Anzeige

Interview "Trumps Vorstellung von Außenhandel ist Unsinn"

Ökonom Jens Südekum über Trumps unsinnige Auffassungen vom Außenhandel.

Jens Südekum ist Professor am Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er erforscht unter anderem, wie die Globalisierung den deutschen Arbeitsmarkt beeinflusst.

Herr Südekum, was halten Sie von Donald Trumps Forderung, Deutschland solle seinen Außenhandelsüberschuss reduzieren?

Trump hat eine völlig falsche Vorstellung von Außenhandel. Er sieht das so: Ein Überschuss ist gut, die Deutschen sind erfolgreich, die verkaufen mehr. Ein Defizit ist für ihn dagegen ein Zeichen von Schwäche. Diese Sichtweise ist völliger Unsinn. Deutschland hat vor allem deshalb einen hohen Überschuss, weil wir viel sparen und viel Geld im Ausland anlegen. Die USA haben ein Defizit, weil sie extrem viel konsumieren, also Güter importieren, und weil die ganze Welt bei ihnen investieren will. Die USA gelten eben als sicherer Hafen. Wenn Trump die USA mit Strafzöllen abschotten würde, dann würde sich am Defizit wenig ändern. Es kommt auf anderen Wegen zustande: durch Ersparnis, Investition und Konsum.

An der Bilanz lässt sich durch politische Entscheidungen also nichts drehen?

Das stimmt so auch wieder nicht. Wir müssen uns schon fragen, weshalb wir so viel im Ausland und so wenig im Inland investieren. Woran liegt das? Einige Wirtschaftsbereiche in Deutschland sind überreguliert, etwa der Dienstleistungssektor. Das sagt auch die OECD jedes Jahr aufs Neue. Manche modernen Dienstleistungen – Uber, Airbnb – finden in Deutschland praktisch nicht statt. Das führt zu höheren Preisen für die Verbraucher. Und eben auch dazu, dass Investitionen in diese Märkte in Deutschland ausbleiben.

Was ist mit Investitionen der öffentlichen Hand?

Die sind dringend erforderlich, gerade im Bereich der öffentlichen Infrastruktur. Was beispielsweise das Glasfasernetz angeht, ist Deutschland praktisch Schlusslicht in Europa. Teils reichen die öffentlichen Investitionen nicht einmal aus, um die Abschreibungen auszugleichen. Allerdings liegt die Zuständigkeit dafür oft auf der Ebene der Gemeinden. Dafür müsste der Bund mehr Geld zu den Kommunen verschieben, und generell mehr Geld in die Hand nehmen. Wenn der Staat sich ohnehin zum Nulltarif finanzieren kann, sollte er den Haushaltsüberschuss von rund 23 Mrd. Euro nicht ausgerechnet dafür nutzen, Schulden zu tilgen. Darüber hinaus sollte er die Steuern senken, um den privaten Konsum anzuregen.

"Der Rust Belt weitgehend sich selbst überlassen"

Der Druck aus den USA ist auch deshalb so groß, weil der Populist Trump den sogenannten Globalisierungsverlierern sein Amt verdankt. Auch der Brexit wird den Stimmen dieser Gruppe zugeschrieben.

Das Problem ist in den USA größer als hier. Ein Außenhandelsüberschuss, wie Deutschland ihn verzeichnet, bedeutet auf dem Arbeitsmarkt eine Nachfrage nach Arbeitskräften in der Industrie, die all die Exportgüter herstellen. Ein Defizit bedeutet dagegen Güterimporte, was sich in den USA in sinkenden Löhnen und Jobverlusten für Industriearbeiter niederschlägt. Zudem wurde der amerikanische Rust Belt weitgehend sich selbst überlassen. In Deutschland gibt es Strukturanpassungsprogramme, Regionalpolitik, den Sozialstaat. All das federt ab. Auch deswegen ist die Tendenz zum Populismus hier schwächer ausgeprägt als anderswo.

