Janan Ganesh ist Politischer Kommentator der Financial Times. Das Gespräch mit Ancelotti erschien in der Reihe "Lunch with the FT".
"Deutsch ist die schwierigste Sprache." Carlo Ancelotti, der sich auf den Weg nach Bayern macht, erinnert sich, was für ein relatives Kinderspiel doch Englisch, Spanisch und Französisch waren, wenn er mit den schlangenartigen Substantivkopplungen seiner neuen Heimat ringt. "Und die Verben", stöhnt er. "Manchmal kommen sie an zweiter Stelle im Satz, dann wieder am Ende." Er bläst aus den Backen - und da ist es: Er hebt den Bogen seiner linken Augenbraue, der berühmtesten Eigenheit seines Federico-Fellini-Gesichts. Selbst in der schlichten Berufskleidung erfolgreicher Männer - Navy-Jacke, hellblaues Hemd ohne Krawatte - ist dieser 56-jährige Fußballtrainer so markant, dass jede Karikatur überflüssig wird. In diesem Sommer wird Bayern München zum sechsten europäischen Superclub nach Turin, Mailand, Chelsea, Paris St. Germain und Real Madrid, der sich seiner Führung unterwirft. Er wird aus Vancouver kommen - wo er mit seiner kanadischen Ehefrau Mariann einen Wohnsitz hat - und er wird große Titel gewinnen. Wir wissen das, weil er es immer so macht. Die Hand, die ich im Babbo schüttele, einem von ihm selbst ausgewählten italienischen Restaurant in London Mayfair, hat die Champions League schon dreimal gewonnen. Das ist ein Rekord in der jüngeren Geschichte des europäischen Top-Wettbewerbs. Ancelotti war in vier Ländern erfolgreich. Er wird von Ruhm umstrahlt, von den Spielern für seine sanfte Art geliebt, er ist wahrscheinlich der begehrteste Trainer der Welt. Er ist außerdem der einzige, bei dem man sich vorstellen kann, dass er sich den Verein nach der Qualität der lokalen Restaurants aussucht.
Der Verein als Familie oder Firma
In den meisten Lunches mit der FT hat das Essen nur einen kurzen Cameo-Auftritt, aber der Gourmet Ancelotti gibt ihm eine Hauptrolle. Mein Entschluss, nur vorsichtig zu bestellen - normalerweise esse ich tagsüber gar nichts - schmilzt dahin angesichts seines strahlenden Eifers. Wir fragen nach Vorspeisen, die wir teilen können, und man empfiehlt uns einen Auberginenauflauf mit einer Käseschicht, die den daneben stehenden Teller mit Burrata in die demütige Irrelevanz schickt. "Mögen Sie italienisches Essen?", fragt er. Ich nicke und beschließe, ihn nicht von der Überlegenheit der spanischen Küche zu überzeugen. Das Babbo ist technisch herausragend, aber typisch Mayfair. Vier alte Frauen in Perlen und Taft sitzen neben uns, zwei Hedgies von nicht erkennbarer Nationalität werfen vom anderen Ende des Raums gelegentliche Spähblicke auf meinen Gast. Ich nenne ihm den Namen einer etwas trendigeren Trattoria in Islington, und er lässt ihn ein paar Mal in seinem Mund herumrollen als wolle er ihn so im Gedächtnis abspeichern. Dieser Mann hat seine Autobiographie "Preferisco La Coppa" genannt - ein Wortspiel, das seinen Appetit auf Titel wie auf den typischen Schinken Parmas in eine einzige Zeile fasst. Italiener können unbeugsam treu zu den Erzeugnissen ihrer Region sein, aber Ancelotti, der in der Emilia-Romagna im Norden aufwuchs, schweift für seine Weine auch bis in die benachbarte Toskana ab. Er bestellt eine Flasche Guidalberto - "Ich brauche ihn nicht zu probieren, ich kenne diesen Wein" -, eine Mischung aus Cabernet Sauvignon und Merlot, die die Stärke eines Clairet imitiert, ohne einen in ein Koma von tausend Nächten zu schießen. Für Ancelotti sind Fußballvereine entweder "Familien", so wie der AC Milan, oder "Unternehmen", so wie Juventus Turin. Angesichts seines warmherzigen Stils und seiner Pflege persönlicher Beziehungen zu den Spielern und Managern ist es klar, welcher Typus ihm lieber ist.
