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Interview Die Kunst der Markenführung

Im Interview mit Capital.de erklärt Marken-Guru Torsten Tomczak, warum chinesische Brands auf absehbare Zeit an Apple und Google nicht vorbeikommen und warum IT-Marken derzeit im Vorteil sind.
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Torsten Tomczak, Marketing-Professor in St. Gallen

Apple hat im neuen Brandranking der Agentur Interbrand erstmals Coca-Cola als wertvollste Marke der Welt abgelöst. Capital.de hat mit Marketing-Professor Torsten Tomczak darüber gesprochen, was Marken erfolgreich macht.

Capital.de: Professor Tomczak, hat Apple in den vergangenen Jahren die Markenführung revolutioniert?

Tomczak: Sie sind fraglos der große Überflieger. Apple hat sein ganzes Geschäft von vorneherein aus dem Marketing heraus entwickelt. Es ist zudem derzeit ein enormer Vorteil, wenn eine Marke aus der IT-Welt kommt.

Capital.de: Wird IT-Firmen das Bekanntmachen Ihrer Marke viel leichter gemacht, dadurch dass sie einfach jeder nutzt? Firmen wie Facebook oder Google brauchen keine großen Werbekampagnen...

Tomczak: Das stimmt, ihnen ist die Markenverbreitung quasi in die Wiege gelegt. Die Frage ist jedoch, in welcher Beziehung der Konsument zu diesen Marken steht. Oft geht es noch sehr stark um das Produkt und seine Funktionalität selbst. Klassische Marken haben sich dagegen oft schon vom reinen Produkt entfernt und verkörpern ein Lebensgefühl und bieten Möglichkeiten zur Identifikation. Auch Apple hat das geschafft.

Capital.de: Google und Facebook haben jenseits ihrer Bekanntheit dagegen bei manchem ein eher negatives Image...

Tomczak: Es geht immer um die Frage: Was kann eine Marke in einem anderen Markt leisten, der nicht Kernkompetenz ist. Will man ein Produkt haben, auf dem Google draufsteht, wenn es keine Suchmaschine ist?

Capital.de: Zum Beispiel auf Autos.

Tomczak: Unternehmerisch und technologisch ist Google vielleicht für einige Aspekte der mobilen Zukunft schon besser gerüstet als mancher Autobauer. Was die Marke angeht, ist das noch ein weiter Weg, bis die Leute einen Google fahren wollen.

Capital.de: In Markenrankings zeigt sich weiterhin eine enorme Dominanz von US-Marken. Warum sind die Amerikaner so überlegen?

Tomczak: Die US-Wirtschaft spielt in der Weltwirtschaft immer noch eine große Rolle, trotz des Aufstiegs der Schwellenländer. Sie haben einen enorm konsumstarken Heimatmarkt. Im Digitalbereich sind sie absolut dominant. Und Hollywood bestimmt immer noch den Geschmack...

Capital.de: Und sie haben doch auch einfach ein besonderes Talent für Marketing oder?

Tomczak: Die Amerikaner sind zweifellos die Meister des Business-to-Consumer-Geschäfts. Deutschland ist dagegen hervorragend im Business-to-Business. Deutschland besitzt aber immerhin die stärksten Consumerbrands in der Automobilbranche.

Capital.de: Werden bald chinesische Marken die Rankings dominieren?

Tomczak: Die Volkswirtschaft in China ist noch nicht soweit, ebenso wenig wie die brasilianische oder die indische. Derzeit konzentrieren sich die chinesischen Konsummarken immer noch sehr stark auf die Durchdringung des eigenen Marktes und sind noch nicht so global.

Capital.de: Wird sich das in 15 Jahren geändert haben?

Tomczak: Auch in 15 Jahren werden amerikanische Marken die Welt dominieren.

Capital.de: Inwiefern muss man Marken heute anders führen, was Werte angeht? Brauchen Marken mehr Ecken und Kanten, mehr Authentizität als früher?

Tomczak: Wenn man auf Nischen setzt in jedem Fall. Doch große Marken wie Coca-Cola oder Gilette brauchen keine neuen Markenwerte, sie werden auch in 10 Jahren noch gut geführt sein.

Capital.de: Inwieweit haben sich die Markenstrategien durch das Internet verändert?

Tomczak: Dramatisch. Denn das Kommunikationsverhalten der Menschen verändert sich durch die digitale Revolution massiv und permanent. Bis vor zehn oder 15 Jahren wusste man sehr genau, wie man eine Marke aufbaut. Dabei ging es in erster Linie um Kontrolle. Das ist heute nicht mehr so. Mit dem neuen Medien ist es zunehmend schwieriger, Kontrolle über die eigene Marke auszuüben.

Capital.de: Was heißt das für Unternehmen?

Tomczak: Das bedeutet, dass Markenführung anspruchsvoller und teurer geworden ist. Es gibt ganz neue Anforderungen. Unternehmen müssen sich weiterhin bemühen, möglichst viel zu kontrollieren. Doch sie müssen zugleich viel flexibler werden. Sie sollten einerseits ins Digitale investieren, aber auch weiterhin in der realen Welt expandieren. Durch Markenbühnen tun sie das. So wie die Autostadt in Wolfsburg. Immer mehr Hersteller werden zudem selber zu Einzelhändlern – nehmen Sie Apple oder Nike mit ihren Stores. Doch das können sich nur die großen Marken leisten.

Capital.de: Und wie sollten Start-Ups, also quasi Digital Natives, ihre Marken aufbauen? Gelten hier besondere Regeln?

Tomczak: Besondere Regeln gelten nicht. Entscheidend sind - wie in jedem Markt - eine klare "Value Proposition", also ein Nutzenversprechen der Marke, konsequentes Branding sämtlicher Aktivitäten, das Nutzen aller möglichen Kommunikationschancen und aktiv im Gespräch mit den Kunden bleiben. Neudeutsch: "Real Time- und Community-Marketing" betreiben.

Torsten Tomczak, Jahrgang 1959, ist Professor an der Universität St. Gallen und gilt als einer der renommiertesten Markenstrategen Europas. Er ist Direktor der Forschungsstelle für Customer Insight. Praktische Erfahrung in der Markenführung sammelte er unter anderem in einer Werbeagentur sowie in zahlreichen Projekten mit Großunternehmen. Tomczak ist Autor von fast 30 Büchern zum Thema.

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