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Treuhänder Liechtenstein: zu untreuen Händen

Balzer, Liechtenstein
Balzer, Liechtenstein
© Getty Images
Sie waren die heimlichen Herrscher von Liechtenstein und verwalteten Milliarden: die Treuhänder. Nachdem das Fürstentum das Bankgeheimnis aufgeweicht hat, kommen nun erstaunliche Betrugsfälle ans Licht

Bis er wegen einer Kosmetikfirma im Gefängnis landete, war der Treuhänder Harry Gstöhl ein hoch­ geachteter Mann in Liechten­stein. Dekoriert mit dem Ehrentitel „Fürstlicher Justizrat“, verwaltete er mit seiner Anwaltskanzlei Stif­tungen und Gesellschaften reicher Mandanten. Gleichzeitig war er Prä­sident des Verwaltungsgerichtshofs, später zwölf Jahre lang Präsident des Staatsgerichtshofs, vergleich­bar mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht. In seinen verschie­denen Tätigkeiten sah keiner einen Interessenkonflikt, Gstöhl galt als Sinnbild für Seriosität und Verläss­lichkeit.

Dann aber wollte Gstöhl mit ei­ner brasilianischen Neurologin – die ihn vom Krebs geheilt haben soll – in Italien eine Kosmetikfirma aufbau­en. Sie sollte den Markt mit einem Selbstbräuner für die Haut erobern, den man nur trinken muss.

Gstöhl schuf um die Firma ein kompliziertes Konstrukt aus Ge­sellschaften und Stiftungen, das die Geldflüsse verschleiern sollte – ganz so, wie es Treuhänder oft für ihre Mandanten tun. Die Kosmetikfirma in Mailand also gehörte einer Gesell­schaft in Wien, die wiederum einer Holding auf Zypern und die wie­ derum einer Familienstiftung, die Gstöhl zuzurechnen ist.

Ärztin und Millionen weg

Zunächst steckte Gstöhl sein privates Vermögen in die neue Firma. So lange, wie es reichte, jedenfalls. Als es nicht mehr reichte, vergriff er sich am Geld seiner Kanzleikunden. Als Treuhänder hatte er ja den vollen Zugriff auf die Konten – und darum sitzt Harry Gstöhl jetzt, mit 70 Jah­ren, hinter Gittern. Verurteilt zu sechs Jahren Haft wegen schweren Betrugs, Untreue und Geldwäsche.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Gstöhl ist zwar gestän­dig, hält aber die Strafe für zu hoch. Dabei läuft noch ein zweites Verfah­ren gegen ihn. Im ersten Prozess ging es nur um Fälle ab dem Jahr 2010 und um 13 Mio. Schweizer Franken. Insgesamt aber, schätzt die Staatsan­waltschaft, habe der Treuhänder bis zu 50 Mio. Franken veruntreut.

Die Ärztin, mit der Gstöhl eine Affäre hatte, ist verschwunden. Ebenso die Millionen. In Liechten­stein spricht man bereits vom größ­ten Betrugsfall in der Geschichte des Fürstentums. Für den Finanzplatz ist das ein Desaster. Denn im Fürs­tentum war es zwar lange geduldet, dass Treuhänder mit ihren reichen Kunden ausländische Steuerbehör­den übers Ohr hauen. Aber doch bit­te nicht die Kunden selbst.

Eingeklemmt zwischen der Schweiz und Österreich, keine 50 Ki­lometer südlich des Bodensees, liegt Liechtenstein, das sechstkleinste Land der Welt. Begrenzt durch den noch jungen Rhein im Tal und den Grauspitz mit seinen 2599 Metern im Gebirge. Gerade einmal 36.000 Einwohner hat Liechtenstein, doch so winzig das Fürstentum auch ist, umso größer ist die Bedeutung sei­nes Finanzplatzes. Vor allem dank der Treuhänder.

Meist sind es Männer im Maßanzug, die sich diskret und ge­räuschlos um die Stiftungen und Ge­sellschaften der Reichen der Welt kümmern und versuchen, die Ano­nymität ihrer Kunden zu wahren. Jahrzehntelang haben sie ihre Pri­vilegien gepflegt, die die Treuhänder unter anderem vor Strafverfolgung schützten.