Das Geheimnis der Talente
Silvio Berlusconi führte Milan wie ein Patriarch, befasste sich persönlich mit technischen Fragen. Die Agnelli-Familie, die noch immer Eigentümer von Juve ist, baute lieber Systeme auf und hielt sich im Hintergrund für die strategischen Entscheidungen. Während er sein Glas hebt, frage ich ihn, wie er die Bayern einstuft. "Ich habe noch nicht so viele Treffen mit ihnen gehabt, aber ich denke, es ist eine Familie", sagt er. Vielleicht ein wenig allzu überschwänglich angesichts eines Vereins, der in Teilen Audi, Adidas und der Allianz gehört. "Sie haben frühere Spieler in der Führung. Der Klub gehört zu 70 Prozent seinen Mitgliedern." Bei ihrer rücksichtslosen Jagd auf Spieler sind die Bayern sicherlich ziemlich "corporate". Ich frage, wen er für die kommenden Talente im Weltfußball hält, und die berühmte Augenbraue zieht wieder nach oben. "Das kann ich Ihnen nicht on the record sagen, denn der Preis würde steigen", sagt er. Dann nennt er Teenager aus Frankreich und Brasilien, holt sogar sein Smartphone heraus, um mir Letztere zu zeigen. "Verraten Sie nichts davon Arsène Wenger!" Über die etablierten Stars, die er schon gemanagt hat, äußert er sich offener.
"Quiet Leadership"
Er hat eine besondere Zuneigung für Cristiano Ronaldo, einen sich selbst motivierenden Beinahe-Cyborg, der morgens um drei zu Eisbädern in den Trainingskomplex von Real Madrid kam. "Obwohl Irina Shayk zuhause auf ihn wartete!", ereifert sich Ancelotti. "Ihm ist Geld egal, er will der Erste sein" - sprich: der Beste. Ein anderer Lieblingssohn ist Andrea Pirlo, der die Mittelfeldrolle spielt, die Ancelotti selbst in den 80ern bei Milan und in der italienischen Nationalmannschaft innehatte. Auch der vielfach ausgezeichnete Torhüter des Landes, Gigi Buffon ("Ich habe ihn mit 17 in der Akademie von Parma gefunden"). Wir haben beide den Hummer als Hauptgericht bestellt. Es stellt sich heraus, dass es sich um ein Filetstück des Krustentieres auf einem Sumpf von Tagliolini handelt. Wie bei jeder Spitzenpasta ist es diese Textur, die den besonderen Geschmack ergibt. Weil der von Ancelotti gewählte Wein kein starkes Aroma als Konkurrenten hat, entfaltet er auf einmal seinen eigenen Charakter. Es scheint, als ob Ancelotti so etwas regelmäßig macht. Vor diesem Lunch habe ich den Namen Ancelotti bei einigen Freunden angetestet. Leuten, die sich wenig oder gar nicht für Fußball interessieren, aber doch problemlos José Mourinho von Pep Guardiola unterscheiden können. Die meisten hatten nie von ihm gehört. Zwei meinten, ich spräche von Claudio Ranieri, dem Coach des Sensationsmeisters Leicester City. Einer kannte den Namen, konnte ihn aber nicht mit einem Gesicht verbinden. Seine fehlende Markanz - die seine gleichmütige Seele so wenig stört wie alles andere - ergibt sich vollständig aus seinem Stil der "Quiet Leaderhip", der auch seinem neuesten Management-Buch den Titel gegeben hat.
Stupsen statt zwingen
Die meisten Top-Trainer heutzutage brennen. Da ist Diego Simeone von Atletico Madrid mit seinem Banditen-Chic. Liverpool schafft es so eben, die weiße Enthusiasmus-Hitze von Jürgen Klopp unter Kontrolle zu halten. Guardiola mit seiner Intensität eines Rasputin kommt jetzt von München zu ManCity. Ancelotti hat nichts von alledem. "Mein Charakter ist ruhig", sagt er ganz ruhig. "Das liegt an meiner Familie. Mein Vater war ruhig. Er schrie niemals. Er hat mich nie getreten. Auch meine Mutter war so. Das ist der fundamentale Grund." Sein Buch beschreibt einen Manager, der eher anstupst als schiebt, der sich oft den Schlussfolgerungen anschließt, die seine Spieler ganz unabhängig von ihm gefunden haben, statt ihnen seine eigenen aufzuzwingen. Führungspersönlichkeiten in einer Mannschaft werden nach seiner Ansicht "von der Gruppe gewählt, nicht vom Trainer oder Präsidenten". Der Holländer Clarence Seedorf war solch eine natürliche Charakterfigur bei Milan. In seiner Amtszeit dort musste Ancelotti eine ganze Galaxie von Talenten in vier Mittelfeldpositionen quetschen. Unter seiner sanften Begleitung dachten die Spieler sich selbst die "Diamanten"-Formation aus - mit Pirlo an der Basis, dem Brasilianer Kaka an der Spitze, Seedorf und dem Portugiesen Rui Costa auf den beiden Seiten strahlte sie auf der europäischen Bühne. Während wir am Wein nippen frage ich ihn, ob er sich außerhalb der engeren Fußballszene zu wenig gewürdigt fühle.
