Es ist für mich unfassbar, welche Nachrichten und Bilder mich tagtäglich aus der Ukraine erreichen. Häufig kommen mir die Tränen. Wladimir Klitschko, den ehemaligen Boxweltmeister und Bruder des Bürgermeisters von Kiew, habe ich vor einigen Jahren im Rahmen meiner Non-Profit-Initiative Change Rider interviewt. Die vielen mutigen, empathischen, energiereichen und positiven Menschen sind es aber auch, die mir Hoffnung geben. Dabei ist natürlich Wladimir mit seiner Familie, der ukrainische Präsident, das ukrainische Volk, deutsche und internationale Politiker, Menschen aus Wirtschaft, Sport, Gesellschaft und auch viele andere. Es ist wunderbar zu sehen, wie wir alle zusammenstehen. Die Hilfsbereitschaft ist enorm.
Ich selbst habe Ende Februar eine Familie aus der Ukraine aufgenommen. Das ist das mindeste, was wir tun können. Sie sind bei uns in der Münchener Maxvorstadt in zwei Autos nach viertätiger Fahrt angekommen und wir haben sie in unserer Wohnung aufgenommen: Acht flüchtende Menschen aus Kiew. Drei kleine Kinder, ein 17-jähriger Jugendliche, zwei Frauen (davon eine schwanger) und ein Ehepaar. Die Oma sollte auch noch flüchten, sie bewacht aber nun das Haus in der Ukraine. Die beiden Männer der Frauen sind ebenfalls zu Hause geblieben. Unvorstellbar!
Als ich die acht gesehen habe musste ich jede einzelne und jeden einzelnen fest umarmen und an mich drücken. Ich habe sie sofort alle in mein Herz geschlossen. Ich wollte ihnen das Gefühl geben, dass sie für mich keine Fremden sind, herzlich Willkommen sind und dass meine Familie und ich nun für sie da sind. Ich zeigte den Kindern zu allererst die Kinderzimmer und sofort stürzten sie sich auf die Spielsachen. Sie strahlten, kochten in der Kochecke und beluden die Teller mit Holztoast.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal ein Esstisch-Foto veröffentliche. Aber hier ist unsere Abendbrottafel für die Depiereux-Familie samt Neuzugang aus der Ukraine und für die wunderbare Eugenie, die ich erst fünf Tage zuvor über einen Freund kennengelernt hatte. Sie hatte sich vorgenommen, mindestens 20 Menschen aus der Ukraine nach München zu holen, unterzubringen und zu unterstützen. Sie hat uns auch mit unseren neuen acht Familienmitgliedern aus der Ukraine zusammengebracht. Wir sind nun eine 16-Frau-Mann-und-Kinder-Familie.
Am ersten Abend saßen alle bei uns zu Hause und wussten nicht, wie die Zeit für sie bei uns werden wird. Wie lange sie bleiben werden, wann der Krieg enden wird, ob wir uns verstehen werden, ob sie sich wohl fühlen werden, ob sie über ihre Ängste sprechen werden. Ungewissheit für uns alle. Aber eines war sicher und gewiss: Wir stehen und rücken zusammen, wir sind füreinander da und wir schreiben ab sofort jeden Tag positive Geschichten. Wir zeigen, dass wir nicht nur reden, sondern machen. Und wir zeigen, dass wir uns gegenseitig anvertrauen und vertrauen, obwohl wir einander nicht kennen. Und was mir noch klar geworden ist: Alle, wirklich alle, unsere bisherigen Probleme und Sorgen in unserer Familie sind nichts im Vergleich zu den Sorgen, Ängsten und Themen unserer neuen Freunde aus der Ukraine.