In Zeiten, in denen Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen, wirkt das neue Großprojekt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fast schon überfällig. Mit einem „Green Deal“ will sie Europas Treibhausgas-Emissionen bis 2030 drastisch reduzieren. Ab 2050 soll kein zusätzliches CO2 aus der EU mehr in die Atmosphäre gelangen. Weil Immobilien für fast 40 Prozent des Ausstoßes verantwortlich sind, fordert die EU-Kommission nun eine „Renovierungswelle“.
Knapp 200 Mrd. Euro jährlich müssen die EU-Mitgliedstaaten laut Kommission im Zuge des „Green Deals“ europaweit in energetische Sanierungen investieren. Der jährliche Mehrbedarf an Investitionen bei Bestandsbauten liegt bei 12 Mrd. Euro pro Jahr – allein in Deutschland. In der Bundesrepublik ist es um die Energieeffizienz bei Immobilien besonders schlecht bestellt: 70 Prozent der deutschen Wohngebäude wurden vor den 1980er-Jahren errichtet, also vor der ersten Wärmeschutzverordnung. Davon werden jährlich maximal 1,2 Prozent saniert. Um die geforderten energetischen Ziele zu erreichen, müsste sich diese Quote verdoppeln. Offen ist die Frage, wer das bezahlt.
Finanzielle Anreize
Um ihre Klimaziele zu erreichen, ist die EU auf die Hilfe ihrer Mitgliedsstaaten angewiesen. Nur die Hälfte der Mittel für den „Green Deal“ soll aus dem EU-Haushalt kommen. Den Rest sollen private Investoren stemmen. Das Problem: Ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung wird es für viele Hauseigentümer schwierig, Gebäude sozialverträglich und trotzdem wirtschaftlich zu sanieren. Für Mieter heißt eine Renovierungswelle wiederum erstmal: höhere Mieten. Denn Vermieter dürfen bei Bestandsimmobilien acht Prozent der Modernisierungskosten dauerhaft auf die Jahresmiete umlegen.
Immobilienexperten fordern daher finanzielle Anreize, um die energetische Sanierung sowohl für Eigentümer als auch für Mieter attraktiv zu machen. So sollte die Politik zum Beispiel Vermietern ermöglichen, Modernisierungskosten steuerlich geltend zu machen. Bisher können Immobilienbesitzer zwar 20 Prozent der Kosten von der Steuer absetzen. Das gilt aber nur, wenn sie die Immobilie selbst bewohnen. Vermieten sie ihr Eigentum an Dritte, müssen sie die Kosten selbst tragen oder auf die Mieter umlegen. Von verbesserten steuerlichen Abschreibungen würden sowohl Vermieter als auch Mieter profitieren, glauben Marktbeobachter.
Wichtig ist, dass Immobilieninvestoren jetzt energieeffizient kaufen, um künftig wirtschaftlich keinen Nachteil zu haben
Michael Voigtländer
Auch bei Unternehmen ist das Interesse an nachhaltigen Immobilien bislang gering. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zeigt: Nur acht Prozent aller Firmen achten beim Kauf einer Immobilie auf deren Energieeffizienz. Die Einsparungen durch energetische Sanierungen reichen nämlich oft nicht aus, um die höheren Preise zu kompensieren. Das bestätigt auch IW-Ökonom Michael Voigtländer: „Der Markt alleine gibt im Moment keine ausreichenden Impulse für energieeffiziente Modernisierungen.“ Voigtländer sieht den „Green Deal“ für den Immobiliensektor daher kritisch. „Das große Ziel ist zwar ausgerufen, wie wir das im Einzelnen realisieren sollen, bleibt aber vage“, sagt er.
Für die Zukunft rät der Experte dennoch dazu, in nachhaltige Immobilien zu investieren. „Wichtig ist, dass Immobilieninvestoren jetzt energieeffizient kaufen, um künftig wirtschaftlich keinen Nachteil zu haben“, sagt er. Denn der Preisunterschied zwischen sanierten und nicht-sanierten Immobilien dürfte weiter steigen – auch als Folge des „Green Deals“.
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