Chris Capossela ist Executive Vice President und Marketingchef bei Microsoft.
Capital: Sie bieten mit Windows 10 erstmals ein Betriebssystem zur Gratis-Installation an. Warum?
Chris Capossela: Der Vorteil für Microsoft ist: Je mehr Leute wir bei Windows 10 haben, desto mehr Entwickler werden Anwendungen dafür programmieren. Das Programm funktioniert ja auf allen Geräten, auf Telefonen, Tischrechnern, Tablets und X-Boxen und wird daher für Entwickler interessant sein: Mit einer App kann man eine ganze Reihe von Geräten bespielen.
Wie ist bisher die Reaktion der Kunden?
Die Tatsache, dass wir das Upgrade gratis anbieten, hat uns sehr schnell auf eine Nutzerzahl von 100 Millionen gebracht. Das ist hervorragend.
Deutsche Nutzer gelten als sehr sensibel, was den Datenschutz angeht. Wie geht Microsoft damit um?
Wenn man sich eine Skala für die Bedeutung des Themas Datenschutz vorstellt, ist Deutschland eindeutig an der Spitze dieser Skala. Microsoft muss daher hier sehr deutlich machen, dass die Daten unabhängig vom Produkt immer in den Händen und unter Kontrolle des Kunden bleiben. Und wer seinen Rechner zu 100 Prozent offline nehmen will, der sollte diese Möglichkeit haben. Dann bekommt er allerdings natürlich auch keine Updates oder Korrekturen.
Fokus Geschäftskunden
Reicht es denn, dem Nutzer zu sagen, dass seine Daten sicher sind?
Nein, aber wir begegnen den Vorbehalten auch mit dem was wir tun. Wir haben angekündigt, mit der Deutschen Telekom ein Rechenzentrum in Deutschland zu betreiben, damit Kunden die Wahl haben. Wer möchte, dass seine Daten in Deutschland bleiben, hat damit die Möglichkeit. Bei Google gilt das zum Beispiel nicht.
Lässt sich mit der Aufbewahrung von Daten überhaupt Geld verdienen?
Die reine Aufbewahrung von Daten ist kein gutes Geschäft. Aber wir verdienen mit der Cloud Geld, weil wir dem Kunden einen Mehrwert bringen, wie mit Office 365 oder mit Datenanalyseprodukten. Ein Beispiel: ThyssenKrupp kann mit unserer Unterstützung die Kosten für den Unterhalt seiner Fahrstühle reduzieren. Die Daten von elf Millionen Fahrstühlen fließen in unsere Cloud, und das Unternehmen kann mit unseren vorbeugenden Analyse-Tools feststellen, wann ein Fahrstuhl gewartet werden muss - und zwar bevor es zu Problemen kommt. Dafür ist ein Unternehmen natürlich bereit zu zahlen, aber das ist weitaus mehr als reine Aufbewahrung von Daten.
Konzentriert sich Microsoft im mobilen Bereich auf den Unternehmenskunden?
Das Smartphone Lumia 950 funktioniert hervorragend, wenn der Kunde bereits Windows 10 nutzt, weil er eine vertraute Nutzeroberfläche vorfindet und seine Daten auf dem PC, Tablet und dem Telefon verfügbar hat. Es ist damit ein hervorragendes Telefon für Unternehmenskunden, die Geräte für ihre Angestellten bereitstellen. Gerade die Sicherheits-Features, die wir anbieten, sind auf Business-Kunden zugeschnitten. Wir haben also zwei Kundengruppen im Fokus: Geschäftskunden und Hardcore-Windows-Fans.
"Wir galten lange als Reich des Bösen"
Welche Rolle spielt dabei die Kooperation mit Wettbewerbern wie Apple?
Was wir anstreben, ist, dass es für Geschäftskunden deutlich einfacher wird, alle betriebenen Geräte zu verwalten - ob es nun Iphones oder Android-Tablets oder Windows-Geräte sind. Da spielt auch unser Cloud-Angebot eine große Rolle, und es ist wichtig, dass wir da offen für andere Anbieter sind. Wir betrachten es als Mission, die Produktivität in Unternehmen zu erhöhen - Meetings sinnvoller zu gestalten und vieles mehr. Wir haben Office für den Mac seit vielen Jahren im Angebot. Es ergibt also Sinn, Office auch für Android oder für Iphones anzubieten. Und die Nachfrage bei den Kunden ist groß.
