Gut zwei Monate vor der Baselworld 2018 haben sich die Uhrenmarken des Luxuskonzerns Richemont bei der „Hausmesse“, dem 28. Salon International de la Haute Horlogerie Genève (kurz: SIHH), nach Krisenjahren in mindestens gefasster meist jedoch optimistischer Stimmung präsentiert. In China wird wieder konsumiert und die Fixierung auf diesen Markt wurde korrigiert. Dem Frankenschock haben die Uhrenhersteller preiswertere Angebote entgegengesetzt, die jüngere Käufergruppen den Weg in die Welt der hochwertigen Horlogerie ebnen sollen. Und mit neuen Rekorden, Innovationen im Detail, der Pflege des historischen Erbes und der Optimierung sämtlicher Vertriebskanäle tritt die Branche agil wie selten zuvor auf.
Vor allem: Sie hört Bestands- wie potentiellen Kunden aufmerksamer zu. Vom Juwelier im Ländle über Filialisten in den Metropolen, Onlineshops in aller Welt und Influencern – für jeden werden Live-Erlebnisse an den Ständen geboten. Selbst kleine Fotostudios erhalten die Chance zu sogenannten Close-ups der Neuheiten am eigenen Handgelenk. Service, Flexibilität, Unterstützung bei der Inszenierung, ganz viel Emotion – und natürlich weiterhin höchste Qualität – so muss die Magie der Zeitmessung heute flankiert werden, um Eigner und Shareholder glücklich zu machen.
Hier und da knallten auch die Champagnerkorken, beispielsweise anlässlich des 150. Jubiläums von IWC, wo man eine Gala mit Hollywood- und anderen Stars sowie 800 geladenen Gästen veranstaltete – und Sondermodelle quer durch alle wichtigen Linien lancierte. Mit Hermès hießen die Veranstalter neben fünf neuen Querdenker-Marken auf der Sonderfläche Carré des Horlogers, zudem noch einen sehr namhaften Neuling willkommen. 2017 hatte das legendäre Accessoire-Haus seine Armbanduhren noch in Basel gezeigt.
Kein Bild drückte dabei die gelöste Atmosphäre besser aus, als das Werbemotiv, mit dem Montblanc die neue 1858-Kollektion auf den Punkt brachte: Die Hand eines Bergsteigers hält die Kante eines Gipfelplateaus umklammert, um sich heraufzuziehen. Dabei ist das Jahr 1858 im Namen eine Verbeugung vor der Schweizer Uhrenmanufaktur Minerva, die damals gegründet wurde und seit 2006 zum Richemont-Kosmos gehört. Auch in der markanten Gestaltung zollt man den Minerva-Chronographen der 1930er-Jahre Tribut, unterstrichen durch die Verwendung des selten eingesetzten Materials Bronze. Das Modell 1858 Geosphere besticht neben 24 Weltzeiten mit zwei auf dem Zifferblatt platzierten Welthalbkugeln, die sich einmal mit und einmal gegen den Uhrzeigersinn drehen und auf denen rote Punkte die höchsten Berge der Kontinenten markieren (circa 5890 Euro).
Und hier die weiteren Neuheiten:
SIHH-Genf 2018
VACHERON CONSTANTIN setzt große Hoffnungen auf die neue Reihe FiftySix, aus der auch dieser Vollkalender mit Mondphase und modernem, kosmopolitischen Stil stammt. Dennoch ist ein Modell aus dem Jahr 1956 die Inspiration für eine Linie, welche die Zielgruppe der Maison – bekannt für höchste Uhrmacherkunst wie die Kollektion „Metiers d’Arts“ – verbreitern soll. Das Automatikkaliber 2460 QCL/1 steckt in einem Gehäuse von 40 Millimetern Durchmesser, der Preis beträgt circa 22.100 Euro.