Sie haben in einer Studie herausgefunden, dass Deutschland der Globalisierung 400.000 Arbeitsplätze verdankt. Wie das? Auch Deutschland hat große Teile seiner Textil-, Elektro- oder Schwerindustrie an China oder Osteuropa verloren.

Die 400.000 neuen Jobs sind eine Nettobetrachtung. Die Globalisierung hat uns etwa 500.000 Arbeitsplätze gekostet. Auf der anderen Seite wurden aber 900.000 Jobs geschaffen.

Deutschland, der Globalisierungsgewinner schlechthin?

In der Summe haben wir Zugewinne. Aber Verlierer gibt es auch hier, keine Frage. Die 500.000, deren Jobs verschwunden sind, hatten echte Probleme. In erster Linie natürlich eine längere Phase der Arbeitslosigkeit. Wenn sie den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt geschafft haben, dann oft nur im Dienstleistungssektor zu niedrigeren Löhnen. Wer in der Pfalz seinen Job in einem Textilbetrieb verloren hat, taucht meist nicht morgen in Stuttgart in der Autoindustrie auf.

Welche Regionen haben am stärksten gelitten?

Oberfranken, das Ruhrgebiet, die Pfalz. Wenn es in Deutschland einen Trump geben könnte, könnte sein Aufstieg dort seinen Ausgang nehmen. Aber bisher sehen wir das nicht.

"Ohne Industrie ist man von der Globalisierung weniger betroffen"

Was ist mit Ostdeutschland?

In Ostdeutschland hatte die Globalisierung viel schwächere Effekte. Was logisch ist: Die Einführung der D-Mark nach der Wiedervereinigung im Verhältnis 1:1 entsprach einer enormen realen Aufwertung. Das hat dazu geführt, dass Ostdeutschland sich stark deindustrialisiert hat. Wenn man aber keine Industrie hat, ist man auch von der Globalisierung weniger betroffen. Wobei es auch ostdeutsche Regionen gibt, die vergleichsweise mehr profitiert haben: der Spreewald mit seinem Logistikgewerbe, das Eichsfeld mit der Fleischverarbeitung oder Jena mit der optischen Industrie. Auf der Verliererseite stehen etwa das Chemiedreieck Halle-Merseburg-Bitterfeld sowie die Lausitz mit der Braunkohle. Aber noch mal: Die Effekte der Globalisierung waren in Westdeutschland etwa viermal so stark.

Wenn die Globalisierung Deutschland – anders als den USA – also mehr Arbeitsplätze beschert als gekostet hat, wie erklären Sie den Erfolg der AfD?

Die Globalisierung hat daran jedenfalls nur bedingt Anteil. In Deutschland ist das Phänomen des Rechtspopulismus komplett dominiert vom Flüchtlingsthema. Hätte es die Flüchtlingskrise nicht gegeben, wäre die AfD vielleicht schon wieder in der Versenkung verschwunden.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will der AfD Wähler abspenstig machen, indem er eine stärkere Umverteilung anregt. Wenn die Zustimmung zur AfD aber nicht primär ökonomisch motiviert ist – geht dieser Vorschlag dann am Ziel vorbei?

Ich glaube, man sollte Umverteilungspolitik nicht betreiben, um das Problem AfD zu lösen. Das würde denen auch zu große Bedeutung beimessen. Ungeachtet dessen gilt die alte Einsicht, dass Globalisierung ohne wirtschaftspolitische Eingriffe zu mehr Ungleichheit führt. Die Digitalisierung wird diesen Trend meiner Einschätzung nach weiter verstärken. Den Globalisierungsverlierern zu helfen ist richtig, genau wie die Idee eines inklusiven Wachstums richtig ist. Ob es die AfD nun gibt oder nicht.

Figure

Lesen Sie in der aktuellen Capital unsere Titelgeschichte: "Wie stark ist Deutschland? Die Wirtschaft brummt, doch die Gefahren nehmen zu". Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes, GooglePlay und Amazon

Neueste Artikel