Der Mann, der angeblich Beweise zum Abschuss der Passagiermaschine MH-17 liefern kann, verschwindet auf einem Klapprad. Rechts, links, kleine Wege, zu schmal, als dass ein Auto ihm folgen könnte. Der Schweizer bleibt zurück und lächelt. In der Tasche spielt er mit einer zerrissenen Dollarnote. Seine Auftraggeber werden zufrieden sein. 20 Minuten hat er mit dem Informanten unter vier Augen gesprochen. Das reichte ihm.
Der Schweizer ist sich sicher: Das ist der Mann, auf den sie gewartet haben. Dem sie eine Millionenbelohnung in Aussicht gestellt hatten und auszahlen werden. Für Beweise, die belegen können, wie seit dem Abschuss des Flugzeuges am 17. Juli 2014, bei dem alle 298 Insassen ums Leben kamen, die Aufklärung verschleiert wurde.
„Unsere Auftraggeber haben die Informationen bekommen, die sie erhalten wollten“, sagt Josef Resch. „Damit ist mein Auftrag beendet.“ Der Lübecker Privatermittler sei bereits von den Schweizer Mittelsmännern ausgezahlt worden, gegen Stillschweigen. Die Strapazen der vergangenen Monate sind dem 66-Jährigen anzumerken. Viele Drohungen gab es. Gegen ihn, seine Mitarbeiter, seine Familie. Dubiose Treffen, auffällige Autos in seiner Umgebung, Menschen, die ihm folgten. Ein Mitarbeiter sagt: „Vielleicht haben wir die politische Dimension des Auftrags auch anfangs unterschätzt.“
Der Auftraggeber bleibt anonym
Eine leichte Unzufriedenheit schwingt mit. Immer noch weiß Resch nicht, wer seine Auftraggeber sind, was sie mit den gekauften Informationen vorhaben. Er kennt nicht deren Absicht. Sind seine Auftraggeber politisch motiviert? Oder wirtschaftlich? Will jemand nur Klarheit? Oder einen möglichen Verräter finden, ehe er sich an andere wendet? Informationen aufkaufen, ehe sie Schaden anrichten können. Er weiß es einfach nicht. Und das nagt an ihm.
Im September vergangenen Jahres wurde Resch über einen Schweizer Mittelsmann beauftragt, eine Belohnung auf Hinweise zu dem Umständen und auf die Hintermänner des Abschusses der MH 17 auszuloben: 30 Mio. Dollar. Mehr als die US-Behörden damals auf den Kopf von Osama bin Laden ausgesetzt hatten. Resch ist bekannt für seine unorthodoxen Ermittlungsmethoden, er agiert in einem juristischen Graubereich. Er arbeitet mit hohen Belohnungen, setzt auf die Gier von Mitwissern. Auch den damals flüchtigen Börsenspekulanten Florian Homm hat er auf diese Art nach über fünf Jahren im Versteck an die Öffentlichkeit getrieben.
Doch dieses Mal ist alles anders. Er jagt keine mutmaßlichen Betrüger. Seine Auftraggeber sind keine geprellten Anleger, keine Konzerne. Es ist ein großer Unbekannter mit sehr viel Geld. Und die Feinde, die er sich macht, sich mächtig. Die Wahrheit, die er sucht, will vielleicht niemand hören. Weil sie das Potenzial haben könnte, ein politisches Erdbeben auszulösen. Noch bevor er den Auftrag annimmt, geht ihm durch den Kopf: „Vielleicht soll ich ja nur der nützliche Depp in einem abgekarteten Spiel sein.“ Trotzdem nimmt er den Auftrag an. „Was kann schlecht daran sein, die Schuldigen an dem Tod von 298 Menschen zu finden“, beruhigt er sich. Das Honorar wischt die letzten Zweifel weg.
Wem kann man was glauben?
Im November 2014 treten die Schweizer erneut an ihn heran. „Wir brauchen einen zweiten Edward Snowden“, sagt Resch anschließend. Jemanden aus den Diensten, der belegen könne, dass die Aufklärung behindert werde. Der wisse, was nicht publik werden dürfe. Für diese Informationen bieten die anonymen Auftraggeber weitere 17 Mio. Dollar.
Immer noch hat das offizielle internationale Ermittlerteam unter Führung der Niederlande keine Beweise vorlegen können. Auch heute, knapp ein Jahr nach der Katastrophe, steht immer noch nicht fest, was genau in den Mittagsstunden des 17. Julis 2014 passiert ist.
