US-Ökonom Larry Summers sieht in der „Sparflut“ das zentrale Problem für die Weltwirtschaft. In einer Rede bei einer Konferenz des Internationalen Währungsfonds analysierte Summers, dass die Ersparnisse die Investitionen bei weitem übersteigen. Eigentlich müssten sie im Weltmaßstab betrachtet im Einklag stehen. Dafür soll der Zins sorgen. Summers warf in seiner Rede aber die Frage auf, ob der Realzins nicht schon negativ sei. Das würde erklären, warum die Unternehmen wenig Investitionslust zeigen. Eigentlich hätte die Wirtschaft nach der großen Krise rasant wachsen müssen, doch der „V“-Effekt ist ausgeblieben. Und die globale Wirtschaftsentwicklung bleibt hinter dem Trendwachstum zurück.
Die Worte des früheren US-Finanzministers und Harvard Professors haben Gewicht. Summers war der Wunschkandidat von US-Präsident Barack Obama für die Nachfolge Ben Bernankes als Chef der US-Notenbank Fed. Statt Summers wird Janet Yellen den Chefposten der weltweit wichtigsten Zentralbank übernehmen. Von Yellen wird erwartet, dass sie die ultralockere Geldpolitik der Fed vorerst fortsetzt.
Summers hätte wohl auch keine andere Politik eingeschlagen. Bei einer Veranstaltung des Wall Street Journal kritisierte er, dass sich die Politiker zu stark auf Haushaltsdefizit und Staatsschulden konzentrierten. Stärkeres Wachstum werde die Schuldenprobleme beseitigen:
“The truth is that if we get past out current, perhaps protracted bout of secular stagnation and get the growth rate up, the debt problem will stay under control.”
Krugmans Lob
Paul Krugmans Kommentar zu Summers’ Äußerungen fielen gerdezu enthusiatisch aus:
„I’ve been thinking along the same lines, and have, I think, hinted at this analysis in various writings. But Larry’s formulation is much clearer and more forceful, and altogether better, than anything I’ve done.“
Als Anhänger keynesianischer Theorien sieht der Wirtschaftsnobelpreisträger in Larry Summers einen Verbündeten seiner Nachfrage orientierten Politikempfehlungen:
„...spending is good, and while productive spending is best, unproductive spending is still better than nothing.“
Krugman erklärt auch, was er damit meint:
„But suppose that U.S. corporations, which are currently sitting on a huge hoard of cash, were somehow to become convinced that it would be a great idea to fit out all their employees as cyborgs, with Google Glass and smart wristwatches everywhere. And suppose that three years later they realized that there wasn’t really much payoff to all that spending. Nonetheless, the resulting investment boom would have given us several years of much higher employment, with no real waste, since the resources employed would otherwise have been idle.“
Demnach muss alles getan werden, um die Nachfrage anzukurbeln, auch wenn sich das als nicht nachhaltig herausstellt. Hauptsache Wachstum.
Investitionen ankurbeln oder Bargeld abschaffen?
Die Analyse von Summers wird auch von anderen Experten ernst genommen. FT-Kolumnist Martin Wolf etwa sieht in der Sparflut ebenfalls ein Problem. Er empfiehlt Investitionen als Gegenmittel, auch wenn sich einige als Fehlschläge erweisen könnten:
„The best response, then, is measures aimed at raising productive private and public investment. Yes, mistakes will be made. But it will be better to risk mistakes than accept the costs of an impoverished future.“
Es kursieren aber auch noch weit radikalere Ideen, etwa von Wolfgang Münchau auf Spiegel Online:
„Man könnte Bargeld abschaffen. Damit wäre es den Notenbanken möglich, die Zinsen unter die Marke von Null zu drücken, weil die Menschen ihr Bargeld nicht mehr zu Hause aufbewahren könnten. Mit einem Notenbankzinssatz von minus fünf Prozent hätte sich das Problem eines strukturellen Sparüberschusses schnell erledigt. Die Menschen würden ihr Geld ausgeben - egal wofür.“
Münchau hält diese Idee allerdings nicht für politisch durchsetzbar. Auch ein anderer Ansatz – die Verstaatlichung des Bankensystems – wäre international kaum praktikabel. Eine einzelstaatliche Lösung ist laut Münchau nicht sinnvoll. Letztlich landet auch er wie Wolf bei den Investitionen:
„Durch staatliche Investitionen und die entsprechend höhere Nachfrage nach Kapital würde man den Realzins wieder in den positiven Bereich drücken.“
Ähnliche Argumente kommen vom Kölner Wirtschaftsprofessor Carl Christian von Weizsäcker. Auch er sieht den Staat in der Pflicht, die Flut an Ersparnissen zu absorbieren, schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung über Weizsäckers Standpunkt. Der Staat könne als einziger künftige Steuereinnahmen als Sicherheit bieten.
Heiner Flassbeck hält dagegen die Diagnose für falsch: „Die Nachfrage lässt sich nicht beleben, weil die Einkommenserwartungen der Mehrheit der Bürger schlecht sind, und nicht etwa, weil sie viel liquide Mittel in der Kasse halten wollen.“
"Verschuldungsüberhang"
Dem Ökonomen Daniel Stelter geht die Summers’-Analyse nicht tief genug. In einem Beitrag auf cicero.de kritisiert er, dass die Ursachen für die „Sparflut“ nicht herausgearbeitet wurden. Es gebe „einen Ersparnisüberhang, weil es einen Verschuldungsüberhang“ gebe:
„Wir brauchen immer mehr Schulden, um etwas Wachstum zu generieren. Sobald die Schuldner wirklich versuchen, die Schulden aus Einkommen zu bedienen, sinkt das Wachstum weiter ab. Genau dieser Effekt ist seit Beginn der Finanzkrise zu beobachten.“
Stelter folgert daraus, dass „Bereinigung durch Schuldenschnitte und eine Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern“. Und um künftig Wachstum zu erzielen, müsse das Arbeitskrtäftepotenzial ausgeschöpft werden.
„Höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, längere Lebensarbeitszeit und gezielte Einwanderungspolitik sind die Stichworte. Auch eine Reduzierung des öffentlichen Sektors, um Arbeitskräfte für den produktiven Teil der Wirtschaft freizusetzen, ist angezeigt.“