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Gastbeitrag Frauen, rüttelt an den Vorstandstüren!

Die Bronzestatur "Fearless Girl" der amerikansichen Bildhauerin Kristen Visbal
Die Bronzestatur "Fearless Girl" der amerikansichen Bildhauerin Kristen Visbal
© Paul Hudson
Per Quotendruck müssen Männer Platz frei machen für Frauen. Statt ruhig und artig auf ihre Posten vorzurücken, sollten Managerinnen ihre Macht auch nutzen. Martina Lackner plädiert für eine Revolution der Führungskultur

Martina Lackner , Psychologin, Autorin und Unternehmerin, hat sich 2019 in einem vierköpfigen Team mit Expertinnen auf den Gebieten weibliche Identität und Frauenförderung, Führungskräfteentwicklung, Psychologie sowie systemische Familien- und Psychotherapie zusammengeschlossen, um zum Thema Karrierehemmnisse von Frauen zu forschen (Side by Side-Studie: eine psychologische Untersuchung verborgener Karrierewiderstände hochqualifizierter Frauen). Zudem bietet Lackner psychologisches Profiling zur Potenzialanalyse von weiblichen und männlichen Führungskräften an.

Es ist schon viel gerätselt worden, warum es so wenige Frauen nach oben schaffen. Fakt ist: Es gibt mittlerweile viele topqualifizierte Frauen, die zwar nach oben schauen dürfen, aber nur wenige von ihnen werden in den männlich dominierten Olymp vorgelassen, oftmals nur notgedrungen. Um es deutlich zu sagen: Die Quote ist eine Kriegserklärung. Das ist aus meiner Sicht der wesentliche Grund, weshalb viele Frauen so zögerlich bei der Forderung nach einer Führungsposition sind, sich fast schon für die Quotenregelung entschuldigen, statt klar und deutlich darauf zu bestehen und sie aktiv zu nutzen.

Die Situation von Frauen in Unternehmen gestaltet sich eher individuell. Sie sind zwar eingebunden in Netzwerke und hätten hier Ansprechpartnerinnen und viele Mitstreiterinnen, aber einen tatsächlich starken Schulterschluss, gibt es nicht. MeToo-Debatten, wie wir sie aus den USA kennen, sind undenkbar. Hierzulande sind Kampagnen zur Stärkung von Frauen, wie sie die ehemalige Siemens-Vorständin Janina Kugel oder die bekannte Schauspielerin Maria Furtwängler initiierten, kurze Highlights im Kampf um Gleichstellung beziehungsweise die Quote, doch sie kommen nicht in ihre volle Kraft. Eine revolutionäre Bewegung der Frauen in Deutschland? Fehlanzeige.

Frauen solidarisieren sich nicht

Um große gesellschaftliche Umbrüche herbeizuführen, braucht es einen Zusammenschluss von Menschen, die als Gruppe eine Dynamik herstellen können, sodass weitere Teile der Gesellschaft sich dieser Kampagne anschließen. In Deutschland scheitert es schon an der nicht vorhandenen konsequenten Solidarisierung von Frauen. Sie halten Vorträge, sie präsentieren sich als „Role models“, organisieren Netzwerkveranstaltungen, aber: sie finden keinen dauerhaften Zusammenschluss. Sie bleiben letztendlich in der Vereinzelung – schnell mal ein Highlight gepostet, das einem Image bringt, und dann wird frau wieder vom Berufsalltag verschluckt.

Martina Lackner
Martina Lackner
© Privat

Das gut gemeinte Engagement hält sich immer in Grenzen und findet nur punktuell statt. Teilnehmerinnen von Empowerment-Veranstaltungen lassen sich berieseln, die Kontakte bleiben an der Oberfläche, nur nicht zu viel Nähe und Offenheit. Die Frauen bleiben hinter einer Fassade und halten am Statusdenken fest, wenn sie es in die Topetagen geschafft haben.

