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US-Insolvenzexperte „Man kann nicht ableiten, dass Evergrande gerade jetzt das Geld ausgeht“

Luftaufnahme eines Wohngebiets von Evergrande in Nanjing
Luftaufnahme eines Wohngebiets von Evergrande in Nanjing in der ostchinesischen Provinz Jiangsu
© picture alliance / NurPhoto | CFOTO
Der chinesische Immobilienkonzern Evergrande beantragt Gläuberigerschutz in den USA. Ein Zeichen für den befürchteten Kollaps sei das nicht, sagt Insolvenzrechtler Philipp Esser – es deute vielmehr auf eine baldige Einigung der Gläubiger

Capital: Herr Esser, Evergrande hat in den USA Gläubigerschutz beantragt. Was bedeutet das?
PHILIPP ESSER: Evergrande hat in den USAein sogenanntes Chapter-15-Verfahren eingeleitet. Das betrifft nur US-Beteiligte und ist quasi ein Anhängsel des Restrukturierungsverfahrens des Konzerns, das parallel seit Juli in Hongkong und seit April auf den British Virgin Islands läuft. Den Antrag in den USA hat Evergrande jetzt mit dem Ziel gestellt, dass die Ergebnisse aus der Restrukturierung auch in den USA gelten. Denn es gibt hier keine automatische Anerkennung zwischen China und den USA und auch kein entsprechendes Abkommen.

Philipp Esser ist Jurist bei der deutschen Kanzlei Schultze & Braun. Als zugelassener Rechtsanwalt im US-Bundesstaat New York ist er Spezialist für Sanierungs- und Insolvenzrecht mit Bezug zu den USA.

Der Vorgang ist also weniger ein Zeichen für den befürchteten Kollaps von Evergrande, sondern mehr ein technischer Vorgang?
Ja. Im Prinzip ist es wie beim Führerschein: Der ist auch nicht in allen Ländern anerkannt, dasselbe gilt für einen Restrukturierungsprozess wie im Fall von Evergrande. Dieser tritt offenbar in seine finale Phase ein. Am 22., 23. und 28. August sollen in Hongkong und auf den British Virgin Islands die Gläubiger zusammenkommen und über die sogenannten Schemes of Arrangement entscheiden, also darüber, wie es mit dem Konzern weitergeht. Was dort beschlossen wird, soll dann auch im Ausland gelten, deshalb der Antrag von Evergrande in den USA. Ich gehe davon aus, dass es ähnliche Anträge in anderen Ländern gibt. In den USA sind Gerichtsverfahren aber sehr transparent, deshalb ist der Antrag dort öffentlich geworden. Von dem, was ich sehe, kann man nicht ableiten, dass Evergrande gerade jetzt das Geld ausgeht und sie sich mit letzter Kraft zum Gericht geschleppt haben.

Sondern?
Im April ist in China offenbar eine Einigung zwischen dem Konzern und den Gläubigern erzielt worden. Wenn die Gläubiger diese Einigung Ende August umsetzen, muss sie noch vom zuständigen Gericht in Hongkong beziehungsweise den British Virgin Islands bestätigt werden. Sofern das passiert, wäre die Umschuldung bei Evergrande praktisch erst einmal abgeschlossen. Die Kapitalstruktur wäre damit umgestaltet und der Druck der hohen Verbindlichkeiten reduziert. Ob die Gläubiger auf ihre Forderungen verzichten, sie umwandeln oder am Eigenkapital partizipieren, bestimmen die jeweiligen Schemes of Arrangement. Daraus würde jedenfalls eine enorme Entlastung für Evergrande resultieren.

Wie kann das Gericht in New York entscheiden?
Das Gericht in Manhattan wird prüfen, ob – vereinfacht gesagt – alles mit rechten Dingen zugeht. Also zum Beispiel, ob Gläubiger ordnungsgemäß geladen wurden und man keinem von ihnen Forderungen kürzt, ohne dass er umfassend und richtig informiert wurde. Wenn alles korrekt vonstatten gegangen ist, wird das New Yorker Gericht die Restrukturierung über das Chapter-15-Verfahren mit Wirkung für die USA anerkennen.

Was wären die Folgen für die amerikanischen Gläubiger?
Die Maßnahmen, die in den Schemes of Arrangement festgelegt werden und über die die Gläubiger bei den Versammlungen Ende August abstimmen sollen, gelten dann auch für Gläubiger von Evergrande in den USA.

Wie schnell ist ein US-Beschluss zu Evergrande zu erwarten?
Die Amerikaner sind sehr schnell. Lehman Brothers war in der Insolvenz 2008 in drei Tagen an Barclays verkauft. Das Hearing zu Evergrande, also die Anhörung, ist in Manhattan für den 20. September terminiert. Das US-Gericht wird bei diesem Termin beurteilen müssen, was die Gläubigerversammlungen in Hongkong und den Britischen Jungferninseln Ende August ergeben und was die zuständigen Gerichte daraufhin beschlossen haben. Sofern die Gerichte in Hongkong und den Britischen Jungferninseln die Schemes of Arrangement bestätigen, wird auch das Gegenstand des Hearings in den USA sein. Das kann dann die Restrukturierung in den USA besiegeln.

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