Ende 2017 verabredete Capital eine Geschichte mit dem damaligen Bench-Chef Bruno Sälzer. Thema: Wie Sälzer, einer der prominentesten Modemanager des Landes, die kriselnde Urbanwear-Marke Bench wieder in die Spur bringen will. Capital traf den früheren Chef von Hugo Boss im Januar auf der Berliner Fashion Week und begleitete ihn später zu Terminen bei dem finnischen Sportartikelkonzern Amer Sports, wo Sälzer seit März 2017 als Chairman of the Board amtiert.
Doch die Geschichte entwickelte sich anders als geplant. Im März zog sich Sälzer, der auch 15 Prozent an der Bench-Muttergesellschaft hält, überraschend als CEO zurück – nach seiner Darstellung, um sich auf seine Mandate in Verwaltungs- und Aufsichtsräten zu konzentrieren. Doch es war klar, dass bei Bench etwas im Busch ist. Jetzt hat das britisch-deutsche Modelabel Insolvenz angemeldet. Lesen Sie nachfolgend die Geschichte über die Probleme bei Bench und Sälzers neue Pläne, die am 19. April in Capital erschien.
Auf den ersten Blick wirkt Bruno Sälzer fast wie ein normaler Kunde. An einem Februarmorgen in Helsinki, an dem der Schnee die Stadt in eine weiße Hülle gepackt hat, schleicht der frühere Chef des Modelabels Boss durch einen kleinen Outletstore – vorbei an Ständern mit Daunenjacken, Reihen von Abfahrtsski und Rucksäcken an der Wand. In einer Ecke bleibt er stehen und schnappt sich einen knallroten Laufschuh der Outdoormarke Salomon. „Den habe ich in allen möglichen Farben“, sagt er, während er die Schuhsohle mit beiden Händen zusammenquetscht. „Ich bin hier ein Big Spender.“
Der Outletstore, in dem Sälzer regelmäßig einkauft, gehört zur Firmenzentrale des finnischen Sportartikelherstellers Amer Sports. Bei dem Unternehmen, das hierzulande kaum bekannt ist, aber Marken wie Salomon, Atomic und Wilson besitzt, ist Sälzer Chairman des Board of -Directors. Es ist sein wichtigster Job, seit er Mitte März überraschend seinen Posten als Chef des Streetwearlabels Bench aufgab.
Jahrelang war Sälzer der bekannteste Modemanager der Republik. Bei Hugo Boss stieg er zum Star auf, als er aus einem biederen Anzugschneider in der schwäbischen Provinz einen globalen Luxuskonzern formte, der es mit Edellabels wie Giorgio Armani, Prada und Zegna aufnahm. Unter dem Bauernsohn aus Baden-Württemberg fing Boss an, ganz dick aufzutragen: Shows mit Topmodels und Hollywoodstars, rauschende Partys mit Woody Allen an der Klarinette in New York, Schampusempfänge bei der Formel 1, Wodka-und-Kaviar-Spektakel in der russischen Botschaft in Berlin.
Es war eine herrliche Zeit. „Bunte“ und „Gala“ feierten den Schneider der Reichen und Schönen für seine Glamourevents, Wirtschaftsmedien für seine Zahlen: In sechs Jahren an der Konzernspitze verdoppelte Sälzer den Vorsteuergewinn und verfünffachte den Aktienkurs. Das aber ist mehr als zehn Jahre her. Nun trifft man ihn in Helsinki in einem wenig glamourösen Gewerbegebiet und fragt sich: Steht hier ein Mann, der von Finnland aus noch einmal eine große Erfolgsstory schreiben wird? Oder einer, der in der Sackgasse gelandet ist? Hat Bruno Sälzer eine große Zukunft – oder nur eine große Vergangenheit?
Bench statt Benetton
Nachdem Sälzer von dem neuen Boss-Eigentümer, dem Finanzinvestor Permira, 2008 nach 13 Jahren im Vorstand vor die Tür gesetzt wurde, weil er sich gegen eine Sonderausschüttung sperrte, ertrank er in Jobangeboten. Sälzer entschied sich für die angeschlagene Münchner Damenluxusmarke Escada. Die Insolvenz konnte er nicht mehr verhindern. Aber er schaffte es, die Firma nach der Pleite wiederzubeleben.