VAN CLEEF & ARPELS stellt neben einem im Wortsinn fantastischen Line-up von träumerisch-poetischen Damenuhren auch eine neue, roségoldene Herrenuhr vor, die Pierre Arpels Midnight Heure d'Ici & Heure d’Ailleurs mit zwei gleichberechtigt angezeigten Zeitzonen für die „Zeit hier“ und die „Zeit dort“. Das Handaufzugkaliber wurde exklusiv für Van Cleef & Arpels von Agenhor entwickelt (Atelier Genevois d’Horlogerie). Es ermöglicht das synchrone Springen der Stunden und verfügt über eine Gangreserve von 48 Stunden.
AUDEMARS PIGUET stellt mit der Royal Oak RD#2 den dünnsten selbstaufziehenden ewigen Kalender der Welt vor, mit gerade mal 6,3 Millimetern Höhe. Erreicht wurde das durch Neukonstruktion des Werkes von drei auf eine Ebene. Zugleich feiert die Marke mit NBA-Schwergewicht LeBron James und Sondermodellen den 25. Geburtstag der Royal Oak.
RICHARD MILLE widmete sich mit einem neuen Modell den Anforderungen von Polospielern wie Superstar Pablo Mac Donough, einem „Friend of the Brand“. Vor allem die Resistenz gegen harte Schläge auf dem Feld stand im Mittelpunkt der Bemühungen bei der Entwicklung der RM 53-01 Tourbillon Pablo Mac Donough, deren Tourbillonkaliber durch ein neuartige Saphir-Verbundglas in dem TPT-Karbon-Gehäuse beobachtet werden kann. So viel Sicherheit hat einen Preis von circa 941.500 Euro.
ULYSSE NARDIN legte die Freak Vision vor, bei der die Karussellhemmung als Minutenzeiger dient und ein weißes Dreieck am Rand die Stunden ausweist. Das Manufaktur-Automatikkaliber UN-250 besitzt einen extrem effizienten Selbstaufzug mit zusätzlicher manueller Aufzugsmöglichkeit am Gehäuseboden. Sowohl die Hemmung wie auch die Unruh sind aus Silizium, ein Material, bei dessen Einsatz Ulysse Nardin als Pionier der Branche gelten kann. Das Modell im Platingehäuse mit 45 Millimetern Durchmesser hat einen Preis von 95.000 Schweizer Franken.
IWC stellte die Edition Tribute to Pallweber vor (hier in Rotgold, Ref. IW505002), angelehnt an die berühmten Pallweber-Taschenuhren von 1884 des amerikanischen Gründers von IWC, Florentine Ariosto Jones. Daher auch die Aufschriften „Hours“ und „Minutes“ auf dem Emaille-Zifferblatt. Durch einen Ingenieurkniff sind die Scheiben der digitalen Anzeige sehr leicht über die Krone einzustellen, das Handaufzugkaliber trägt die Nummer 94.200.
PANERAI hier gönnte man der Erfolgslinie Luminor eine flankierende Kollektion namens Luminor Due (Kaliber OP XXXIV), deren Gehäuse deutlich schlanker und vielseitiger zu tragen ist. Etliche Facetten des Ur-Designs wurden überprüft und verbessert, vor allem das elfenbeinfarbene Zifferblatt zum petrolblauen Lederband mit Saffiano-Finish fallen angenehm auf. Die Luminor Due 3 Days Automatic Acciaio (Ref. PAM00906) mit 42 Millimetern Durchmesser und einer Höhe von knapp 10,5 Millimetern kostet circa 6200 Euro.
PARMIGIANI FLEURIER stellt mit der Kalpa Chronor in Tonneauform, in der das aus massivem Gold gefertigte Formwerk PF365 läuft, dessen Chronographenfunktion das begehrte COSC-Zertifikat trägt. Selbst das nachträglich bis auf wenige Akzente geschwärzte Zifferblatt mit den feinen Verzierungen ist aus Roségold. Trotz so viel Attraktivität kommen auch die inneren Werte nicht zu kurz, etwa die erstaunliche Laufzeit des Handaufzugwerkes von acht Tagen! Der Preis für das auf 50 Stück limitierte Modell beträgt circa 85.000 Euro.
