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Interview „Das Berliner Volksbegehren ist keine Blaupause für Deutschland“

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hat inzwischen rund 350.000 Unterschriften gesammelt
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hat inzwischen rund 350.000 Unterschriften gesammelt
© IMAGO / Future Image
Der Grünen-Wohnungspolitiker Christian Kühn glaubt nicht, dass Enteignungen großer Wohnungskonzerne das Problem hoher Mieten lösen können. Er setzt auf konsequentes Durchgreifen beim Mietrecht, mehr Engagement der Kommunen – und steuerliche Anreize

Capital: Herr Kühn, die Berliner stimmen im Herbst darüber ab, ob große Immobilienkonzerne enteignet werden sollen. Ist das der richtige Weg im Kampf gegen hohe Großstadtmieten?

Christian Kühn sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag und ist wohnungspolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Christian Kühn sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag und ist wohnungspolitischer Sprecher seiner Fraktion.
© IMAGO / Future Image

CHRISTIAN KÜHN: Das ist erst einmal eine sehr typische Berliner Debatte. Für die bundesweite Frage, wie wir Wohnen wieder bezahlbar machen, spielt das keine Rolle. Dieses Volksbegehren ist am Ende keine Blaupause für Deutschland.

Der Berliner Landesverband der Grünen zeigt aber durchaus Sympathien für Enteignungen.

Berlin ist eine Stadt der Mieterinnen und Mieter wie keine andere in Deutschland. Die Wohnfrage dominiert dort die Landespolitik wie kein anderes Thema. Deshalb ist es gut, dass sich die Grünen damit intensiv beschäftigen. Aber ein Volksbegehren allein löst die Wohnungsfrage ja nicht. Auch für Berlin gilt, dass wir weitere Maßnahmen brauchen. Man muss das Thema Wohnen von der Stadtspitze aus vorantreiben. Und genau das haben die Grünen in Berlin vor.

Auch von vielen Menschen auch außerhalb Berlins wird die Enteignungsinitiative unterstützt. Wie sollten die Grünen damit umgehen?

Das nehme ich so nicht wahr. Bei meinen Veranstaltungen spielt das Volksbegehren keine große Rolle. Nur weil ein paar tausend Wohnungen in Berlin den Besitzer wechseln, löst es das Problem doch nicht. Die entscheidende Frage ist: Wie kommen wir bundesweit wieder zu mehr öffentlichen Beständen beim Wohnen?

Was ist Ihre Antwort darauf?

Für die Grundidee einer Rekommunalisierung der Wohnungspolitik habe ich große Sympathie. Deshalb müssen wir die Gemeinnützigkeit wiedereinführen. Das wäre bundesweit das beste Instrument, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Was bedeutet konkret?

Wir wollen Unternehmen, die Wohnraum dauerhaft bezahlbar bereitstellen, künftig steuerlich privilegiert behandeln, etwa bei der Grunderwerbssteuer. Damit verbunden wäre auch ein direkter Zuschuss durch eine Steuergutschrift beim Bauen. Wir setzen darauf, damit eine Gründungsinitiative für kommunale Wohnungsbaugesellschaften auszulösen. Es ist wichtig, dass die Kommunen wieder selbst in größerem Stil einsteigen. Der Charme läge darin, dass auch die Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau der Länder in diese kommunalen Tochterunternehmen fließen. Die Sozialbindung wäre dann nicht nur für ein paar Jahre, sondern auf Dauer gesichert.

Aber ganz so schnell hilft das ja nicht gegen hohe Mieten.

Es ist die strukturelle Entscheidung, die wir brauchen, um uns sukzessive aus der Wohnkrise rauszubauen. Gemeinnützigkeit ist ein sperriger Begriff, nicht ganz so leicht zu erklären. Vielleicht macht man damit nicht so einfach Wahlkampf wie mit Enteignungsforderungen oder dem Mietendeckel. Aber wir schaffen so ein Marktsegment, dass unabhängig ist von Zinspolitik und Finanzmärkten. Das brauchen wir unbedingt als eine Art Puffer in Zeiten, in denen sich Wohnen in der Krise befindet.

Was kann denn kurzfristig helfen?

Wir müssen das Mietrecht noch besser nutzen, um Mieterinnen und Mietern eine Atempause zu verschaffen. Wir müssen die Mietpreisbremse nachschärfen und alle Schlupflöcher schließen. Wer dagegen verstößt, muss härter bestraft werden. Wir wollen keinen bundesweiten Mietendeckel, sondern regional differenzierte Antworten, um die Entwicklung in den Hotspots hoher Mieten zu stoppen. Dafür ist das Mietrecht hervorragend geeignet.

Gerade geht es im Bundestagwahlkampf wenig um Inhalte. Wird das Thema Wohnen noch einmal wichtig?

Absolut. Da wird keine Partei dran vorbeikommen, weil viele Menschen die hohen Mieten direkt in ihrem Geldbeutel spüren.

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