Kaum eine Emotion wirkt so intensiv wie die Angst. Sie bringt Menschen dazu, alles andere zu vergessen und sich nur darauf zu konzentrieren, die bedrohliche Situation abzuwenden. Ein Verkaufsargument der Immobilienbranche ist die Angst vor steigenden Bauzinsen. Selten waren Immobiliendarlehen günstiger als heute. Im August zahlten Kunden für ein Darlehen mit zehnjähriger Zinsbindung im Durchschnitt gerade mal 0,75 Prozent Zinsen, zeigt ein Chart des Kreditvermittlers Interhyp . Viel tiefer können die Bauzinsen kaum sinken. Es erscheint also gar nicht mal so sehr aus der Luft gegriffen, dass das Zinsniveau in einigen Jahren höher liegen könnte als heute.
Bereits kleine Zinsunterschiede können bei Baudarlehen eine große Wirkung entfalten. Denn je höher der Zins liegt, desto weniger können Kreditnehmer jeden Monat bei gleichbleibender Rate tilgen und desto langsamer haben sie das Darlehen abbezahlt. Dadurch zahlen sie über die Laufzeit deutlich mehr Zinsen an die Bank. Um den Menschen die Angst vor steigenden Bauzinsen zu nehmen, haben Kreditinstitute die sogenannte Bausparsofortfinanzierung ersonnen. Dabei schließen Kunden zunächst einen Darlehensvertrag zum marktüblichen Zins ab. Anders als bei klassischen Baudarlehen tilgen sie diesen Kredit aber nicht sofort, sondern zahlen stattdessen in einen Bausparvertrag ein. Sobald dessen Ansparphase beendet ist und Kunden das Baudarlehen in Anspruch nehmen können, lösen sie den ersten Baukredit ab und tilgen dann den Bausparvertrag zum vereinbarten Zins weiter.
Das Kombi-Modell funktioniert wie eine Versicherung gegen steigende Zinsen. Es rechnet sich, wenn der Zins bei Ablösung des ersten Kredits höher liegt als bei Vertragsabschluss. Umgekehrt heißt das aber auch: Liegt das Zinsniveau bei Zuteilung des Baudarlehens niedriger, zahlen Kreditnehmer bei Kombi-Angeboten drauf. Im Juli lag der Zins von Bausparverträgen im Schnitt bei 2,25 Prozent, zeigen Daten der FMH-Finanzberatung. Die Bauzinsen müssten um mehr als 1,5 Prozent steigen, damit sich Kombi-Deals für Kreditnehmer lohnen.
Kombi-Modell mit einigen Tücken
Marktbeobachter halten kräftige Zinssprünge für unwahrscheinlich. Die offenen Geldschleusen der Europäischen Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie dürften das Zinsniveau auf lange Sicht künstlich niedrig halten. „Selbst wenn sich die Wirtschaft nach der Pandemie wieder erholt, wird die EZB nicht direkt aus der lockeren Geldpolitik aussteigen können“, sagt Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender des Finanzdienstleisters Dr. Klein. Hochverschuldete Staaten wie Italien könnten nämlich bei steigenden Zinsen ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen, die Stabilität der Eurozone wäre in Gefahr. An den historisch günstigen Finanzierungsmöglichkeiten für angehende Immobilienbesitzer dürfte sich so bald nichts ändern, sagt der Experte.
Das Kombi-Modell mit Bausparvertrag birgt abseits vom Zinsrisiko noch weitere Tücken. So dürfen Anbieter die Bausparsumme und das daran gekoppelten Darlehen erst dann auszahlen, wenn sie genügend Mittel im Topf haben. Andernfalls müssen Bausparer auf das angesparte Guthaben und den Baukredit warten. Für Kunden kann das Probleme mit sich bringen, warnen Verbraucherschützer. Steht im Vertrag des Vorausdarlehens ein konkretes Datum für die Ablösung, müssen sie unter Umständen eine Zwischenfinanzierung aufnehmen – egal wie die Konditionen dann aussehen.
Wenn der ursprüngliche Kredit bis zur Zuteilung des Bausparvertrags weiterläuft, müssen Kunden länger als geplant dessen Zinsen zahlen. Bausparer können den Vertrag zwar vorzeitig kündigen, meist erheben Anbieter dafür aber eine sogenannte Vorfälligkeitsgebühr. Sie liegt bei Kombi-Modellen in der Regel höher als bei klassischen Immobiliendarlehen. Am Ende zahlen Hauskäufer und Bauherren also womöglich selbst dann drauf, wenn das Zinsniveau wie erwartet steigt.
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