ROGER DUBUIS stellte unter anderen die Excalibur Aventador S Blue vor, deren Gehäuse aus dem gleichen C-SMC-Karbon besteht wie die Karosserie eines Lamborghini. Gummiakzente verzieren den Korps mit 45 Millimetern Durchmesser wie auch die Krone, das mit der Genfer Punze versehene Werk heißt RD103SQ. Wie auch bei der Partnerschaft mit Reifenmulti Pirelli ist CEO Jean-Marc Pontroué auch beim Projekt mit Lamborghini das After-Sales-Erlebnis der Kunden wichtig. Exklusive Events, Zugehörigkeit zu einem exklusiven Club von Fans, so lautet die Dubuis-Devise.
GIRARD-PERREGAUX stellte unter anderem das Modell La Esmeralda Tourbillon aus der Bridges-Kollektion vor, bei der in Anlehnung an Constant Girards Vision das Werk (Kaliber GP09400-0014) ganz ohne Zifferblatt zum Designelement wird und der aufwändige Gravur-Schmuck ein Augenschmaus ist.
FERDINAND BERTHOUD stellte mit dem Chronomètre Ferdinand Berthoud FB 1.4 (hier in der silbernen Variante 1.4-2) eine vollständig in Titan gefertigte Uhr vor, deren Goldzeiger und andere Details in einem Galvanisierungsverfahren gebläut wurden. Das Handaufzugskaliber FB-TFC-2 sitzt in einem 44-Millimeter-Gehäuse mit einer Höhe von 13 Millimetern. Preis: circa 205.210 Euro.
MB&F geht konsequent eigene Wege in Technik wie Gestaltung, was auch die HM8 MoonMachine 2 unterstreicht, für deren Umsetzung die Marke Maximilian Büsser & Friends zum zweiten Mal mit dem Uhrmacher Stepan Sarpaneva zusammenarbeitete. Erstmals wird bei einer Uhr die Mondphase mit einem optischen Prisma projiziert und ist somit auch seitlich ablesbar. Das Werk basiert auf einem Basiskaliber von Girard-Perregaux, der Titanrotor der Uhr wurde skelettiert und das Saphirglas metallbedampft.
CARTIER hatte zwar mit der Santos de Cartier keinen runden Geburtstag zu feiern wie das volle Jahrhundert des Modells anno 2004, dennoch steht bei den Herrenuhren des Juweliers alles im Zeichen dieser im Design angenehm schlichten Legende. In medium und large ist die überarbeitete Santos (Kaliber 1847MC) erhältlich, die Bicolor-Variante in Stahl und Gelbgold kostet circa 9900 und kommt mit einem Lederarmband zum einfachen Wechseln dank SmartLinks.
BAUME & MERCIER stellt mit der Clifton Baumatic 5 Days Chronometer eine Uhr vor, die dank einer Hemmung mit Powerscape-Technologie und der Spiralfeder aus Twinspir-Silizium im Werk Kaliber BM12-1975A rund 120 Stunden Gangreserve mit sehr stabilem Drehmoment bietet. Gemäß des Mantras der Brüder Célestin und Louis-Victor Baume, „sich nur mit Perfektion zufriedenzugeben“. Der Preis: circa 2600 Euro.
HERMÈS: Die Carré H gibt es zwar schon seit 2010, doch Designer Marc Berthier hat seinen Entwurf noch einmal minutiös überarbeitet. Das Gehäuse, in dem das Kaliber H1912 ruht, wuchs auf 38 Millimeter und das Zifferblatt wirkt nun fast textil durch drei verschiedene Oberflächenstrukturen und -ebenen. Der gelbgrüne Sekundenzeiger fügt eine willkommene Kontrastfarbe hinzu.
A. LANGE & SÖHNE ehrt mit dem Werk L1924 das Geburtsjahr des 2017 verstorbenen Walter Lange. Es tickt in dem Unikat 1815 Homage to Walter Lange. Mit dem Modell Triple Split, in dem das Kaliber L132.1 seinen Dienst tut, stellte man zudem den ersten mechanischen Schleppzeiger-Chronographen der Welt vor, der Vergleichszeiten über bis zu zwölf Stunden ermöglicht.