Ein Junge vom Land
"Es gibt jeden Tag etwas, über das man wütend werden kann", sagt er. "Aber das Glück kommt nicht aus der Anerkennung. Es kommt aus der Arbeit, der Beziehung zu den Spielern, zum Stab. Ich mache mir keine Gedanken darum, was in den Zeitungen steht." Viele Leute, die in der Öffentlichkeit stehen, sagen diesen letzten Satz. Ancelotti meint ihn ernst. Wenn es überhaupt etwas bedeutet, unbekannt zu sein, dann ist es, dass man seine Privatsphäre hat, vor allem in Kanada. Auch nach Jahrzehnten auf dem Land in Italien und in den großen Städten Europas ist er von Vancouver immer noch hingerissen: "Der Strand, die Berge..." Materielle Behaglichkeit ist für ihn nicht selbstverständlich. Die Ancelottis bewirtschafteten den Hof, auf dem er aufwuchs und wo Platten von Parmakäse für eine dankbare Welt produziert wurden. Aber dieser Hof gehörte ihnen nicht. Vom Landleben geblieben ist ihm ein sehr feiner Gaumen (er hat eine gute innere Landkarte italienischer Restaurants in London, Paris, Vancouver und Madrid) und ein Dialekt, der auch die eigenen Landsleute stutzen lassen kann. Als ein Fußballverrückter italienischer Art begann er seine Karriere als taktisch kluger Mittelfeldspieler im nahen Parma. Von dort ging er nach Rom, in die Hauptstadt, die für diesen Jungen vom Land so etwas wie der Saturn hätte sein können. Eine Knieverletzung warf ihn aus der WM 1982, die Italien gewann. Aber da ist keine Bitterkeit zurückgeblieben, nur die Dankbarkeit für eine Karriere, die weiterging. "Du bist 23 und du weißt nicht, ob die jemals wieder spielen kannst", erinnert er sich schmerzhaft. "Die Physiotherapie war damals grauenhaft." 1987 machte er den Schritt, der sein Leben veränderte. Ein Spaßvogel namens Arrigo Sacchi brachte ihn zu Milan.
Denker im Mittelfeld
Bis dahin hatten die Italiener das Defensivspiel namens Catenaccio bevorzugt, "es bedeutet das hier", sagt Ancelotti und klopft an das Türschloss neben unserem Tisch. Sacchi warf diese Konvention über den Haufen indem er seine Spieler darauf trainierte, weit vorne den Ball zu erobern - hoch zu "pressen" -, die Gegner damit zu Fehlern zu zwingen und diese dann mit einer tödlichen Abteilung importierter Stürmer wie Marco van Basten aus Holland auszunutzen. Ancelotti war der große Fixpunkt in diesem Schwarm, der Europa dominierte und noch immer die modernen Trainer inspiriert. Sacchi war mehr als nur ein schräger Vogel. Sein Pressing-Spiel lässt sich heute von Liverpool bis München beobachten. Einige der begehrtesten Spieler sind Mittelfeldspieler, die selten Tore schießen oder vorbereiten, aber die Kaltblütigkeit und Sicherheit haben, den Ball auch unter intensivem Druck zu behaupten. Viele Klubs haben ihre Fitness- und Konditionstrainings verbessert, um den körperlichen Einsatz aufrechterhalten zu können, den der Sacchi-ismus erfordert. Als Spieler bei Milan war Ancelotti derjenige, der diese Visionen auf dem Spielfeld umsetzte. Ein tief stehender Mittelfeldspieler muss systemisch über das Spiel nachdenken, so wie ein Trainer. Nach einer oder zwei Saisons in dieser Position ist eine Zukunft im Management-Bereich praktisch ausgemacht. Es ist kein Zufall, dass Simeone und Guardiola sich als Spieler in solchen Rollen bewährten. Nachdem er Sacchi geholfen hatte, Italien ins WM-Finale 1994 zu führen, war es logisch, dass Ancelotti zu seinen Wurzeln zurückkehrte, um seine eigene Trainerkarriere zu beginnen. Erst bei Regiana, dann bei Parma. Der Erfolg trug ihn zu Juve und in die luftigen Höhen der Klubs, in denen er sich seither nur noch bewegt. Es kam Milan, wo er zweimal die Champions League gewann und jenes berühmte Mittelfeld zusammenstellte. Dann Chelsea, wo er gleich in der ersten Saison das Double aus Liga und Pokal holte. Dann PSG, Paris St. Germain, wo er die Liga gewann und professionelle Standards in einem Klub einführte, der bis dahin mehr Ehrgeiz als Knowhow hatte ("Es gab kein Restaurant für die Spieler.") Und dann, vor zwei Jahren, "la decima" - der zehnte Champions League-Titel für Real Madrid und der Hattrick für Ancelotti. Keine taktischen Revolutionen, keine Psycho-Tricks, keine denkwürdigen Zitate, nur reibungsloser Erfolg in allen europäischen Top-Ligen. Es gibt keine vergleichbare Bilanz. Zlatan Ibrahimovic, ein Spieler, der Komplimente so verteilt als wenn es ihm dabei die Kehle versengt, sagt, dass Ancelotti der beste Trainer der Welt ist. Wenn wir von galaktischen Egos reden - wie schafft es ein ruhiger Mann, sie nach seinem Willen zurechtzubiegen?