Als das Geld nicht mehr reichte, nahm er das seiner Kunden

Doch seitdem das Fürsten­tum das Bankgeheimnis gekippt hat, schwächelt das Geschäft der zuge­lassenen 146 Treuhänder und 250 Treuhandgesellschaften. Zwar be­findet sich das Fürstentum selbst nach Jahren der Krise nun wieder im Aufwind – die Kundenvermögen der Banken sind im vergangenen Jahr um 25 Prozent auf 294,3 Mrd. Fran­ken gestiegen –, doch bei den Treu­händern kriselt es.

Immer mehr Mandanten wol­len ihre Verträge kündigen, Stiftun­gen auflösen – oder sie klagen auf Schadensersatz. Ein neues Phäno­men in Liechtenstein. Jahrzehnte­ lang nämlich konnten Treuhänder sich fast sicher sein, dass ihre Kun­den bei Verfehlungen ohnehin nicht gegen sie vorgehen würden. Denn dabei hätten sie ja ihre eigenen, oft windigen Geschäfte den Strafverfol­gungsbehörden offenbaren müssen.

7 Mrd. Euro Nachzahlung

Dann aber begann vor zehn Jah­ren der Finanzplatz Liechtenstein zu wanken. Es war der 14. Febru­ar 2008, und im Kölner Nobelvorort Marienburg waren die Scheinwerfer auf eine weiße Villa gerichtet. Klaus Zumwinkel , damals Chef der Deut­schen Post, wurde vor laufenden Ka­meras abgeführt, zum Verhör. Blass die Haut, der Blick gesenkt, flan­kiert von seinem Anwalt Hanns Fei­gen und Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen. Das Bild hat sich ein­gebrannt ins kollektive Gedächtnis. Es ist zum Symbol geworden für die Gier der Reichen, für Steuersünder.

Zumwinkel hatte ein millio­nenschweres Stiftungskonto bei der liechtensteinischen Bank LGT, des­sen Kapitalerträge er nicht versteu­erte. Der Betrug flog auf, weil die Bundesrepublik für 4,5 Mio. Euro ge­heime Bankdaten von über 700 Deut­schen angekauft hatte. Deutschlands Steuersünder gerieten in Panik, zeigten sich tausendfach selbst an und zahlten allein bis Anfang 2010 mehr als 626 Mio. Euro an den Fiskus nach.

Hinzu kamen mehrere Hundert Millionen Euro an Strafen. Der Erfolg machte Schule. Im Feb­ruar 2010 kaufte Nordrhein­West­falen Daten der Credit Suisse. Viele weitere der umstrittenen Deals soll­ten folgen. Seit Frühjahr 2010 haben sich noch einmal etwa 135.000 Steu­ersünder selbst angezeigt, die Kapi­talanlagen im Ausland nicht angege­ben hatten. Knapp 7 Mrd. Euro haben sie an den Fiskus nachgezahlt.

Der damalige Bundesfinanzmi­nister Peer Steinbrück scholt Liech­tenstein, „zu einem guten Teil vom Steuerhinterziehungsgeschäft zu le­ben“. Diplomatisch herrschte Eiszeit zwischen den beiden Staaten. Auch andere europäische Länder stellten das Fürstentum an den Pranger. Auf jahrelangen internationalen Druck hin gab das Fürstentum schließlich sein Allerheiligstes auf: das Bankge­heimnis. 2013 kündigte es an, Infor­mationen über Steuerdaten künftig automatisch mit anderen Ländern auszutauschen.

Gerichte als „Dienstleister”

Gegen die drohende Gesetzesände­rung hatten die Liechtensteiner Treu­händer zuvor jahrelang lobbyiert. In einem Schreiben etwa stellten sie 17 Forderungen an die Liechtenstei­ner Regierung, verlangten Stimme und Sitz in „allen wesentlichen natio­nalen und internationalen fachbezo­genen Institutionen, Arbeitskreisen und Delegationen“, eine wirtschafts­liberale Auslegung der Gesetze – und eine Mitsprache, wenn mit anderen Ländern Abkommen zum Informati­onsaustausch in Steuerfragen abge­schlossen werden sollten.

Zudem wollten die Treuhänder drohende juristische Nachspiele ih­rer jahrelangen Praxis abfedern, in­ dem ihnen die Regierung Rechtssi­cherheit garantierte. „Weder Kunden noch Treuhänder werden kriminali­siert“, so die Forderung. Behörden, Finanzmarktaufsicht und Gerichte sollten sich als „Dienstleister“ ver­stehen. Sprich: den Treuhänder über das Gesetz stellen. Genutzt aber ha­ben diese Forderungen nichts.