GREUBEL FORSEY stellt mit der GMT Earth sicherlich eine optisch beeindruckende Weiterentwicklung vor. Die Highlights sind zwei Zeitzonen inklusive Sommer- und Winterzeiten und das 3-D-Modell unserer Erde, das sich innerhalb von 24 Stunden einmal um die eigene Achse dreht und universell Tag und Nacht anzeigt. Durch das Saphirglas-Fenster ist dieses Spektakel auch an den Gehäusekanten zu bewundern. Der Handaufzug schafft 70 Stunden Gangreserve, der Preis beträgt circa 610.000 Schweizer Franken.
JAEGER LECOULTRE lancierte mit der sportlich-eleganten Kollektion Polaris gleich einen neuen Preisbereich unterhalb der Marke von 10.000 Euro (abgebildet: der Chronograph mit Edelstahlgehäuse und Kalbslederarmband für circa 9850 Euro). Das aus 262 Einzelteilen bestehende Kaliber 751 H bietet eine Gangreserve von 65 Stunden.
PIAGET ging mit der Altiplano Ultimate Concept erfolgreich auf Rekordjagd. Dank unglaublichen 2 Millimetern Höhe ist sie die flachste mechanische Uhr mit Handaufzug der Welt. Vier Jahre Arbeit liegen hinter den Ingenieuren, die gemeinsam mit Uhrmachern, Designern sowie den Konstrukteuren von Gehäuse und Uhrwerk diese Herausforderung meisterten und dabei fünf Patente anmeldeten. Nach der Bestmarke für die Altiplano Ultimate Automatic, die mit 4,3 Millimetern Höhe weltweit flachste Uhr mit Automatikaufzug, ein krönender Abschluss für das 60-jährige Bestehen des Modells Altiplano.
Alles gut also im Uhrenland? Jein, schließlich steckt auch diese Luxusbranche trotz der guten weltweiten Konjunktur weiterhin in einer Transformationsphase. Wie kann man sich jüngere Zielgruppen erschließen? Wo liegt das richtige Maß des Produkt-Outputs? Wie trifft man den globalen Geschmack? Und wie lässt sich die digitale Transformation bewältigen, die nur gelingen kann, wenn die Branche auf den großen Online-Plattformen wie Alibaba und den Richemont-eigenen Luxusboutiquen netaporter.com und mrporter.com vertreten ist. Ein Herausforderung bleibt auch der Umgang mit Start-ups, Graumarkthändlern, dem Gebrauchtmarkt und den Juwelieren, also den eigenen B2B-Kunden.
Nicht zuletzt steht jede Messe, bei noch so guter Stimmung, immer auch als Kostenfaktor zur Disposition. Mit einer Zunahme der Besucherzahl um 20 Prozent auf annähernd 20.000 und einem zum zweiten Mal erfolgreichen Publikumstag, der 2500 Fans auf das Palexpo-Gelände lockte, kann SIHH-Präsidentin Fabienne Lupo mehr als zufrieden sein. 35 Marken in 2018, statt 16 in 2015, das darf als Trend durchgehen. Innovative Formate wie das „SIHH Live“-Auditorium, CEO-Panels und Themenvorträge sowie die weiterentwickelte App, die Fachbesucher als Timekeeper durch die Termine lotst, beweisen ideenreiches Change-Management der Macher.
Wie sich die Baselworld in diesem Jahr „anfühlt“, wo von den knapp 1300 der letzten Ausgabe bloß noch an die 700 Marken ihr Kommen zusagten, wird man sehen. Klar ist: Bis auf wenige big names, die über Alternativen brüten und sich den Stand sparten, werden alle vor Ort sein, die man so kennt. Schließlich gilt für Boom- wie für Baisse-Zeiten gleichermaßen: You never watch alone.