Ökologisch, sozial, ethisch: Das Thema ESG hat in der Finanzwelt Fuß gefasst. Gefühlt jeden Tag kommt ein neues grünes Finanzprodukt auf den Markt – und findet auch seine Abnehmer. Knapp ein Viertel aller Anleger in Deutschland investiert heute nachhaltig, zeigt eine Umfrage. Doch Nachhaltigkeit endet nicht bei Aktien und ETFs. Auch in anderen Branchen lernt man nach und nach, welches Potential in einer robusten ESG-Strategie steckt. Eine davon: die Assekuranz. Gerade Versicherer verfügen über einen besonders effektiven Hebel beim Thema Nachhaltigkeit: durch das Kapital, das sie verwalten, genauso wie über ihre Produktgestaltung.
Diese Ansätze werden in der Praxis im Bereich der Sachversicherungen bereits angewendet. So räumen einige Versicherer ihren Kunden höhere Leistungen ein, wenn sie sich im Schadensfall für Ersatzgegenstände entscheiden, die aus fairem Handel stammen, die höchste Effizienzklasse haben oder recycelt wurden. Ein Beispiel ist die Pangea Life-Wohngebäude Police, die für nachhaltig produzierte Ersatzprodukte bis zu 20 Prozent mehr bezahlt. Bei der Photovoltaikversicherung der Helvetia fällt der gewährte Aufpreis sogar noch höher aus: Bei einem Teil- oder Totalschaden werden dem Policen-Nehmer bis zu 50 Prozent mehr bezahlt, wenn er sich für eine Reparatur mit den vorhandenen Technikkomponenten entscheidet – auch wenn ein neuer Ersatz günstiger wäre. Und auch im Bereich Kfz-Policen wird das Motto „Reparieren statt ersetzen“ gezielt gefördert, etwa bei beschädigten Windschutzscheiben.
Weitere Möglichkeiten, mit denen Versicherer eine nachhaltige Denk- und Lebensweisefördern können: Punkte- und Anreizsysteme. So bietet etwa der grüne Versicherer Greensurance seinen Kundinnen und Kunden reduzierte Beitragszahlungen an, sollten sich diese für eine nachhaltige Lebensführung im Alltag entscheiden. Dafür reicht schon ein Foto von der persönlichen BahnCard oder der Grünstrom-Rechnung. Im Angebot hat Greensurance sowohl private Haftpflicht-Policen als auch Hausrats-, Wohngebäude- und Unfall-Versicherungen. Die angebotene Kfz-Versicherung belohnt Fahrzeughalter, wenn sie ein CO2-sparsames Auto fahren.
Vorsicht vor Greenwashing
Dass das Thema Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche langsam Einzug hält, ruft auch Kritiker hervor: Zwar gebe es vereinzelt grüne Produkte und vor allem die großen Gesellschaften geben an, mit ihrem verwalteten Kapital in Wind- und Solarenergie zu investieren. Einige von ihnen würden aber einen Nachweis schuldig bleiben, heißt es vonseiten der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Die Verbraucherschützer haben beispielsweise die Stuttgarter Lebensversicherung abgemahnt. Der Vorwurf: Greenwashing. Die Stuttgarter hatte mit einem „Gesundheitskonto“ geworben, eine fondsgebundene Rentenversicherung, die als „Grüne Rente“ vermarktet wurde. Investoren würden ihr Geld hier nachhaltig anlegen. Doch wie konkret das mithilfe der Investitionen erreicht werden soll, weiß niemand so recht. „Die Berücksichtigung irgendwelcher Kriterien allein sagt nichts über die tatsächliche Nachhaltigkeit der Investitionen aus“, kritisiert Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, gegenüber procontra-online das vermeintlich grüne Angebot.
„Erste wirklich grüne Versicherung“
Anders machen will das das Unternehmen Verde. Das Münchener Startup will den deutschen Versicherungsmarkt mit „wirklich“ nachhaltigen, sozialen Sachversicherungen versorgen. Gründerin Marie-Luise Meinhold ist überzeugt, dass vieles in der deutschen Versicherungswirtschaft nur „hellgrün“ ist. Verde hat im Herbst die Versicherungslizenz bei der Bafin beantragt. Hat Meinhold die Lizenz erstmal in der Tasche, sollen ab Frühjahr 2023 unter anderem Haftpflicht-, Hausrat- und Unfallversicherungen und ab 2024 auch gewerbliche Policen verkauft werden. Der Unterschied zu den lediglich „hellgrünen“ Mitbewerbern liege darin, dass Verde selbst nachhaltig arbeitet – das Unternehmen nutz Ökostrom, das Vermögen ist bei der sozial-ökologischen GLS Bank deponiert. Die Beschäftigten kommen mit dem Zug oder Fahrrad ins Büro.
Der wichtigste Punkt liegt allerdings in der Mittelverwendung: Verde will nicht einfach nur einzelne Branchen wie etwa die Rüstungsindustrie von Investitionen ausschließen. Mit seinen Anlagen will Verde einen positiven gesellschaftlichen oder ökologischen Impact erzielen. Es bleibt abzuwarten, was die Verbraucherschützer dazu sagen werden.