Als Drogba zu spät kam
"Es gibt Dinge, da kann man elastisch sein", erklärt er. "Und Dinge, da muss man stark sein. Wenn die Spieler sagen: Coach, wir haben eine harte Woche, können wir eine Stunde länger im Bett bleiben? dann ist das okay. Aber wenn ich vor einem Spiel ein Meeting habe, dann muss du pünktlich sein. In Chelsea hatten wir mal ein Treffen um 10 Uhr 30 und (Didier) Drogba war nicht da. Ich weiß nicht, ob er im Verkehr steckte oder was. Er kam um 11. Er hat nicht gespielt." Was Ancelotti an Feuer fehlt, das macht er mit seiner tiefen, tiefen Ausgeglichenheit wett. "Quiet leadership" ist - wenn man das nach seinem Buch und seinem persönlichen Auftreten beurteilt - weniger eine Technik als eine Disposition, eine Aura. Indem er inmitten des Hype- und Gier-Sturms des Fußballs still steht, gibt er den Spielern eine Rückversicherung. Er coacht so wie er spielte, bildet immer den Fixpunkt, von dem aus andere spektakuläre Dinge tun können. Die Chelsea-Mannschaft von 2010 unterschied sich nicht so sehr von der in den vorherigen drei Saisons. Das Talent war da. Ancelotti machte den Weg dafür frei. Die Kritiker sagen, dass er - wie ein weniger provozierender Mourinho - letztlich eine "hired gun" ist, ein Söldnertyp. Er gleitet in große Klubs hinein, gewinnt die Titel, die ihrem Rang entsprechen, und zieht weiter, ohne eine Spur zu hinterlassen. Man verbindet ihn nicht mit einem bestimmten Stil des Spiels wie im Fall Guardiola. Oder mit einem Haufen Youngster, die er zur Größe geführt hat, so wie Klopp bei Borussia Dortmund. Er ist eigenartig identitätslos, so wie ein Restaurant in Mayfair. Vielleicht braucht man das, um das Leben eines Reisenden zu führen. Er ist weiter gekommen, hat mehr gesehen als seine ländlichen Wurzeln jemals vorhersehen ließen.
Die besten Ligen der Welt
"Frankreich ist schwierig, weil der Fußball nicht immer auf Platz eins steht. Sie haben auch Rugby und Radfahren. Es gibt auch eine gewisse Gewalt bei PSG. England hat die beste Atmosphäre, die besten Stadien und keine Gewalt", sagt er. Obwohl er Italien vor sieben Jahren verlassen hat, tun ihm die Unordnung und die vernachlässigte Infrastruktur, unter der Teile der Liga zu leiden haben, noch immer weh. Noch in den 90er Jahren war die italienische Liga die beste der Welt. "England ist anders. Als ich bei Chelsea war, sind wir rauf zu einem Spiel in Sunderland gefahren. Der Bus konnte nicht bis ganz an den Eingang fahren. Der Sicherheitsmann des Stadions sagte also: ´Es ist okay, kommt raus und geht das Stück zu Fuß´. Ich sage: ´Nein, ich gehe nicht´. Überall um uns herum waren Sunderland-Fans. Nach einer Weile blieb uns nichts anderes übrig." Und? War es okay? "Es war perfekt. Einige Fans haben Fotos gemacht. Ich bin in England nie beleidigt worden. Nie." Wir bestellen Espressos anstelle eines Desserts, aber bevor der Kellner sich zurückziehen kann, hat Ancelotti eine Idee. "Mögen Sie Grappa?". Ja, Carlo. Was als asketischer Verzicht auf einen Zuckerschub begann, ist zu einer Palette aus Koffeinstößen, Petits Fours und Italiens Antwort auf Sherry geworden. Ich versuche zu zahlen aber Ancelotti hat schon etwas mit dem Eigentümer arrangiert. Wie ruhig. Wie effektiv.
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