Jens Weidmann ist seit Jahren der Hoffnungsträger derjenigen, die es als vorrangige Aufgabe einer Notenbank betrachten, Kleinsparern Zinsen zu garantieren. Dass der Bundesbankpräsident dies jedoch nicht ist, unterstrich er am Mittwoch erneut mit einem virtuellen Auftritt vor Finanzjournalisten aus Frankfurt. Er verteidigte die aktuelle Krisengeldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) unter ihrer Präsidentin Christine Lagarde und rückte dabei das primäre Ziel der Notenbank in den Blick: Geldwertstabilität.
Die EZB sieht ihr Mandat der Geldwertstabilität erfüllt, wenn die Verbraucherpreise knapp unter zwei Prozent steigen. Ihre Definition von „knapp“ ist nicht ganz klar, weshalb es Diskussionen gibt, ob die EZB nicht wie andere große Notenbanken einfach ein Zwei-Prozent-Ziel festschreiben sollten. Doch auf absehbare Zeit ist dies eine rein akademische Diskussion, denn die Inflationsrate in der Eurozone wird nach EZB-Prognosen auf mittlere Sicht nicht knapp, sondern weiterhin deutlich unter zwei Prozent liegen.
Darauf wies auch Weidmann noch einmal hin. Der Stab der Notenbank rechne für dieses Jahr mit einem Preisauftrieb von 1,5 Prozent, vor allem auch wegen Einmaleffekten wie dem Ölpreisanstieg und der Normalisierung der Mehrwertsteuersätze in Deutschland. Für die kommenden Jahre 2022 und 2023 prognostizieren die EZB-Ökonomen dann eine Inflationsrate von 1,2 beziehungsweise 1,4 Prozent, was Weidmann auf das „gedrückte Aktivitätsniveau in der Wirtschaft insgesamt“ zurückführte. Damit sind Werte wie vor der Covid-19-Pandemie zu erwarten. Je länger sich die Erholung verzögere, desto schwächer könnte die Inflation ausfallen. Sie könne aber auch höher liegen, warnte Weidmann. Als Hauptrisiko nannte er stark steigende Rohstoffpreise.
Weidmann mahnt Wachsamkeit an
Auf diese „mittlere Sicht“ richtet die EZB gewöhnlich ihre Geldpolitik aus. Und da sich das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels nicht abzeichnet, ist mit einer Straffung der Geldpolitik nicht zu rechnen, folglich auch nicht mit höheren Leitzinsen. Der Markt betrachtet dies aktuell ein wenig anders, die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen liegt aktuell bei rund minus 0,3 Prozent nach minus 0,6 Prozent zu Jahresbeginn. Dies wird allerdings als Reaktion auf steigende US-Anleiherenditen gewertet. Dort ist die Zehnjahresrendite in diesem Jahr bereits auf 1,72 von 0,92 Prozent gestiegen.
Allerdings mahnte Weidmann auch, im Hinblick auf die Inflation „wachsam zu bleiben“. Der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet kommunizierte mit dem englischen Wort „vigilance“ (Wachsamkeit) häufig eine anstehende Straffung der Geldpolitik. Dafür gibt es derzeit zwar keine Anzeichen, aber Weidmann warnte davor, dass die Notenbanker zu zaghaft sein könnten, wenn die Preise wirklich deutlicher ansteigen. „Ich weise schon länger darauf hin, dass es fahrlässig wäre auszuschließen, dass wir es in Zukunft wieder mit stärker inflationären Kräften zu tun bekommen können“, sagte er. „Aus meiner Sicht spielt aber auch die in der Krise kräftig gestiegene Staatsverschuldung eine Rolle.“ Das Risiko daraus sei, so Weidmann, dass die Notenbanken „unter wachsenden politischen Druck geraten, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung sicherzustellen, in dem sie die lockere Geldpolitik länger beibehalten als es die mittelfristige Preisstabilität erfordert“.
Und so stand am Ende seiner Ausführung dann noch ein wenig Hoffnung auf eine Straffung der Geldpolitik. Denn dieser droht laut Weidmann ein Verlust ihrer Glaubwürdigkeit, wenn sie nicht rechtzeitig aus der Krisenpolitik aussteigt. Das klingt dann doch sehr nach 2016 oder 2017, als Weidmann mit dem damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi öffentlich wegen der Ausrichtung der Geldpolitik zusammenrasselte.
Sparer sollten sich allerdings nicht zu viel erhoffen. Denn höhere Zinsen wären die Folge einer höheren Inflation. Den höheren Zinseinnahmen stünden dann höhere reale Kaufkraftverluste entgegen.