Debatte Natürlich wird der deutsche Sparer enteignet

50-Euro-Scheine im Geldautomaten: Sparen lohnt sich in Zeiten niedriger Zinsen kaum noch
50-Euro-Scheine im Geldautomaten: Sparen lohnt sich in Zeiten niedriger Zinsen kaum noch
© dpa
Der Ökonom Christian Odendahl hat in einer Kolumne auf Capital.de bezweifelt, dass deutsche Sparer bei Nullzinsen und negativen Zinsen enteignet werden. Seine Argumentation ist irreführend – eine Antwort von Lewin Berner

Zunächst fällt auf, dass die Kolumne von Christian Odendahl selbst die Frage der Überschrift – werden deutsche Sparer tatsächlich enteignet? – nicht wirklich beantwortet. Der Autor erklärt, dass die EZB-Politik kein größeres Problem für die deutschen Sparer sei, denn dem Nullzins würde eine Nullinflation gegenüberstehen. Der Tenor scheint daher zu sein, dass wir uns alle entspannen können.

Ich halte den Artikel für inhaltlich irreführend und analytisch nicht zu Ende gedacht und möchte das mit vier Argumenten begründen:

#1 Der Nullzins wirkt wie eine Steuer durch die Hintertür

Der deutsche Staat mitsamt seinen Gebietskörperschaften ist mit ca. 2000 Mrd. Euro verschuldet. Pro Prozentpunkt Zinsersparnis sind das also 20 Mrd. Euro, mit denen die öffentlichen Haushalte entlastet werden. Je nach Annahme eines „normalen“ Zinsniveaus spart der Staat also zwischen 40 bis 60 Mrd. Euro im Jahr. Im Umkehrschluss bekommt der Sparer entsprechend weniger Zinsen. Wie nennt man etwas, was der eine verliert und der andere gewinnt? Es ist mindestens eine Umverteilung, eher eine Enteignung. Wirtschaftlich stellt die Nullzinspolitik übrigens eine Vermögensteuer dar. Geldvermögen wird belastet, der Staat entlastet. Also quasi eine außerparlamentarische Steuer durch die Hintertür der EZB-Bürokratie abgewickelt. Ziemlich smart? Ja, für den Staat schon. Wir Sparer sind die Gelackmeierten.

#2 Es gibt keine Inflation? Unsere Kaufkraft schmilzt dennoch

Der Autor zieht als Maß für die Geldstabilität die Inflation heran. Der Geldwert sei stabil, daher sei alles kein Problem. Ist diese Annahme aber richtig? Bekanntlich basiert die Inflationsberechnung des statistischen Bundesamtes auf einen normalisierten Warenkorb, vereinfacht gesagt fließt hier die Durchschnittsnachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen ein (z.B. Wohnen, Lebensmittel, Reisen, Bildung).

Infografik: So hoch ist die Inflation in Deutschland | Statista

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Beschreibt dieser willkürliche Warenkorb die gesamte Preisrealität im Land? Natürlich nicht, die Geldentwertung hat längst ihre eigenen Wege gesucht. Dies lässt sich an sehr vielen Vermögensgegenständen ablesen, deren Preisentwicklung außer Rand und Band ist: Immobilien, Wald- und Forstgrundstücke, Edelmetalle, Kunstgegenstände.

Ein zweiter Kritikpunkt ist, dass die Warenkörbe des Durchschnittsdeutschen nicht relevant sind für diejenigen Bürger mit hohen Barvermögen. Als Beispiel sei auf den Anteil der Ausgaben für Bildung verwiesen. Im Durchschnittswarenkorb hat dieser Punkt einen Anteil von 0,7 Prozent. Gerade im vermögenden Bildungsbürgertum ist der Anteil aber viel höher. Wer seine Kinder abseits der staatlichen Obhut ausbilden lässt, kann ein Lied davon singen. Kaum ein Bereich hat sich in den letzten Jahren so verteuert. In Quadratmeter von Wohnflächen, Unzen Feingold oder jährlichen Schulgebühren gerechnet sieht man erst, wie die Kaufkraft unseres Geldes unaufhörlich dahinschmilzt, dieser Trend hat sich in den letzten Jahren auch noch beschleunigt.

#3 Die Systeme der Banken und Versicherungen werden zerstört

Der Autor nennt die EZB-Zinspolitik „bemerkenswert“. Über die verheerenden Auswirkungen dieser Politik für alle Systeme, die auf Kapitalstöcke und auf positive Zinserträge angewiesenen sind, schweigt er sich aus. Dazu zählen vor allem Versicherungen, also Lebens-, Renten- oder Private Krankenversicherungen sowie die Banken. Auch kein Wort dazu, dass die EZB längst keine Nullzinspolitik mehr betreibt, sondern in ein volkswirtschaftliches „terra incognita“ abgetaucht ist, nämlich in ein Terrain negativer Zinsen. Gerade erst hat sie den negativen Zins weiter von -0,4 auf -0,5 Prozent gesenkt. Für die Banken ist die Politik der EZB besonders verheerend, ihre Einnahmen brechen weg. Ihr über viele Jahrhunderte bestehendes und bewährtes Geschäftsmodell wird durch die EZB-Politik langfristig vollständig zerstört.

#4 Die Negativzinsen erhöhen nur die Dosis des süßen Giftes

Christian Odendahl sagt, das Problem sei, niemand wolle investieren. Das sei die Ursache für die EZB-Politik, es gehe um Wachstum und Vollbeschäftigung. Aus meiner Sicht wird hier Ursache und Wirkung verkehrt. Offenkundig wurden politisch grundlegende Fehler in der Konstruktion des Euro gemacht, bei gleichzeitig völlig untauglicher Wirtschafts-, Sozial- und Ordnungspolitik – vor alle bei den Mittelmeerstaaten, denen aufgrund der laxen Geldpolitik seit zu vielen Jahren harte strukturelle Einschnitte erspart werden.

Die Target II-Salden der EZB mit den nationalen Notenbanken zeigen die Amplitude der Fieberkurve. Man löst also durch die Zinspolitik keines der wirklichen Probleme, sondern man erhöht über den Negativzins einfach die Dosis des Wirkstoffs, der schon lange keine Genesung mehr verspricht. Es ist wie bei einem Infekt: Wer nur das Fieber senkt, arbeitet gegen die Symptome an, die Ursache der Krankheit aber bleibt unbehandelt. Man kann so zwar das Fieber senken, aber mit jeder weiteren Medikamentengabe erhöhen sich die Nebenwirkungen. Das süße Gift des Niedrigzinses führt aber auf lange Sicht dazu, dass das gesamte System irgendwann umkippen muss. Dass es das tun wird, ist meines Erachtens unvermeidlich. Die richtige Antwort auf die Frage des Artikels wäre also: „Ja, der Sparer wird enteignet und zwar nach Strich und Faden“.

Lewin Berner ist Geschäftsführender Gesellschafter des Schuhherstellers Sioux. Zuvor arbeite der studierte BWler als Banker und bei der Beteiligungsgesellschaft Permira.

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