Es gibt nur Theorien. Glaubhaftere, und welche die stark nach Verschwörung aussehen. Die gängigste und plausibelste ist, dass die Maschine auf ihrem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur mit einer russischen Boden-Luft-Rakete, einer BUK, vom Himmel geholt wurde. Ob russische Armeeangehörige oder prorussische Separatisten sie abgefeuert haben, bleibt unklar. Videos und Bilder, die im Netz kursieren, sollen belegen, wie das BUK-System von Russland in die Ostukraine gebracht wurde. Und dort, an jenem Donnerstag gegen 13.20 Uhr abgefeuert wurde. Medien machen sich auf den Weg in die Ukraine, sprechen mit angeblichen Zeugen, recherchieren an den Schauplätzen. Doch wem und was kann man glauben?
Halbe Dollarnote als Erkennungszeichen
Seine Auftraggeber sind Profis. Oder haben zu viel James Bond geschaut. Die Kommunikation mit dem Schweizer Mittelsmann läuft größtenteils über Codes auf Websites. Von Telefonzellen aus werden Nummern im Ausland gewählt, die oft zu Restaurants gehören. Nachrichten werden dort hinterlegt. Bei einem der ersten Treffen soll Resch eine Dollarnote signieren. Der Schweizer reißt sie anschließend in zwei Teile, mitten durch die Unterschrift, reicht die eine Hälfte Resch, die er fortan bei sich tragen soll. Die andere Hälfte steckt er ein. Es könne sein, sagt der Schweizer, dass Mitarbeiter von ihm bei dem Ermittler auftauchten, um Nachrichten auszutauschen. Die hätten immer die Hälfte des Dollars dabei. Wer ihn ohne die Dollarnote anspreche, komme nicht von ihm.
Als die Belohnung für die Hinweise auf MH 17 weltweit publik wird, wird Resch von einer Lawine an Mails, Anrufen und Briefen verschüttet. Sein Server bricht sogar zeitweise unter der Last zusammen. Dokumente werden ihm zugestellt, mal besser, mal schlechter gefälscht. Verschwörungstheorien aller Art bekommt der Ermittler zu hören. „Wir haben Wochen gebraucht, um zu sichten und zu sortieren. 99,9 Prozent waren klar als Schwachsinn abzuhaken“, sagt Resch.
Treffen in Hotels
Jede Beweiskette kann anscheinend widerlegt werden. Fotos werden als Fälschungen entlarvt, die entlarvenden Beweise dafür später stellen sich als stümperhaft heraus. Russland präsentiert Bilder von ukrainischen Militärjets, mit Kurs auf MH 17. Glaubhafte Analysen belegen, sie sind gefälscht. Die Regierungen in Kiew und Moskau tun alles, um die Schuld des anderen zu belegen. Die Wahrheit bleibt dabei auf der Strecke. Das Schweigen der USA gibt die meisten Rätsel auf. Ein Kriegsgebiet am östlichen Rand Europas soll nicht akribisch überwacht worden sein? Kaum vorstellbar. Und auch die Ohnmacht der internationalen Ermittler lässt zweifeln. Soll etwas vertuscht werden?
Resch und sein Team vereinbaren mehrere Treffen mit angeblichen Informanten. Jeder Termin akribisch vorbereitet. Meist in Deutschland, in Hotels in der Umgebung von Lübeck. Hier fühlt Resch sich sicher. Es ist sein Spielfeld. Aufforderungen, in die Ukraine oder nach Russland zu kommen, ignoriert er. „Wer wirklich brauchbare Belege hat, und sie verkaufen will, der kommt auch nach Deutschland“, ist sein Credo.
Der Lord im schwarzen SUV
Einige Informanten melden sich bei dem Anwalt von Resch. Auch in dessen Kanzlei finden Treffen statt. Wie im Dezember, als zwei schwarze Geländewagen mit britischem Kennzeichen vorfahren. Drei Herren steigen aus, stellen sich als die Leiter einer Sicherheitsfirma vor, die für die britische Regierung in der Ukraine tätig ist. Der Wortführer trägt den Titel eines Lords. Auf der Website der Firma finden sich Filme, wie schwerbewaffnete Söldner Häuser und Busse stürmen. Sowie der Hinweis, dass das Unternehmen im Bereich Militär, Verteidigung und Geheimdienst tätig sei und enge Bindungen zur britischen Regierung pflege.
