Für Immobilienkäufer gibt es eine Faustregel: mindestens 20 Prozent des Kaufpreises sollten mit Eigenkapital finanziert werden. Doch auch wenn dieses Geld fehlt, muss der Traum vom Eigenheim noch nicht ad acta gelegt werden. Denn einige Institute bieten die Möglichkeit einer Vollfinanzierung an. Das heißt: sie gewähren einen Kredit, ohne dass der Käufer zunächst selbst Geld beisteuern muss. Dabei stehen zwei Varianten zur Auswahl: die 100 Prozent-Finanzierung, bei der der vollständige Kaufpreis ausgelegt wird und die 110-Prozent-Finanzierung, bei der zusätzlich auch die anfallenden Erwerbsnebenkosten über einen Kredit gestemmt werden. Dazu zählen die Kosten für den Notar und Grundbucheintrag, die Grunderwerbssteuer und gegebenenfalls die Maklerprovision. In dem Fall wird der Immobilienkauf also tatsächlich komplett vorfinanziert.
Die meisten Banken gewähren diese Variante aber nur, wenn die monatlichen Rückzahlungsraten maximal 40 Prozent des Einkommens betragen. Und ihre Zahl ist zudem überschaubar: „Überregional sind es vielleicht eine Handvoll“, schätzt Maik Korpjuhn, Baufinanzierungs-Experte bei Dr. Klein in Lübeck. Allerdings lässt sich die Kreditsumme auch auf verschiedene Institute verteilen, wobei auch Bausparkassen und Versicherer mit ins Boot geholt werden können. Möglich ist dies über ein so genanntes Nachrangdarlehen. Wichtig zu wissen: ein Grundbuch-Eintrag im zweiten Rang geht für den Anbieter mit höheren Risiken einher, die er über die Zinsen an den Käufer weiterreicht. Und diese sind bei einer Vollfinanzierung insgesamt kein Pappenstiel.
Hohe Anforderungen an Kreditnehmer
Um dafür überhaupt in Frage zu kommen, müssen Interessenten etliche Voraussetzungen erfüllen – denn natürlich sichern sich die Finanzinstitute für den Fall eines Zahlungsausfalls ab. So muss der Kreditnehmer nachweislich gut verdienen, einen sicheren Arbeitsplatz haben und meist noch andere Sicherheiten vorweisen. Das können langfristig angelegte Vermögen in Immobilien oder Kunst sein, aber auch eine Lebensversicherung oder Bürgschaften. Und auch an die Immobilie werden Auflagen gestellt, da sie die einzige Sicherheit ist, welche die Bank hat. Sie muss in der Regel hochwertig und gut gelegen sein, damit sie im Fall einer Zwangsversteigerung genug Geld erzielen kann. Weil dieses Szenario denkbar ist, setzen Banken bei der Bewertung der Immobilie auch den so genannten Beleihungswert an, der 20 bis 40 Prozent unter dem tatsächlichen Kaufpreis liegt. Die Differenz wird über den Zinssatz an den Käufer weitergegeben – in Form eines entsprechenden Aufschlags.
„In der Regel macht eine Vollfinanzierung vor allem für jüngere Leute Sinn, die noch lange Zeit haben, den Kredit zu bedienen“, meint Korpjuhn. Oder für finanzstarke Interessenten mit anderer Intention, wie Thomas Teske, Honorarberater und Fachwirt für angewandte Bau- und Gewerbefinanzierung, weiß: „Man kann auch steuerlich vorteilhafte Modelle planen.“
Risiken langfristig einkalkulieren
Doch so reizvoll der Gedanke ist, eine Immobilie komplett auf Pump zu kaufen – für die sich auch andere Fördergelder beantragen lassen – so wenig sollte man die Risiken dieser Finanzierung ausblenden: „Lebensmodelle können schnell platzen, ebenso wie langfristige Einnahmequellen“, warnt Teske. Im Fall eines finanziellen Engpasses kann dies dramatisch sein: „Wenn man zwei Raten mit der Rückzahlung in Verzug ist, darf die Bank das Darlehen kündigen.“ Auch den möglichen Wertverlust der Immobilie oder ein Zinsänderungsrisiko haben viele Käufer nicht unbedingt auf dem Schirm: „Doch in einem Zeitfenster von 10 bis 15 Jahren verschiebt sich der Immobilienmarkt“, sagt Immobilien-Experte Korpjuhn. Und auch andere unvorhergesehen Dinge, wie Inflation, hohe Energiepreise oder die laufenden Kosten für die Instandhaltung der Immobilie können sich als potenzielle Stolperfallen erweisen. „Alle diese Dinge muss man vorher mit einer ausgefeilten Finanzplanung klären und zu Ende denken. Man sollte sich dabei wie bei Raumschiff Enterprise in die Zukunft beamen“, rät Honorarberater Teske.
Um sich gegen die hohen Risiken abzusichern, die mit einer Kredit-Vollfinanzierung einhergehen, können Immobilien-Käufer gezielt Vorsorge treffen. „Man sollte seine Arbeitskraft und das eigene Leben absichern und auch für die Immobilie und ihren Werterhalt sorgen, etwa durch Bausparverträge“, so Korpjuhn, Zudem sollten sich die Käufer Sondertilgungen vertraglich zusichern lassen, da diese die Belastung deutlich reduzieren können.
Fazit: Die Vollfinanzierung einer Immobilie per Kredit ist möglich, aber nur in wenigen Fällen die beste Option und mit hohen Risiken verbunden. Zudem ist sie nicht leicht zu bekommen, weil auch die Institute selbst angehalten werden, aus Sorge vor einer Blase am Markt, Wohnimmobilienkredite besonders abzusichern. Wer sich dennoch dafür entscheidet, sollte sich Zeit nehmen und Angebote vergleichen, da die Spanne sehr hoch ausfallen kann. Eine akribische Kalkulation ist ein Muss, bevor es an die Vertragsunterzeichnung geht. Damit aus dem Kredit für das Traumhaus kein Alptraum wird.