Derzeit bringen Ausgrabungen im bosnischen Visoko, wo Forscher die ersten europäischen Pyramiden unter bewaldeten Hügeln vermuten, die Wissenschaft ins Wanken: Gab es hier wirklich vor 30.000 Jahren schon Pyramiden? Und von wem, wie und warum wurden sie errichtet? Das weltweit größte fachgebietsübergreifende Archäologieprojekt geht verschiedenen Theorien nach, die etwa Kommunikationszwecke oder Energieerzeugung für möglich halten. Fakt ist: Der Pyramidenbau - ob in Ägypten oder im heutigen Bosnien - wirkte einst disruptiv auf das Leben seiner Anrainer. Er veränderte den Alltag der Menschen, brachte Neuerungen wie Bewässerungssysteme mit sich und schuf damit neue Perspektiven für Arbeit und Leben.
Disruption wirkt erschütternd, aber gleichzeitig auch bewegend. Im Silicon Valley gilt sie als wesentlicher Grund, Ideen weiterzuverfolgen. Bedingung: Sie muss im Kern Lösungen für ein diagnostiziertes Störfeld bieten. So ersetzt im Tal der umwälzenden Ideen Uber das herkömmliche Taxi, Netflix löst schon lange die Videothek ab, autonomes Fahren optimiert Verkehrsflüsse und schenkt Freiheit. Die Zukunft hat im Silicon Valley längst begonnen.
Dienten vermutete Pyramiden der Energieerzeugung?
Im Tal von Visoko hält man es für möglich, dass hier Pyramiden entstanden, um durch das Zusammenwirken von Formen und Energiefeldern Energie zu erzeugen – als leistungsstarke Quelle sauberer Energie für eine antike Zivilisation. Auch wenn heute nicht nur Gras, sondern ganze Wälder über den geheimnisvollen Anlagen nahe Sarajevo gewachsen sind und mit der mutmaßlichen Hochkultur auch der mögliche Nutzen des Baus unterging, zählt die Frage der sauberen, unerschöpflichen Energieversorgung noch immer zu den zentralen Fragen der Menschheit. Und Energieautarkie scheint die passende Antwort zu sein.
Mit der Produktion von Elektroautos, Solardachziegeln und Stromspeichern strebt Tesla derzeit die autarke Versorgung von Verbrauchern an. Dabei hat die Disruption für Hauseigentümer, Mieter, Vermieter und Energieversorgungsunternehmen hierzulande bereits begonnen. Seit 2013 stehen im sächsischen Freiberg Wohnhäuser, die sich weitestgehend selbst mit Strom und Wärme dank Solarenergie versorgen und darüber hinaus eine hauseigene Tankstelle für Elektroautos speisen. In Kürze sind die ersten energieautarken Mehrfamilienhäuser in Cottbus und Wilhelmshaven bezugsfertig.
Energieautarkie und Flatrate-Wohnen
Mit dem Konzept der Energieautarkie werden Häuser künftig vom reinen Energieverbraucher zum Energieerzeuger. Sie produzieren solare Energieüberschüsse, die sie für lange Zeit zwischenspeichern und sogar weiteren Nutzern zur Verfügung stellen können. Damit entscheidet nicht länger die Kostenfrage über das Ausmaß unserer Energienutzung. Selbsterzeugte Heizkraft und Strom mit Hilfe des kostenlosen und krisensicheren Rohstoffs Sonne sichert uns künftig Kostenfreiheit zu. Das ermöglicht eine interessante Disruption auf dem Wohnungsmarkt: das Flatrate-Wohnen.
Erstmals ist eine feste Pauschalmiete inklusive aller Energiekosten realisierbar, die sogar die Kosten für E-Mobilität enthalten kann. Konfliktschwangere Neben- und Betriebskostenabrechnungen bleiben damit Mietern wie Vermietern künftig erspart. Dieses Störfeld zwischen Kunde und Anbieter dürfte dank des disruptiven Ansatzes der Energieautarkie gelöst sein. Zudem lädt die langfristig feste Pauschalmiete zur längeren Verweildauer von Mietern ein, das bedeutet neben der Kostensicherheit für Mieter deutlich weniger Verwaltungsaufwand für Vermieter.
