Die Dax-Performance übertrifft mit knapp 15 Prozent in diesem Jahr bereits die Erwartungen vieler Anleger. Trotz Rezession in Deutschland haben sich die Unternehmen an der Börse wacker geschlagen. Die größte Überraschung ist jedoch der Gas- und Windturbinenhersteller Siemens Energy: Mit einem Plus von 285 Prozent führt er die Rally mit großem Abstand an. Das Unternehmen, dessen Konzernzentrale in Berlin sitzt, ist nach einem katastrophalen Vorjahr – in dem der Kurs zweimal eingebrochen ist – 2024 der Star der Investoren.
Was Vorstandschef Christian Bruch in diesem Jahr erreicht hat, kann sich sehen lassen: Siemens Energy war mit einem Verlust von 4,6 Mrd. Euro 2023 tief in die roten Zahlen gerutscht, musste sich sogar vom Bund Garantieren für langfristige Projekte besorgen, weil die Banken nicht mehr bürgen wollten. Für das vergangene Geschäftsjahr, das bis Ende September lief, meldete Bruch nun einen Gewinn von 1,3 Mrd. Euro. Die Prognose für das laufende Geschäftsjahr hob er in allen Bereichen an. Die Aktien von Siemens Energy sprangen daraufhin um 21 Prozent auf ein Rekordhoch von 47,13 Euro.
Allerdings lohnt sich ein genauerer Blick in die Zahlen: Der operative Gewinn ist nach wie vor negativ. Zwar hat der Umsatz vor allem dank des starken Geschäfts mit Gasturbinen und Netztechnik zugelegt, jedoch lediglich um knapp elf Prozent. Der Milliardengewinn ist dem Verkauf von Anteilen des indischen Energiegeschäfts an die Konzernmutter Siemens, die rund 17 Prozent hält, zu verdanken.
Das Windgeschäft muss noch drehen
Im Windkraftgeschäft hakt es nach wie vor. Damit steht Siemens Energy nicht alleine da: Auch die Konkurrenten von Orsted und Vestas sind damit beschäftigt, die zuletzt stark gestiegenen Baukosten mit Stellenabbau und dem Verkauf von Unternehmensteilen auszugleichen. Zwar will Vorstandschef Bruch auch dieses Segment in den kommenden zwei Jahren in die schwarze Zone bringen. Doch einfach wird das nicht.
Der Markt ignoriere die Probleme im Windenergiegeschäft und fokussiere sich zu stark auf das Mittelfrist-Potenzial des Netzausbaus und der aktuellen Stärke des Gasturbinengeschäfts, sagt DZ-Bank—Analyst Alexander Hauenstein. „Dies birgt die Gefahr von Rückschlägen für die Aktie, sobald potenzielle verbliebene oder ungelöste Schwachstellen bei Siemens Energy wieder in den Fokus rücken.“
Ist das Ende des Kursfeuerwerks bereits in Sicht? Nicht unbedingt. Denn Siemens Energy hat den Trend im Rücken. Weltweit wenden sich die Länder von der Kohleverstromung ab und setzen auf Gaskraftwerke. Alleine die Bundesregierung plant den Bau von 20 Gaskraftwerken bis Ende 2028, aber auch China, USA und Brasilien setzen massiv auf Energie aus Gas. Um die Nachfrage zu bedienen, müssen Hersteller wie Siemens Energy und GE Vernova die langwierige Produktion hochfahren, bei der es auf Millimeter an Passgenauigkeit ankommt. Siemens Energy reserviert sich deshalb schon mal Fertigungskapazitäten.
Geopolitik kann sich nachteilig auswirken
Noch stärker soll der Markt der Windkraftanlagen künftig wachsen, laut Fortune Business Insights um knapp neun Prozent jährlich. Je schneller Bruch also die Probleme bei der Windkraftsparte Gamesa in den Griff bekommt, desto stärker profitiert auch das Dax-Unternehmen davon.
Viel hängt jedoch davon ab, wie sich die Zölle in den USA entwickeln und ob China weiterhin den europäischen Markt mit günstigen Konkurrenzprodukten fluten kann. Chinesische Hersteller wie Mingyang und Harbin Electric verzeichnen ebenfalls starkes Wachstum – und können auch technologisch mithalten.
Anleger sollten also den Überraschungssieger im kommenden Jahr nicht aus den Augen lassen. Bruch hat wenig Spielraum für Fehler bei der Sanierung der Tochter Siemens Gamesa. Und der Trend muss nicht automatisch sein Freund bleiben.