Die Überraschung kam 2014, als der langjährige Haute-Couture-Manager die Premiumliga der Branche verließ und in die Nische wechselte – obwohl es andere Angebote gab. Sälzer hätte bei der italienischen Modeikone Benetton anheuern können. Stattdessen entschied er sich, als Chef und Miteigentümer bei dem britischen Streetwearlabel Bench einzusteigen – bei einer Marke, die schon länger mit sinkenden Umsätzen kämpfte. In der Modebranche rümpften einige die Nase über den Kollegen, der sich mit Ende 50 fortan meistens im Bench--typischen Kapuzenpulli zeigte statt wie früher im dunklen Boss-Anzug.
Gern hätte es Sälzer auch mit Bench wieder allen gezeigt – so wie schon mit Boss und Escada. Doch bis er als Firmenchef im März 2018 so überraschend aufhörte, wie er begonnen hatte, war es ihm nicht gelungen, aus dem Krisenlabel wieder eine Erfolgsgeschichte zu machen. „Bench hat sich für Sälzer als schwierigerer Fall herausgestellt als gedacht“, sagt ein Brancheninsider. Der gefeierte Sanierer ist bei Bench zum ersten Mal an seine Grenzen gestoßen.
Häufiger in Helsinki als in New York
In der Amer-Sports-Zentrale in Helsinki sitzt Sälzer nach seiner Shoppingpause im Outletstore jetzt in einem kahlen Konferenzraum – direkt hinter dem Eingang des luftigen, fast verlassen wirkenden Gebäudes aus Backstein und Glas, in dem es mehr Showrooms zu geben scheint als Büros. Der Konzern führt mit seinen Marken den globalen Wintersportmarkt an, mit 2,7 Mrd. Euro Umsatz und mehr als 8000 Mitarbeitern weltweit. Doch in der Zentrale sitzen keine 100. Der Rest ist über Europa und Nordamerika verstreut bei den zwölf Marken, die das Unternehmen seit den 80er-Jahren wie ein Staubsauger geschluckt hat.
Sälzer trägt ein sportliches Sakko und die Salomon-Schuhe aus dem Shop in Schwarz. Man kann ihm ansehen, dass der frühere Träger des schwarzen Gürtels in Karate in seinem Fitnessstudio in Grünwald mit 60 Jahren noch immer 80 Kilo an der Langhantel stemmt. Auch an diesem Morgen war er schon im Kraftraum – obwohl er erst um kurz vor Mitternacht mit der letzten Maschine aus München gelandet ist. Ähnlich wie in den USA mischen Chairmen in Finnland auch im operativen Geschäft mit. Inzwischen fliegt Sälzer häufiger nach Helsinki zu Amer Sports als nach New York.
Im Gespräch zieht Sälzer plötzlich sein Handy aus der Tasche, er will ein Video zeigen. Neulich hat sich der Betriebsratschef von Boss bei ihm gemeldet und bat um einen Gefallen: einen Abschiedsgruß für den langjährigen Kantinenchef, der in Rente ging. Im Video trägt Sälzer ein schwarzes Boss-Shirt. Das sei in Metzingen gut angekommen, sagt er, als die Aufnahme stoppt. Als er nach dem Krach mit Permira gehen musste, schrieb er seinen Mitarbeitern: „Ich gehe ungern.“ Später sagte er, die Trennung von Boss sei für ihn „wie eine Scheidung“ gewesen.
Sälzer und Boss – sie hängen immer noch aneinander. Auch seinen Job bei Amer Sports verdankt er dieser Zeit. „Völlig aus dem Blauen“ sei die Anfrage von Amer für einen Sitz im Board gekommen, sagt Sälzer. Das war vor zehn Jahren.
Damals verkauften die Finnen vor allem Ausrüstung wie Tennis- und Golfschläger von Wilson, Ski von Salomon und Atomic oder Fitnessuhren von Suunto. Doch wie andere Sportkonzerne wollte Amer mehr und modischere Bekleidung auf den Markt bringen – und setzte dabei auf das Know-how des Modemannes. Seitdem stieg der Umsatzanteil sogenannter Soft Goods wie Jacken und Schuhe von unter zehn auf mehr als 40 Prozent. Wichtiger Treiber: Sälzers Lieblingsmarke Arc’teryx, die Amer Sports 2005 zusammen mit Salomon von Adidas übernahm.
