Kolumne Warum Aktienneueinsteiger viel Geduld brauchen

Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
© Gene Glover
Wer jetzt noch neu in Aktien einsteigt, sollte dies mit niedrigen Erwartungen tun – oder wenigstens zwei Jahrzehnte Geduld mitbringen. Christian Kirchner warnt vor überzogenen Renditehoffnungen

Falls Sie sich für Aktien interessieren und das Geheimnis des ewigen Lebens kennen, können Sie sich die Lektüre dieses Beitrags sparen. Falls nicht, ist es nach fast zehn Jahren Bullenmarkt Zeit, sich stärker mit dem Risiko einer Aktienanlage auseinanderzusetzen. Denn die typische Handlungsempfehlung in Sachen Aktien sieht, etwas vereinfacht, so aus: Kaufen Sie Aktien, üben Sie sich in Geduld – und dann kann wenig schiefgehen.

Doch Geduld ist ein dehnbarer Begriff. Die durchschnittliche Haltedauer einer Aktie beträgt weltweit inzwischen näherungsweise sieben Monate, die von Fondsanteilen rund zweieinhalb Jahre.

Die aktuelle Capital
Die aktuelle Capital

Nehmen wir aber großzügig einmal eine Haltedauer von zehn Jahren an. Damit konnten Sie in den letzten 50 Zehnjahreszeiträumen mit einer breit gestreuten Anlage in den Dax im Schnitt gut sieben Prozent pro Jahr verdienen. Typischerweise lassen Aktienlobbyisten dabei aber unter den Tisch fallen, dass es sich um nominale Renditen handelt. Betrachtet man alle Zehnjahresrenditen real, das heißt unter Berücksichtigung der Inflation, sollten Pessimisten hellhöriger werden. Denn in einem Viertel aller Zehnjahreszeiträume hat eine Anlage in den Dax inklusive Dividenden real überhaupt keine Rendite eingebracht – in manchen aber sogar Verluste.

Wer das Geld nicht braucht, dem kann dies natürlich egal sein. Wer aber mit seiner Aktienanlage eine gewisse Renditeerwartung verknüpft etwa mit Blick auf die Altersvorsorge und keinesfalls reale Verluste erleiden will, braucht: Zeit. Viel Zeit. Erst mit einem Horizont von 25 Jahren gab es zumindest in der jüngeren Vergangenheit eine Quasigarantie auf eine reale Minirendite.

Aktien erzielen schlicht nicht die Rendite, von denen Aktienadvokaten ständig reden
Christian Kirchner

In dieser Berechnung fallen zwei wichtige Faktoren großzügig unter den Tisch: erstens die Kosten der Anlage und zweitens die Besteuerung von Kursgewinnen und Dividenden. Der idealtypische Anleger, der etwa einen günstigen ETF auf den breit gestreuten Dax kauft und hält, ist eine rare Spezies. Konservativ geschätzt nagen Kosten, Steuern und das typische prozyklische Verhalten weitere drei Prozentpunkte von den möglichen realen Renditen ab. Unter diesen Bedingungen wäre sogar jede dritte Zehnjahresanlage in den letzten 50 Jahren ein Verlustgeschäft gewesen. Damit haben wir eine gute Erklärung, warum viele Anleger Aktien so skeptisch beäugen: Sie erzielen schlicht nicht die Rendite, von denen Aktienadvokaten ständig reden. Die durchschnittliche reale Zehnjahresrendite etwa mit dem Dax beträgt unter dieser Annahme nach Kosten und Steuern seit dem Beginn des deutschen Börsenbooms 1996 nur gut zwei Prozent pro Jahr.

All dies ist kein Plädoyer gegen Aktien. Die realen Erträge von Cash und Anleihen waren schlechter. Nach vielen Jahren Bullenmarkt sollten aber Neueinsteiger in Aktien viel Zeit mitbringen – idealerweise zwei Jahrzehnte – und mit niedrigen Erwartungen an eine Aktienanlage herangehen. Es ist nicht die Zeit, den Helden zu spielen.

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