Unbewusst bleiben sie dadurch dem patriarchalen System treu und folgen dem Motto: sich im letzten Moment anpassen, die Füße stillhalten und nicht zu viel für Aufruhr sorgen. Zusammenschlüsse in Gruppen, die konkret an den Vorstandstüren rütteln und Forderungen stellen, wären zu gefährlich fürs eigene Ansehen. Wegen dieser „Beißhemmung“ verspielen Frauen gute Chancen, Verhaltensänderungen im System Unternehmen herbeizuführen. Der Personalvorstand eines großen Versicherungskonzerns hat es so formuliert: „Würden vier Frauen an meinem Schreibtisch gleichzeitig stehen und Forderungen stellen, hätte ich keine Chance. Sie tun es nur nicht.“ Frauen antworten indirekt auf ein System, das keine machtvollen Frauen in leitenden Positionen haben will.

In einer Studie über die Karrierewiderstände topqualifizierter Frauen habe ich mit einem Team von Expertinnen mit psychologischem Blick die Hintergründe erforscht. Sie hat eindeutig gezeigt, dass Frauen Respektlosigkeiten, Ausgrenzungen oder Mobbing intellektualisieren. Das ist vermutlich auf der innerpsychischen Ebene der wesentliche Grund, warum Frauen so wenig in Gegenwehr gehen. Gerade gebildete Frauen achten auf die Form, aber getrennt von Emotionen. Wo bleibt die Wut auf ein System, dass sie offen oder getarnt klein hält? Gefühle wie Wut oder auch Trauer, die ein adäquater Ausdruck im Kontext ihrer Erlebnisse gewesen wären, fehlen. Sie werden weggedrückt, abgespalten oder durch die Ratio ersetzt („war immer schon so“, „das ist bei uns so“). Business as usual.

Symptom der erlernten Hilflosigkeit

Wenn Gefühle wie Wut keinen Ausdruck und Raum bekommen, ist der Impuls zur Gegenwehr wenig ausgeprägt. Der fehlende Impuls bestärkt wiederum das Verhalten von Menschen in Machtsystemen. Wer sich nicht wehrt, wird immer mehr an die Wand gefahren. Allerdings gilt auch: Wer sich wehrt, kann die Situation zum Eskalieren bringen. Widerstand und Konfrontation bergen die Gefahr eines Konflikts, möglicherweise sogar eines Jobverlusts. Es entsteht ein Teufelskreis: Weil sie sich nicht wehrt, bleibt alles beim Alten, und weil alles beim Alten bleibt, entsteht das Symptom der erlernten Hilflosigkeit. Die Frauen empfinden ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Und erkennen in diesem Zustand auch keinen Ausweg. Die Folge sind Angst, Depressionen sowie eine psychische Erstarrung. Und Menschen, die erstarrt sind, zetteln keine Revolutionen an.

Es sind zunächst die Frauen selbst, die an dieser Stelle gefordert sind. Allerdings stehen sie sich selbst oft genug im Weg. Befragt man sie zur Quote, kann es sein, dass sie sie ablehnen. Wer will schon zur Quotenfrau werden? Sie wollen nur über Leistung in Toppositionen kommen. Doch welcher Mann kommt tatsächlich nur durch Leistung in diese Positionen? Manche Frauen haben bisher nicht realisiert, dass die Vergabe von bestimmten Ämtern nach anderen Kriterien funktioniert: Mann, Netzwerk und Dominanzgebaren sind schon mal hervorragende Grundvoraussetzungen. Frau, Frauennetzwerk und noch intellektualisierte Sprache eher weniger.

Fragt sich, warum Frauen so wenig in der Lage sind, darüber zu reflektieren, was wirklich nötig ist, um in Führungspositionen zu kommen. Wir haben in unserer Studie festgestellt, dass sie eine fast schon ideal romantische Vorstellung gekoppelt an ein extrem hohes Wertesystem haben. Sehr löblich, wenn mein Lebensmotto ist: Ich will die Welt jeden Tag ein Stück besser machen – aber eher hinderlich, um den gnadenlosen Kampf um den Stuhl in der 20. Büroetage für sich zu entscheiden.

