Die Regulierung der Mietpreise erregte die Gemüter ähnlich intensiv wie heute – nur mit umgekehrten Vorzeichen. In Bayern requirierten Gemeinden Aulen und Leichenhallen, weil sie einen Ansturm obdachlos gewordener Mieter befürchteten. „Es wird durchschnittlich in jedem zweiten Offenbacher Haus eine Familie fliegen“, warnte ein hessischer Stadtrat.
Die Wellen schlugen hoch, als die CDU-Bundesregierung 1960 beschloss, die Mietpreise freizugeben. Praktisch seit dem Ersten Weltkrieg waren sie in Deutschland bis auf Inflationszuschläge eingefroren. Die Nazis hatten 1936 schließlich den totalen Erhöhungsstopp verhängt. Doch 15 Jahre nach Kriegsende beherrschten Wohnungsnot, Verteilungskämpfe, Sanierungsstau und unerschwingliche Neubaumieten den Wohnungsmarkt. Bauminister Paul Lücke wollte die Mietobergrenzen nach fast 50 Jahren ab 1963 auslaufen lassen – und den Mieterschutz weitgehend beenden. Mittellose Suchende wurden auf Sozialwohnungen und Beihilfen verwiesen. Freilich galt Lückes Gesetz nur für Altbauten. Sozialmieter blieben geschützt, und im Neubau herrschte ohnehin freies Spiel: Die Wirtschaftswundermillionäre kamen oft aus dem Bausektor.
Begeistert reagierten die Hauseigner, die schon seit Langem klagten, sie verarmten trotz ihres Besitzes und seien „Fußkranke des Wirtschaftswunders“. Die SPD und Mietervertreter dagegen warnten vor Wucher und neuen Slums. In der Regierung wiederum wähnten sich manche wegen Lückes Gesetz kurz vor dem Machtverlust. Selbst Kanzler Konrad Adenauer gestand, er bekomme „manchmal vor dem Mut des Kollegen Lücke doch etwas Angst“.
Als es in Kraft trat, wurde das Gesetz nur ein Teilerfolg. Die befürchtete Massenobdachlosigkeit blieb zwar aus, aber die Verhandlungsposition der Mieter wurde miserabel. Die „Hannoversche Presse“ zitierte aus einem Bewerberbrief: „Ich habe eine charmante 24 Jahre alte Frau, mit der Sie sich gut verstehen werden. Als Ehemann sehe ich über manches gern hinweg, wenn wir nur die Wohnung bekommen.“
Um gegenzusteuern, erweiterten SPD und FDP in den 70er-Jahren den Kündigungsschutz und führten strengere Regeln für Erhöhungen ein. Endgültig gegen Lücke scheint sich der Zeitgeist heute zu kehren: Bundesweit gilt für angespannte Wohnungsmärkte seit 2015 die Mietpreisbremse, in Berlin soll die Regulierung noch verschärft werden.
Hauptperson
Paul Lücke , 1914–1976, saß im ersten Bundestag und war ab 1957 unter Konrad Adenauer und später Ludwig Erhard Wohnungsbauminister. Später wurde er Innenminister und war in dieser Funktion einer der Architekten der umstrittenen Notstandsgesetze.
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