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Thema Zielscheibe Exportstärke

Der deutsche Handelsüberschuss ist seit Tagen Gegenstand erregter Debatten. Nicht nur im Ausland regt sich Kritik am Wirtschaftsmodell der Bundesrepublik. Ein Überblick über die Kontroverse.
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Kanzlerin Merkel lässt die Kritik aus den USA an sich abprallen

Warum wird Deutschland kritisiert?

Die Debatte über die deutschen Exportüberschüsse ist mit voller Wucht entbrannt. Am Dienstag deutete EU-Währungskommissar Olli Rehn an, dass er die Exportstärke der größten EU-Volkswirtschaft genau unter die Lupe nehmen werde. Mit mehr als sieben Prozent übersteigt der Handelsüberschuss den europäischen Richtwert von sechs Prozent deutlich. Die EU hatte zuvor schon von der Bundesregierung verlangt, mehr für die Binnennachfrage zu tun zum Beispiel durch Investitionen in die Infrastruktur und höhere Löhne für Geringverdiener.

Auch Financial-Times-Kolumnist Martin Wolf übt scharfe Kritik am exportgetriebenen Wachstumsmodell: „Surplus countries import the demand they do not generate internally.“ Das sei kein Problem, wenn die globale Nachfrage stark ist:

„But in current conditions, when short-term official interest rates are close to zero and demand is chronically deficient across the globe, the import of demand by the surplus country is a ‚beggar-my-neighbour’ policy: it exacerbates this global economic weakness.“

Wolf hält die Kritik an den deutschen Überschüssen daher auch für berechtigt. Die Diskussion ist nicht neu, sie nahm aber erst wieder Fahrt auf, als das US-Finanzministerium Ende Oktober deutliche Kritik an Deutschland äußerte:

„Germany’s anemic pace of domestic demand growth and dependence on exports have hampered rebalancing at a time when many other euro-area countries have been under severe pressure to curb demand and compress imports in order to promote adjustment. The net result has been a deflationary bias for the euro area, as well as for the world economy. Stronger domestic demand growth in surplus European economies, particularly in Germany, would help to facilitate a durable rebalancing of imbalances in the euro area.“

Ähnlich argumentierte auch der Internationale Währungsfonds. Die Kritik ist bekannt, bisher hatten die Amerikaner aber stärker China im Visier.

Wie sieht die Verteidigung aus?

Die Bundesregierung weist die Kritik rundheraus zurück: „Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss bietet keinen Anlass zur Sorge, weder für Deutschland noch für die Eurozone oder die Weltwirtschaft“, konterte das Finanzministerium den US-Bericht. Und die deutschen Wirtschaftsverbände betonen unisono, dass die Exportstärke Ergebnis wettbewerbsfähiger Produkte sei. Deshalb seien deutsche Maschinen, Autos, Anlagen etc. weltweit so nachgefragt.

Vertreter der deutschen Position weisen auch darauf hin, dass der Exportüberschuss der Bundesrepublik innerhalb der Eurozone in den Krisenjahren gesunken sei. Die Kritik aus Amerika sei daher von Eigeninteresse geprägt. So argumentiert zum Beispiel Hans Bentzien auf wsj.de:

„Die Amerikaner vertreten konsequent ihre eigenen Interessen. Bedroht ein künstlich niedrig gehaltener Yuan-Wechselkurs Arbeitsplätze in der US-Industrie, dann macht der Kongress Druck auf das Finanzministerium, das in dem Bericht zu erwähnen. Passt ihnen die Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen nicht, dann kritisieren sie deren Wirtschaftspolitik.“

Ist es tatsächlich amerikanischer Egoismus?

Nobelpreisträger Paul Krugman wider spricht in seinem Blog der Egoismusthese. Er hat gleich mehrere Blogeinträge zu der Problematik verfasst und dabei die Position der Bundesregierung scharf kritisiert. Die Antwort auf die Vorhaltungen der US-Regierung bezeichnete er als bizarr:

"By running inappropriate large surpluses, Germany is hurting growth and employment in the world at large. Germans may find this incomprehensible, but it’s just macroeconomics 101."

Das Argument, dass die Bundesregierung die fundamentalen Grundsätze der Ökonomie nicht begreife, nimmt auch Wolfgang Münchau, früherer Chefredakteur der Financial Times Deutschland, in seiner Kolumne auf Spiegel Online auf: "Auch ich finde es immer wieder erstaunlich, dass man in Deutschland selbst die einfachste volkswirtschaftliche Arithmetik nicht in den Griff bekommt." Krugman erklärt auch, warum die deutschen Überschüsse seiner Meinung nach zur Schwäche der Weltwirtschaft beitragen:

„The problem is that Germany has continued to maintain highly competitive labor costs and run huge surpluses since the bubble burst — and that in a depressed world economy, this makes Germany a significant part of the problem.

Matthew O’Brien schlägt in „The Atlantic“ in die gleiche Kerbe. Er macht Deutschland für die Wirtschaftskrisen in den südlichen Euro-Ländern verantwortlich.

„Europe is in a depression, because Germany is afraid of a recovery. It's afraid that more inflation and more spending would wreck its export-led growth model. And afraid that southern Europe would stop trying to adopt that model if they had an easier way out. So Germany has left them no way out.“

Was soll Deutschland anders machen?

Für Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ist der Exportüberschuss der Beweis für eine gefährliche Schwäche der deutschen Wirtschaft. In einem Beitrag für Spiegel Online schreibt er:

„Den starken deutschen Exportsektoren stehen schwache Dienstleistungssektoren gegenüber, in denen die Investitionen stark gefallen sind, die wenig produktiv sind und die kaum Wachstum schaffen. Das DIW Berlin hat berechnet, dass diese Investitionslücke in Deutschland jedes Jahr drei Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, das sind 80 Mrd. Euro - eine Bremse für das Wachstum und damit für Beschäftigung und Löhne in Deutschland.

Das Problem seien „also die fehlenden Importe für Investitionen“. Würde Deutschland mehr importieren, profitierten davon auch die Krisenländer der Eurozone.

Auch der Ökonom Daniel Stelter sieht in den Überschüssen ein Problem für die es keine einfachen Lösungen gebe. Von mehr Importen würden nicht die Staaten an der Euro-Peripherie profitieren, meint er. Denn was sollte Deutschland beispielsweise aus einem Land wie Portugal einführen? Die Schwächung der deutschen Wirtschaft nütze „eher Japan, Korea und den USA, vermutlich auch China aber nicht den Krisenländern Europas“. Auch er würde den Hebel bei den Investitionen ansetzen:

„Die Unternehmen und der Staat investieren nicht genügend im Inland. Hier sollten wir ansetzen und durchaus überlegen, ob wir zum Beispiel bei der Besteuerung deutlichere Akzente in Richtung Investitionen setzen. Höhere Steuern für Gewinne die nicht investiert werden, wären dann zu diskutieren. Nicht der Staat muss mehr Schulden machen, die Unternehmen sollten es tun.

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