Und die früheren Feindschaften sind beendet?
Es gibt da ganz offenkundig auch ein Umdenken im Silicon Valley. Bei manchen Unternehmen dort galten wir ja lange als eine Art Reich des Bösen. Dort bekommen wir jetzt viel Zustimmung zu unserer Bereitschaft, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Für uns waren Apple und Google ohnehin nie Feinde, es sind unsere Wettbewerber.
Kann man sagen, dass sich Microsoft als Start-up neu erfindet?
Wir wollen so hungrig sein wie ein Start-up, wir wollen Druck unter dem Kessel bekommen, wir wollen ständig dazulernen. Aber wir möchten auch länger am Leben bleiben als es bei den meisten Start-ups der Fall sein wird. Start-ups werden auch oft durch eine rosa Brille gesehen. Das Leben ist sehr, sehr hart für ein Start-up. Die müssen buchstäblich von Woche zu Woche leben. Nur eins von 10 Start-ups überlebt. Insofern sind wir froh, bereits ein etabliertes Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäft zu sein.
Wie erzeugt man diesen Hunger in einem etablierten Unternehmen?
Die Veränderung, die wir durchmachen, hat mit Unternehmenskultur zu tun. Es geht darum, eine Wachstumsstimmung zu erzeugen. Wir wollen neugieriger, offener sein und bereit zu lernen. Das ist ein wichtiger Wandel, aber es wird Jahre dauern. Das kann unser Führungsteam nicht innerhalb eines Jahres schaffen. Aber der Wechsel an der Spitze war entscheidend. Satya Nadella hat eine neue Herangehensweise, eine andere Art zu führen. Veränderung muss von oben beginnen, man kann damit nicht von unten anfangen. Natürlich kann an einzelnen Stellen im Unternehmen autonom etwas Gutes entstehen, aber solange es niemand gibt, der die Richtung vorgibt, wird das nicht langfristig funktionieren.
Das Smartphone als Produktivitätsmaschine
Wie wichtig sind Zukäufe für Microsoft?
Wir haben in den vergangenen zwei Jahren ungeheuer viel zugekauft. Es ist ein zentraler Punkt unserer Strategie, da wir ja glücklicherweise ein Unternehmen mit einem starken Cashflow sind. Viele davon werden in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Wir haben in den letzten neun Monaten drei Unternehmen für Sicherheitssoftware übernommen. Wir haben Email-Apps wie Accompli und Kalender-Apps wie Sunrise für das Iphone gekauft. Wir haben Wunderlist gekauft.
Der Kauf von Wunderlist, der App eines Berliner Startups, hat in Deutschland viel Aufsehen erregt. Welche Funktion hat die App für Microsoft?
Eines unserer zentralen Ziele ist es, Produktivität neu zu erfinden. Office steht dabei im Zentrum. Im Kern steht dabei auch der Versuch, mit dem Smartphone produktiver zu werden. Wunderlist ist nicht für den großen Bildschirm sondern für den kleinen geschaffen. Wenn Leute bisher ihre Smartphones benutzen, dann kommunizieren sie sehr viel, sie spielen sehr viel, und das war es. Wir wollen erreichen, dass sie darauf auch etwas schaffen können. Produktivität auf dem Smartphone heißt bisher: Kommunikation. Wir glauben, dass die Leute mit ihren Smartphones deutlich produktiver werden können.
Wird Wunderlist weiter Wunderlist heißen oder in Office integriert?
Wir werden sehen. Es ist noch früh, dazu etwas zu sagen.
Windows 10 soll ständig aktualisiert werden. Ist es der letzte neue Windows-Name, den wir uns merken müssen?
Ich würde mich da nie festlegen. Wir wären verrückt, wenn wir auf die Möglichkeit verzichteten, unserer Software neue Namen zu geben. Windows 10 wird als Betriebssystem ständig upgedatet. Und es wird mit der Zeit immer besser werden. Es stimmt natürlich, dass der Name in seiner Einfachheit eine gute Anmutung hat. 10 ist in vielen Kulturen eine Zahl, die für die beste Leistung steht. Der Name gefällt uns also, aber ich werde mich nicht auf einen Namen festlegen.