Interview Wende bei Aktien: „Uns stehen turbulente Zeiten ins Haus“

Sonja Laud, 44, stieg nach einem Wirtschaftsstudium in Köln im Jahr 2000 in das Aktienfondsmanagement bei der DWS ein. Nach weiteren Stationen bei Schroders und Barings Asset Management in London wechselte sie im vergangenen Jahr zu Fidelity als Leiterin Aktienstrategie Europa.
Sonja Laud, 44, stieg nach einem Wirtschaftsstudium in Köln im Jahr 2000 in das Aktienfondsmanagement bei der DWS ein. Nach weiteren Stationen bei Schroders und Barings Asset Management in London wechselte sie im vergangenen Jahr zu Fidelity als Leiterin Aktienstrategie Europa.
© Dan Wilton
Sonja Laud, Aktienchefin für Europa bei Fidelity, warnt: Wir unterschätzen, was der Rückzug der Notenbanken an den Märkten auslöst. Jeder müsse sich fragen: Habe ich die Nerven, Schwankungen auszusitzen?

Einen buchstäblichen Steinwurf von Londons St. Paul’s Cathedral entfernt liegt die Europazentrale der Fondsgesellschaft Fidelity International. Zuständig für die Aktienstrategie Europa des Fondsriesen ist die Deutsche Sonja Laud – die Capital zwar in bester Laune zum Interview empfängt, aber einen eher düsteren Ausblick liefert.

Capital: Frau Laud, die Aktienmärkte sind gegenüber den Höchstkursen um rund zehn Prozent gesunken. Ist das nur ein Zwischentief oder der Beginn einer längeren Baisse?

SONJA LAUD: Den Höhepunkt des Wirtschaftswachstums haben wir hinter uns. Das muss zwar nicht zwingend auf eine Rezession deuten. Aber ich fürchte, nicht alle sind darauf vorbereitet, dass uns an den Märkten deutlich turbulentere Zeiten ins Haus stehen. Der Anpassungsprozess an die Zeit nach der Ära des billigen Geldes läuft.

Das ist doch längst Konsens: Achtung, die Extreme nehmen zu.

Das stimmt. Und darin liegt die Gefahr, denn nach den fantastischen und meist ruhigen Börsenjahren nimmt das ja kaum jemand ernst.

Mit der Debatte um Italien und den Handelskrieg reagieren die Märkte schon nervöser.

Diese Kausalität sehe ich nicht. Wir schreiben die Zuckungen der letzten Wochen insbesondere politischen Ereignissen zu, etwa der Regierungsbildung in Italien oder Donald Trumps wenig stringentem Regierungsstil. Tatsächlich aber schleicht sich die Erkenntnis in den Markt, dass die Wachstumsperspektiven nicht mehr so rosig sind. Und das fällt nun zusammen mit der Normalisierung der Geldpolitik.

Man sollte sich darauf einstellen, dass es auch einmal einige Jahre nur geringe Zugewinne für Aktionäre gibt und selbst die nur mit hohen Schwankungen verdient werden können
Sonja Laud

Besser wurde eine Wende in der Geldpolitik nie vorbereitet. Wen überrascht das noch?

Ich fürchte: viele. Wir haben uns an zehn Jahre extrem üppige Liquidität durch die Notenbanken gewöhnt. Das macht leichtsinnig. Diese Unterstützung fällt nun weg, die Europäische Zentralbank stellt ihre neuen Anleihenaufkäufe zum Jahresende ein, die US-Notenbank erhöht laufend die Zinsen. Das macht viele nervös. Es ist einfach ein völlig neues, schwierigeres Marktumfeld.

Woran machen Sie das fest?

Nehmen Sie Extreme wie Argentinien: Noch vor einem Jahr wurde dem Land eine 100-jährige Anleihe über gut 2 Mrd. Euro aus den Händen gerissen. Einem Land, das in seiner Geschichte acht Mal pleite war! So etwas klappt nur dank der Sorglosigkeit und üppiger Liquidität. Nun ist die Anleihe im freien Fall. Meine Theorie ist: Der Rückzug der Notenbanken verändert die Preismechanismen für Aktien und Anleihen stärker, als es die meisten vermuten. Dazu muss man den Preisanstieg von Vermögenswerten und der Realwirtschaft in diesem Zyklus beachten: Die US-Wirtschaft ist seit Anfang 2009 um 34 Prozent gewachsen, die Europas um 23 Prozent. Und die globalen Aktienmärkte? Stiegen um 190 Prozent, in den USA sogar um 260 Prozent.

Also lieber raus aus Aktien?

Nein. Aber man sollte sich darauf einstellen, dass es auch einmal einige Jahre nur geringe Zugewinne für Aktionäre gibt und selbst die nur mit hohen Schwankungen verdient werden können. Das ist unser Basisszenario. Und jeder sollte sich prüfen, ob er wirklich die notwendigen fünf bis zehn Jahre Geduld hat und die Volatilität aushält, die er seit Jahren nicht mehr kennt.