Im Frühjahr 2017 griff Sälzer dann zu, als der Posten als Chairman frei wurde – obwohl er den Nebenjob in Helsinki eigentlich aufgeben wollte, weil dafür kaum Zeit blieb. Doch nachdem er mit Bench in der Nische verschwunden war, lockte die Aussicht auf einen Führungsjob in einem börsennotierten Konzern: global aufgestellt, so groß wie Hugo Boss, bloß lange nicht so schillernd. „Das war schon ein Reiz“, sagt er. „Bei Amer Sports kann ich machen, was ich immer gemacht habe.“ Und vielleicht, gibt er zu, habe auch „ein bisschen Eitelkeit“ eine Rolle gespielt.
Mitte Januar, ein paar Wochen bevor Sälzer als Bench-Chef hinwirft: Fashion Week in Berlin, Messehalle neun. Die kleinen Urbanwear-Labels, die hier ausstellen, heißen Funky Buddha oder Indicode. Mittendrin der Stand von Bench, an dem gerade eine Schulklasse zu Besuch ist.
Ich bin immer in der Bekleidungsmode geblieben
Bruno Sälzer
Seit sich Sälzer mit 15 Prozent an Bench beteiligte und als CEO anfing, war dies seine Welt. Der Luxusmanager verkaufte nun Mode für Hipster, die auch im Büro Hoodie statt Hemd tragen. Statt mit den Promis im New Yorker Guggenheim Museum feierte er mit Leuten, die seine Kinder sein könnten. Auf der Fashion-Week-Party der jungen Labels sieht man ihn noch weit nach Mitternacht auf der Tanzfläche. Als er mit einem Bartträger im Bench-Shirt Telefonnummern austauscht, speichert der ihn nur unter „Bruno“. Nachdem sein Wechsel zu Bench bekannt geworden war, lästerten Kollegen hinter vorgehaltener Hand, Sälzer gebe nun den „Berufsjugendlichen“.
Wenn man mit Sälzer am Messestand darüber spricht, kann man spüren, wie sehr ihn solche Sprüche ärgern. „So was machen Hugo Boss und Gucci heute auch“, sagt er trotzig, während er den Reißverschluss seines Kapuzenpullis nach unten zieht. Er habe sich für Bench nicht neu erfinden müssen. Er mache ja keine Schuhe, keine Taschen, nichts mit Leder. „Ich bin immer in der Bekleidungsmode geblieben.“
Noch heute kann Sälzer aus dem Stand druckreife Analysen der Bekleidungsbranche liefern: die großen Trends, die angesagten Labels, selbst die Firmenbewertungen hat er im Kopf. Canada Goose – „der absolute Star in seiner Kategorie“, Bewertung beim Börsengang 2 Mrd. Euro. Michael Kors – vor zehn, zwölf Jahren „explodiert“, heute mehr als 7 Mrd. Euro wert. Moncler – „das Vorbild für alle“ mit einer „beeindruckenden Bewertung“ von mehr als 7 Mrd. Euro. „Das ist mehr als Hugo Boss“, schwärmt Sälzer. Nur er selbst war mit Bench in dieser großen Modewelt nicht mehr zu Hause.
Der Hype ist vorbei
Hinzu kamen die anhaltenden Probleme bei dem Label aus Manchester, das Anfang des Jahrtausends zu einem Trendsetter für lässige Großstadtmode aufgestiegen war. Schon 2014, als Sälzer an der Seite der Münchner Private-Equity-Firma Emeram Capital Partners einstieg, war der große Bench-Hype vorbei gewesen. Aus einem Rekordgewinn von 18,3 Mio. Pfund 2011 wurden im zweiten Jahr nach der Übernahme fast 20 Mio. Pfund Verlust.
