Eigentlich wäre der nächste Stichtag für eine Überprüfung der Indizes des Finanzdienstleisters MSCI der 12. Mai 2022. Alle sechs Monate gibt es eine solche Anpassung bei den Indizes, die von MSCI herausgegeben werden. Die Top-Aktien schaffen es in den Index, der Rest nicht. Allerdings gibt es ein Problem: Was soll mit den russischen Aktien passieren? Die Börse in Moskau ist derzeit geschlossen und ohnehin sind russische Wertpapiere wegen europäischer Sanktionen derzeit nicht handelbar. ETFs, die beispielsweise den Index MSCI Emerging Markets nachbauen, beinhalten aber auch russische Titel wie Gazprom oder Sberbank.
MSCI teilte am Montag, dass ein Ausschluss russischer Aktien aus den Indizes geprüft werde. MSCI ist der wichtigste Indexanbieter auf dem Markt. Fondsgesellschaften bilden mit ihren ETFs die Indizes ab.
Der deutsche Investmentbanker Gerd Kommer sieht in der Verbannung russischer Aktien „keine Empörungsmaßnahme“. Dieser Ausschluss sei „auf Basis objektiven Russland-unabhängiger Kriterien gerechtfertigt“. Bei MSCI gilt unter anderem, dass für Ausländer an den jeweiligen nationalen Devisen- und Wertpapiermärkten keine wesentlichen Schranken bestehen dürfen und dass eine Mindestqualität bei der Finanztransparenz der Unternehmen für Ausländer gegeben ist.
Russische Aktien wären ohnehin aus den Indizes geflogen
So ist beispielsweise Südkorea nicht im MSCI World vertreten, sondern nur im weniger prestigeträchtigen MSCI Emerging Markets, das ärmere Portugal aber im MSCI World. „Südkorea erfüllt die oben genannten MSCI-Vorgaben nicht hinreichend. Solange das der Fall ist, nimmt MSCI Südkorea nicht in den MSCI World Index auf, obwohl Südkorea beispielsweise beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weit oberhalb Portugals steht", erklärt Kommer. Die aktuellen Beschränkungen erlauben es dem MSCI, russische Aktien aus den Indizes zu streichen.
An dem MSCI EM wird sich allerdings nicht viel ändern. „Der russische Aktienmarkt war im Weltmaßstab sehr klein“, sagt Kommer. Das liegt daran, dass es keine reservierten „Kontingente“ für Länder in einem Regionen-Index gebe. „Der Anteil der jeweiligen Länder ergibt sich aus der Summe der Unternehmen des Landes, die es in den Index schaffen“, so Kommer. Überhaupt wären am nächsten Stichtag, auch Index-Rekonstitutionsdatum genannt, im Mai wahrscheinlich die russischen Aktien rausgeflogen, da sie derzeit erhebliche Verluste erleiden: Die Gazprom-Aktie ist über 50 Prozent, die der Sberbank um fast 60 Prozent innerhalb der letzten fünf Tage eingebrochen.
Fonds, die sich nicht an einen bestimmten Index wie dem von MSCI orientieren, haben laut Peter Scholz, Professor für Banken und Finanzmärkte an der Hamburg School of Business Administration, jederzeit die Möglichkeit umzuschichten: „Da hängt es von der Fondgesellschaft ab“, ob diese jetzt beispielsweise russische Werte streicht.
Einen solchen Fond besitzt Kommer. Der Investmentbanker wird aber nichts verändern. „Das Russland-Exposure ist bei unseren Kunden ohnehin mikroskopisch, weil Russland im Maßstab nur einen kleinen Aktienmarkt hatte.“ Überhaupt gilt für Kommer: „Wer jetzt nicht mit der erhöhten Volatilität in seinem Depot klarkommt, der hatte einen zu großen Aktienanteil darin, der hat also seine Risikotragfähigkeit überschätzt.“ In so einem Fall sollten sich Anleger für die Zukunft überlegen, ob sie jetzt „die Kröte schlucken“ und den „offenbar zu hohen Aktienanteil in sichere Anleihen umschichten“ sollten.
Diversifikation schützt gegen Ausschläge
Wer ein hohes Russland-Exposure besitzt, geht laut Scholz ohnehin ein Risiko ein: „Ich glaube, dass alle osteuropäischen Investments mit einem erhöhten Risiko verbunden sind. Man weiß nicht, wie die politische Lage in der Zukunft ist.“ Dazu kommt für ihn die Frage, ob man es „moralisch in Ordnung findet, an Kriegsentwicklung zu profitieren“. Das müsse aber jeder Anleger für sich selbst entscheiden.
Eine mögliche Lösung ist ein ETF, der Russland – unabhängig von der jetzigen MSCI-Entscheidung oder der Sanktionen – grundsätzlich ausschließt. Der MSCI Osteuropa Ex Russia ist ein solcher Index. Wer laut Kommer davon ausgeht, dass „Russland dauerhaft in kein normales Fahrwasser mehr zurückkommt“, für den wäre das vielleicht eine Möglichkeit. „Dieses Szenario ist ja nicht völlig ausgeschlossen.“
Allerdings kann es natürlich auch anders kommen und die Lage normalisiert sich – auch wenn momentan wenig für ein solches Szenario spricht. Letztlich sei in jedem Land „politisches Risiko Teil des Aktienmarktrisikos“. Kommer empfiehlt Diversifikation. „Wer systematisch streut, der ist vor den allerschlimmsten Konsequenzen eines Crashs bei Einzelwerten oder einzelnen Ländern geschützt.“ Wer beispielsweise ein globales Aktienportfolio auf ETF-Basis hatte, bei dem lag Russland bereits vor dem Crash bei einem Gewicht von ungefähr einem Prozent.