Ein anderes Störfeld darf ebenfalls auf Lösung hoffen: Antizyklisch auftretende Energieaufkommen und -verbräuche haben derzeit zur Folge, dass sie Versorgungsunternehmen „doppelte“ Kosten verursachen, ohne jeden Nutzen. Denn trotz abgeschalteter Anlagen (beispielsweise Windkraftanlagen) muss die Einspeisevergütung bezahlt werden.
Künftig können Versorger ihre Energieüberschüsse jedoch als Strom oder Wärme in den Elektro- und Langzeitwärmespeichern der Häuser einlagern, die auf diese Weise zur Stabilisierung des öffentlichen Netzes beitragen. Für die Versorgungsunternehmen entfallen unnötige Kosten, für die Bewohner steht zusätzliche Energie zur Verfügung. Disruption bedeutet Neuausrichtung. Hier richten sich künftig auch die Marktverhältnisse neu aus.
Der Energiebedarf steigt, die Energiepreise schwanken
Um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, brauchen wir Ansätze, die über den berühmten Tellerrand hinausweisen. Das setzt integrales Denken voraus, das auf dem Wissen um Zusammenhänge beruht. Der weltweite Energiebedarf steigt, parallel dazu schwanken die Energiepreise. Mit der in Deutschland euphorisch eingeläuteten „Energiewende“ wurden einseitig bestimmte Bereiche gefördert. Das führte u.a. zu steigenden Stromkosten für Verbraucher.
Die meisten Überlegungen waren vom Effizienzgedanken geprägt, nämlich den Wirkungsgrad von dem, was wir tun, zu verbessern. Die häufige Folge: Etwas Unnützes wird mit hoher Effizienz noch nutzloser gemacht. Es ist nachhaltiger, zuerst über Effektivität nachzudenken, also sich zu fragen: Ist das, was wir tun, sinnvoll und nützlich? Und wie wirksam ist es? Was wollen wir daraus ableiten? Wie erreichen wir das Ziel? Anschließend können wir das als richtig Erkannte effizient verfolgen. Mit anderen Worten: Effektivität kommt vor Effizienz.
Eine echte Energiewende muss im Gesamtkomplex von Wärme, Strom und Mobilität gedacht werden. Sie kann nur als Energie-, Ressourcen- und Rohstoffwende in Verbindung mit der entsprechenden Speichertechnologie einhergehen. Grundsätzliches energetisches Umdenken ist nötig. Ein Umdenken, das nicht nur Wissen um Zusammenhänge bedingt, sondern auch Aspekte wie Vernetzung und Sharing berücksichtigt.
Hauseigene Tankstellen für Carsharing
Energieautarke Gebäude schaffen gleichzeitig energetische Unabhängigkeit und vernetzte Nutzung. Und sie eröffnen mehr als eine neue Perspektive: Mit hauseigenen Tankstellen für Elektromobile laden sie etwa zum Carsharing von elektrobetriebenen Gemeinschaftsfahrzeugen ein.
Wir wissen zwar nicht, ob die in Bosnien entdeckten Pyramiden wirklich vor 30.000 Jahren zur Energieerzeugung dienten, doch eines wissen wir heute mit Sicherheit: Unser Wirtschaftssystem befindet sich in einem epochalen Wandel. Unsere Gesellschaft kann sich mit den heutigen Mitteln zur Null-Grenzkosten-Gesellschaft entwickeln, wenn wir uns trauen, disruptiv zu denken. Altes Wissen, neue Erfahrungen und aktuelle Anforderungen lassen sich verbinden zu zukunftsfähigen Strategien. Das Zeitalter des Verstehens von Gesamtkomplexität hat gerade begonnen.