Wie groß sind die politischen Risiken, die etwa von Italien oder dem Brexit ausgehen?

Es ist viel Lärm dabei. Weil sich die Theorien rasch entkräften lassen, mit denen die Akteure arbeiten. Italiens Probleme haben nicht direkt mit der Eurozone zu tun, sondern sind grundsätzlicher Natur: Zu lange war das Wachstum zu schwach, der Arbeitsmarkt verkrustet, die Entscheidungsfindung der Regierung komplex. Da gibt es eine Parallele zum Brexit hier in Großbritannien: Was die Briten gerne strukturell lösen wollen, etwa die Ungleichheit, lässt sich nicht mit einem Austritt aus der EU lösen. Auch Trump doktert mit Zöllen und Protektionismus an Symptomen herum. Die Globalisierung hat den Kuchen größer gemacht, den es zu verteilen gibt. Kein Ökonom hat aber jemals gesagt, dieses Wachstum werde gleich verteilt. Es wäre Aufgabe der Politik, dies zu steuern. Protektionismus aber macht den Kuchen kleiner.

Als Aktienchefin für Europa machen Sie nicht gerade Mut, sich für Aktien zu entscheiden.

Das sehe ich anders. Die Konsequenz der Liquiditätsschwemme ist ja, dass alle Anlageklassen überteuert erscheinen. Bei Anleihen gibt es kaum noch Zinsen, obwohl auch die gefährdet sind. Wir glauben, dass man mit Staatsanleihen in den nächsten fünf bis zehn Jahren kaum etwas verdienen kann. Mit Aktien bekomme ich für mein Risiko wenigstens noch gute Renditeperspektiven. Und wenn ich an einen längeren, volatilen Anpassungsprozess hin zu schwächerem Wachstum glaube – wofür auch die Demografie in den Industrieländern spricht –, gibt es immer noch interessante Optionen für aktive Manager. Für ein Engagement in Indizes über ETFs wird es eher schwierig.

Das ist die Standardthese aller aktiven Manager. Gibt es überhaupt einmal Lagen, in denen „keine Zeit für aktives Management“ ist?

Natürlich, die jüngere Vergangenheit etwa, in der rund zehn Aktien aus dem Technologiebereich wie Apple, Amazon, Google und Co. den ganzen weltgrößten Aktienmarkt USA ziehen und für die Hälfte der dortigen Gesamtperformance stehen. Da haben Sie es als aktiver Manager schwer. Je volatiler aber die Kurse und je größer die Bandbreite an Renditen, desto mehr Chancen haben Sie als aktiver Manager. Es gibt schließlich auch Hunderte Werte, die zurückgeblieben sind, während die Techwerte davonzogen.

Wo genau sehen Sie Chancen?

Sehr interessant sind britische Werte, die stark unter dem Brexit-Referendum und den entsprechend pessimistischen Erwartungen gelitten haben. Generell halten wir defensive Bereiche für aussichtsreich, etwa Pharmawerte und auch die Telekombranche, die so niedrig bewertet ist wie noch nie. Beide sind derzeit eher unbeliebt, mit vielen Werten kann man aber auch vier bis fünf Prozent Dividendenrendite verdienen. Wenn das Wachstum zurückgeht, ist das sehr interessant.

Zuletzt gerieten auch deutsche Aktien in den Abwärtsstrudel der Märkte. Zu Recht?

Ja, denn der Aktienindex Dax ist kein Abbild der deutschen Wirtschaft, sondern besteht aus globalisierten Konzernen. Die müssen den gesunkenen Wachstumserwartungen Tribut zollen. Und wir kommen von einem sehr hohen Niveau zum Jahreswechsel, als die Wirtschaft unter Volldampf wuchs. Da ist doch klar: Die Marge für Fehler und Enttäuschungen ist gering, der Gesamtmarkt nicht eben billig. Aber besonders pessimistisch bin ich da nicht.


DAX Index


DAX Index Chart
Kursanbieter: L&S RT

Was ist denn generell mit Aktien noch an Rendite drin?

Wir glauben, mittelfristig vier Prozent mit Aktien weltweit und fünf Prozent pro Jahr mit Schwellenländeraktien. Blickt man auf die Allokation typisch deutscher Portfolios, sind asiatische Werte kaum vertreten. Hier gibt es Nachholbedarf.

Und wo lauert das größte Risiko?

Das wäre für mich das Szenario, dass wir rasch in eine Rezession rutschen. Was machen dann die Notenbanken, wo doch die Zinsen noch so niedrig sind und die Liquiditätsversorgung immer noch üppig ist? Können sie dann überhaupt helfen? Und wenn ja, wie? Es wäre erneut völlig unbekanntes Terrain.

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