„Ein guter Rat ist Gold wert.“ - Unternehmerpersönlichkeiten geben die Ratschläge preis, die für ihre Karriere besonders wichtig waren. Autor Frank Arnold hat sie in seinem Buch „Der beste Rat, den ich je bekam“ zusammengetragen. Capital veröffentlicht Auszüge. Heute: Wolfgang Schäuble
"Der beste Rat, den ich je bekam, den erhielt zunächst einmal nicht ich, sondern Don Camillo – und Papst Johannes XXIII. Der Erste von oben, vom Kreuz, im Film. Der Zweite vom Engel, im Traum.
In einer Folge der in meiner Kindheit populären italienischen Filmreihe "Don Camillo und Peppone" wendet sich der Pfarrer Don Camillo mit seinen Sorgen an das Kruzifix in seiner Dorfkirche und bekommt von Jesus die Antwort: "Nimm dich nicht so wichtig." Genauso wird es allerdings von Papst Johannes XXIII. erzählt. Der habe einmal im Traum einem Engel von der übergroßen Verantwortung geklagt, die auf ihm laste. Da habe ihm der Engel geantwortet: "Giovanni, nimm dich nicht so wichtig."
Für mich ist das aus mehreren Gründen ein sehr hilfreicher Rat: Wenn man unter der Beobachtung der medialen politischen Öffentlichkeit steht, wird ständig interpretiert, was man sagt, gemutmaßt, was man meint, und kommentiert, was man tut. Wenn ich das alles verfolgen, alles lesen würde, was über mich geschrieben wird, würde ich in Versuchung geraten, mich wichtiger zu nehmen, als mir guttut. Und wenn diese Gefahr doch einmal droht, denke ich an Don Camillo. Man wird in dieser politischen Öffentlichkeit auch nicht immer sehr zart angefasst. Sogar Ungerechtigkeiten kommen vor. Man muss lernen, das zu ertragen, eben auch, indem man sich nicht so wichtig nimmt. Und man behandelt selber andere ja auch nicht immer vollkommen gerecht – ganz gleich, ob gewollt oder ungewollt.
In diesem Rat, sich nicht so wichtig zu nehmen, schwingt eine Reminiszenz an das Menschenbild mit, das einem Christen wie mir naheliegt: die Erinnerung an die Vergänglichkeit und Fehlbarkeit des Menschen. Der Mensch ist verantwortlich, aber nicht allmächtig. „Wo immer in der Welt einer nicht mehr weiß, dass er höchstens der Zweite ist, da ist bald der Teufel los“, hat der Dresdner Bischof Reinelt 1995 zum 50. Jahrestag der Bombardierung Dresdens gesagt. Christen wissen: Wir Menschen sind nur für die vorletzten Dinge zuständig. Treffend hat das Matthias Claudius in der vierten Strophe seines „Abendliedes“ ausgedrückt: „Wir stolze Menschenkinder/ sind eitel arme Sünder/ und wissen gar nicht viel;/ wir spinnen Luftgespinste/ und suchen viele Künste/ und kommen weiter von dem Ziel.“
Dieses Wissen um die Begrenztheiten, Vorläufigkeiten, Unvollkommenheiten des menschlichen Lebens, das Wissen, dass die Menschen vielbegabt, aber leider auch in der Sünde verfangen sind, dass sie fehlbar sind und deswegen auch alle ihre hochfahrenden Pläne und Absichten eben allzu oft genau das sind: hochfahrend – dieses Wissen ist eine gute Grundlage für realistisches Handeln, für eine unideologische, pragmatische, menschenwürdige Politik. Eben: „Nimm dich nicht so wichtig.“ Im Grunde geht es dabei um Demut und Respekt: um Haltungen, die Politik am Ende nachhaltiger machen.
Politik, die diesen Rat versteht, versucht, im notwendig Unvollkommenen doch etwas Gutes zu schaffen. Schritt für Schritt, Irrtümer begehend und korrigierend, vorsichtig tastend, ohne große Schneisen zu schlagen, ohne große Sprünge zu tun und ohne aufs Ganze zu gehen. In der Politik aufs Ganze zu gehen hat schon viel Leid über viele Menschen gebracht.
Eine Politik, die sich in diesem Sinne nicht so wichtig nimmt, trifft sich für mich mit der Sozialphilosophie Karl Poppers, die ich seit langer Zeit bewundere. Popper hat in seinem Buch über die „Offene Gesellschaft“ bereits vor 70 Jahren gezeigt, dass freiheitliche Ordnungen genauso mit Fehlern behaftet sind wie unfreie, aber dass ihre Überlegenheit darin gründet, dass sie Fehler korrigieren können – solange sie Schritt für Schritt, de- mütig, aufmerksam, behutsam ihre Ordnung gestalten und entwickeln.
Wir können auf Erden die vollendete Gerechtigkeit nicht schaffen. Wir müssen uns bemühen, weil wir die Gabe haben, verantwortlich zu handeln. Aber wir können nichts Vollendetes schaffen. Nehmen wir uns nicht so wichtig. Das tut uns als Menschen gut. Und das tut der Gesellschaft gut, wenn Politiker sich das zu Herzen nehmen."