Die Quote wird erst der jüngeren Generation helfen

Dann lassen Sie uns doch lieber darauf anstoßen, dass es die Quote gibt, so mini sie auch ist. Gegen den Widerstand von Männern und so mancher Frau. Wird sich dadurch viel ändern? Vermutlich nicht. Statistiken besagen, dass Vorstände Mitte 50 sind. Ihre Erfolgsstrategien sind gefestigt und erprobt, ebenso wie ihre Haltungen und Sichtweisen zum „schwachen Geschlecht“. Sicher, Menschen können und müssen lebenslang lernen, neues Fachwissen erlangen und sich in der sich rasend schnell verändernden IT-Welt zurechtfinden. Doch die eigenen Ängste zu erkennen, zu überwinden und eine andere Haltung einzunehmen, ist eine ganz andere und weitaus schwierigere Herausforderung. Wir müssen davon ausgehen, dass in diesem Alter bestimmte Denkstrukturen und Muster so verinnerlicht sind, dass sie kaum veränderbar sind. Bei Männern wie Frauen. Die Quote wird vermutlich erst bei der nächsten Generation Wirkung zeigen.

„Die Quotenfrau – Expert*innen beziehen Position zur Frauenquote und der Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland“ von Petra Nabinger, erscheint am 1. August 2021 im Littera Verlag
„Die Quotenfrau – Expert*innen beziehen Position zur Frauenquote und der Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland“ von Petra Nabinger, erscheint am 1. August 2021 im Littera Verlag

Wenn Unternehmen sich tatsächlich dem Thema Gleichstellung widmen wollen und das nicht nur auf dem Papier, braucht es mutige Menschen, die sich vor allem um die jüngere Generation kümmern. Väter, die Töchter haben und ihnen reelle Chancen auf Karrierepositionen eröffnen wollen, tun gut daran, in ihren Funktionen Einfluss geltend zu machen. Indem sie die Kolleginnen trotz oder gerade wegen der Quote begrüßen und jungen Frauen den Weg ebnen. Es braucht Männer, die anderen Männern vorleben, dass ihnen kein Zacken aus der Krone fällt, wenn sie sich von Frauen führen lassen oder partnerschaftlich mit Frauen zusammenarbeiten. Es braucht Männer, die ihre Daseinsberechtigung nicht nur aus dem Job ziehen, sondern sich allen Herausforderungen des Lebens stellen. Auf den Punkt gebracht: Es braucht echte männlich Vorbilder.

Doch damit allein ist es nicht getan. Es braucht genauso klarsehende und handelnde Frauen, die ihren Einfluss energisch nutzen. Statt zäher, of jahrelang dauernder Verhandlungen und gutem Zureden sollten sie ihre Kraft bündeln. Sie sollten ihre Macht dafür einsetzen, ewig Gestrige und Machtbesessene zu entmachten und sich selbst oder andere Frauen konsequent in Führung zu bringen, statt sich ins Private zurückzuziehen, wenn es ungemütlich wird. Es braucht Frauen, die bereit sind, aktive Solidarität und Rückenstärkung für jene einzubringen, die herrschende Systeme verändern wollen. Also, liebe Frauen, nicht mehr das Köpfchen schräg halten und peinlich berührt sein, wenn es um die Quote geht! Schließlich geht es um viel mehr als um die Quote und darum, ein paar Frauen an den Schrauben der Welt etwas mitdrehen zu lassen. Angesichts der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit brauchen wir die besten Potenziale, die unser Land zu bieten hat. Das sollten wir uns immer bei dem Thema „Quote“ vor Augen halten.

Deutschland, wo sind deine mutigen Männer und Frauen?

Dieser Beitrag ist gekürzt und erscheint in voller Länge in dem Buch „Die Quotenfrau – Expert*innen beziehen Position zur Frauenquote und der Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland“ von Petra Nabinger, das ab 1. August 2021 im Littera Verlag herausgegeben wird. Vertreten sind darin zahlreiche Beiträge unter anderem auch von Deutsche-Bahn-Vorständin Sigrid Nikutta, Generation-CEO-Vorständin Daniela Mündler und die ehemalige Forschungsdirektorin des DIW Elke Holst.

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