Für die Regierung in Kiew habe das Unternehmen, so die Briten, die Kommunikation der Russen aufgezeichnet und ausgewertet. Daraus ginge hervor, dass die Russen MH 17 abgeschossen hätten. Es gebe sogar Videos. Die Beweise sollte es aber nur gegen Bares geben. Die Legende: Das private Unternehmen wolle sich seine im Dienste der Krone erworbenen Erkenntnisse vergolden lassen. Zu plump, findet Resch. Ein zweites geplantes Treffen in Zürich lässt er platzen.
Unterlagen vom ukrainischen Geheimdienst?
Zeitgleich finden laut Resch auch Treffen mit einem russisch sprechenden Mann statt. Zweimal hätten sie den etwa 35 bis 40-Jährigen getroffen. Er hätte jeweils einen dicken Ordner mit Unterlagen, Kopien von Dokumenten mit Stempeln und den Verweisen „streng geheim“ dabei gehabt. Angeblicher Absender: der ukrainische Geheimdienst SBU. Der Mann, so habe er gesagt, hätte viele Kontakte in die Spitze der Ukraine.
Laut Informant sollen die Originalunterlagen längst vernichtet worden sein. Auch diese Anordnung dazu findet sich in den Unterlagen wieder. Capital konnte sie einsehen. In den vorgelegten Dokumenten, deren Echtheit nicht verifizierbar ist, wird Bezug auf den Abschuss von MH 17 genommen, über die Verhaftung von Zeugen berichtet, die Verlegung von Truppen. In einer Anordnung vom 24. Juli 2014 an den Leiter der Direktion der SBU im Gebiet Lugansk heißt es, dass einer der Militärangehörigen Videoaufnahmen des Ereignisses gemacht habe. Der Mann sei zu identifizieren und vorläufug festzunehmen.
Der Informant habe jedoch darauf bestanden, direkt mit Reschs Auftraggebern zu sprechen. Außerdem habe er versucht, einen Keil in Reschs Team zu treiben. Ein ehemaliger Kriminalhauptkommissar sei ein Spitzel der Ukrainer, behauptete er. Das hätten Nachforschungen ergeben. Resch brach den Kontakt zu dem Russen ab, schätzte ihn als nicht glaubwürdig ein.
Handelseinig mit Informant
Erst vor wenigen Wochen kam der Kontakt zustande, der nun zum Durchbruch geführt haben soll. Der Mann habe morgens um 9 Uhr unangemeldet vor seinem Wohnhaus gestanden, sagt Resch, und um ein Gespräch gebeten. Das habe man dann an einem öffentlichen Ort geführt. Über die Inhalte der Gespräche darf Resch nicht reden. Er hat gegenüber seinen Auftraggebern eine Verschwiegenheitserklärung abgeben müssen.
Der Informant schien ihm so glaubwürdig, dass er erstmals den Schweizer Mittelsmann zum nächsten Treffen bestellte. Es kam der Mann mit der halben Dollarnote. Und angeblich wurde man sich handelseinig. Ende Mai wurde Resch, so sagt er, sein Honorar ausgezahlt und die Suche eingestellt.
„Ich rechne damit, dass sehr bald etwas passieren wird“
Vier Tage später klingelt es erneut an seiner Tür. Ein Herr, der sich als Mitarbeiter einer großen deutschen Anwaltskanzlei vorstellt, macht Resch ein Angebot für seine gewonnenen Informationen. „Das könnte ein Test meiner Auftraggeber gewesen sein“, vermutet Resch. Oder aber der Anwalt habe im Auftrag einer Behörde gearbeitet.
Nach zehn Monaten Ermittlungen ist Resch froh, dass der Fall abgeschlossen ist. Wer MH 17 abgeschossen hat, das kann auch er nicht sagen. Resch zuckt mit den Schultern. In die Details des letzten Informanten sei er nicht mehr eingeweiht. Das zumindest sagt Resch. Bis dahin habe es für jede Version gut gemachte Belege gegeben. „Je länger wir ermittelt haben, umso undurchsichtiger wurde es.“ Aber, so Resch weiter: „Ich rechne damit, dass sehr bald etwas passieren wird. Wer so viel Geld für Informationen zahlt, der behält sie nicht für sich."