternehmen hier fest etabliert und werden den Markt nicht verlassen. Ein Abzug von Betrieben, die vor der aktuellen Situation profitabel waren, ist nicht zu erwarten. Aber die genannte Diversifizierung in der Region – China plus eins oder plus zwei – wird bedeuten, dass zusätzliche Investitionen weniger nach China fließen und mehr in andere Standorte.

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