2016 lag der Umsatz bei der Bench-Dachgesellschaft nur noch bei 53 Mio. Pfund. Sälzer hatte entschieden, einige Bench-Produkte wie Bademode und Unterwäsche in Lizenz von großen Partnern wie Otto verkaufen zu lassen, um die Marke bekannter zu machen. Statt des gesamten Erlöses landete bei Bench nur eine Lizenzgebühr. Im Rekordjahr 2011 hatte der Umsatz noch bei fast 150 Mio. Pfund gelegen.
Um den Trend zu drehen, holte Sälzer die Marke nach München, baute Stellen ab, reduzierte die Kollektionen, wechselte die Lieferanten und schloss unprofitable Stores. Mit ähnlichen Operationen hatte der promovierte Betriebswirt einst bei Boss die katastrophal gestartete Damenlinie gerettet. Auch der halb toten Marke Escada hauchte er so neues Leben ein. Bei Bench gab es dabei neue Probleme. Im Geschäftsbericht für 2016 wird ein „Logistikproblem“ erwähnt, das 6,1 Mio. Pfund operatives Ergebnis gekostet hat. Eine Zeitlang konnte die Firma nicht liefern, Kunden im Handel sprangen ab. Haupteigentümer Emeram musste mit Millionenkrediten aushelfen.
„Ich glaube, dass Sälzer sich mit dem Einstieg bei Bench keinen Gefallen getan hat“, sagt ein Branchenkenner. Manche spekulieren sogar, dass ein Verkauf der Firma anstehen könnte – etwa weil vorerst kein neuer CEO Sälzers Job übernimmt. In der Private-Equity-Branche geht es manchmal schnell.
Alle Beteiligten hätten gewusst, dass es nicht leicht werde, sagt Sälzer. Aber dass die Schwankungen im Streetwear-Segment so stark seien, habe ihn doch überrascht. „Ich dachte, dieses Segment wäre leichter.“ War es also ein Fehler, seinen guten Ruf mit dem Abenteuer bei Bench zu riskieren? „Nee, nee“, wehrt er ab. „Das war eine wichtige und wertvolle Erfahrung“ – trotz einiger „Überraschungen“. Inzwischen seien die „Kinderkrankheiten“ fast alle abgestellt. „Ab jetzt läuft das normale Geschäft.“ Das, was er kann, hat er gemacht – so sieht Sälzer das.
Dass bei Bench etwas im Busch ist, lässt sich Sälzer bei seinen Treffen mit Capital nicht anmerken. Doch nachdem sein Entschluss steht, als CEO aufzuhören und nur noch als Gesellschafter weiterzumachen, meldet er sich per Telefon. Der Job bei Bench und seine Mandate bei Amer Sports und in den Bei- und Aufsichtsräten von Deichmann, Lacoste und künftig auch der Modehandelsfirma Ludwig Beck seien ihm zu viel geworden, sagt Sälzer. Er habe sich entscheiden müssen.
Bei Amer Sports wird uns ständig etwas angeboten
Bruno Sälzer
„Ich habe den Zeitaufwand bei Amer Sports einfach unterschätzt“, räumt Sälzer ein. Boardsitzungen, Budgetmeetings, Treffen mit den Marken- und Entwicklungschefs, Besuche bei wichtigen Investoren, die permanente Abstimmung mit seinem CEO: „Unter 60 Tagen im Jahr kann das niemand vernünftig machen.“
Am Ende sei es eine 60:40-Entscheidung gewesen – für den Konzern, mit dem er noch einiges vorhat. Schon im Herbst hatte der neue Chairman erklärt, dass er Amer Sports größer, profitabler und bekannter machen will – und weitere Marken schlucken möchte. Dafür stünden „einige Hundert Millionen Euro“ bereit. „Uns wird ständig etwas angeboten“, sagt Sälzer. Nach den vergangenen Jahren in der Nische will er zurück in die Welt, in der die Big Spender zu Hause sind.
Bloß klopft manchmal noch seine Vergangenheit an. Ein letztes Telefonat mit ihm, nachdem seine Entscheidung, Bench zu verlassen, bekannt wurde. Sälzer ist gerade im Urlaub in Marrakesch. Beim Frühstück in seinem Hotel hat er dort zufällig einen Bekannten getroffen. Es ist der jetzige Chef von Hugo Boss.