Seitdem die Kunden der Treu­händer durch Selbstanzeigen oder Strafverfolgung selbst aus der Illega­lität kommen, mehren sich die Kla­gen und Anzeigen gegen die Kanz­leien. Im April dieses Jahres etwa klickten erneut die Handschellen. Diesmal traf es Mario Staggl. Der Chef der New Haven Treuhand AG zählte in Liechtenstein spätestens seit der Eröffnung seiner Szenebar Esquire zur High Society, nun sitzt der 53-­Jährige in Untersuchungshaft. Medien gegenüber gab der Mann mit den gegelten grauen Haaren gern den Finanzexperten und philosophierte über die Zukunft des Finanzplatzes, nun ermittelt das Fürstliche Land­gericht gegen Staggl wegen des Ver­dachts auf Untreue, Veruntreuung, gewerbsmäßigen schweren Betrugs und Geldwäsche.

Anfang April hatte ihn ein Mit­arbeiter seiner Treuhandgesellschaft angezeigt. Unterlagen, die Capital vorliegen, zeichnen das Bild eines Mannes, der sich schamlos an den Konten seiner Mandanten bedien­te. Darunter war auch ein deutscher Trust, von dem Staggl 275.000 Fran­ken auf das Konto seiner New Haven überwies. Angeblich als „Überbrückungsdarlehen“, das er innerhalb der nächsten drei Monate zurück­zahlen wollte. Seit zwei Jahren sei das nicht geschehen, heißt es in den Dokumenten.

Steuerhinterziehung im Ausland galt nicht als Straftat

Insgesamt geht es um mehre­re Millionen Franken, die Staggl ver­untreut haben soll. Mal kleinere Be­träge im fünfstelligen Bereich, mal mehrere Millionen. Nachdem er das Konto eines Trust fast leer geräumt hatte, von diesem aber plötzlich eine Zahlung in Höhe von 2 Mio. Dollar anweisen sollte, bediente Staggl sich für die Überweisung einfach eines anderen Kontos. Einige der Zahlun­gen, die auch auf Staggls Privatkonto landeten, habe er als „Spezialhono­rare“ intern gerechtfertigt, heißt es. Die Mandanten waren ahnungslos. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, müsste auch Staggl mit einer mehr­jährigen Haftstrafe rechnen.

Dass aber Staggl überhaupt vor Ge­richt steht, ist erstaunlich. Staggl war nämlich wegen eines anderen Falles schon seit knapp zehn Jah­ren von den USA zur Fahndung aus­ geschrieben – hatte sich aber vor Strafverfolgung in Liechtenstein verschanzt. Bei Staggl handelte es sich um eine zentrale Figur im Skandal um die Großbank UBS, an dem das Schweizer Bankgeheimnis zer­brach. Zusammen mit dem früheren UBS­-Vermögensberater und späteren Whistleblower Bradley Birkenfeld soll Staggl dem US-­Immobilienmilli­ardär Igor Olenicoff geholfen haben, über liechtensteinische Gesellschaf­ten 200 Mio. Dollar Steuern zu hin­terziehen.

Der Fall entfachte zwischen der Schweiz und den USA einen Steuerstreit gigantischen Ausma­ßes. Am Ende arbeitete die UBS mit den US­-Behörden zusammen, über­stellte ihre Kundendaten und kauf­te sich für 780 Mio. Dollar frei. Im August 2009 wurde der geständige Birkenfeld zu einer Gefängnisstra­fe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Staggl aber, der in Liech­tenstein blieb, hatte dort nichts zu befürchten. Steuerhinterziehung im Ausland nämlich galt in Liech­tenstein nicht als Straftat. Erst 2013 wurden die Gesetze bei „schweren Steuerdelikten“ verschärft.

Schon bevor Staggl im April verhaftet wurde, warnte ein ande­rer Liechtensteiner Treuhänder vor den Zuständen in seiner Branche: Roger Frick schrieb im vergangenen Oktober einen Brandbrief an sei­ne Kollegen. Das Schreiben, das Ca­pital vorliegt, klingt wie eine Bank­rotterklärung für den Stand. Frick berichtet von Beschwerden aus der Schweiz, London, Japan, Mexiko und Buenos Aires über „immer mehr Fi­nanzintermediäre aus Liechten­stein“, die mit Verweis auf ihren Ermessensspielraum Mandate blo­ckierten, Steuerbereinigungen nicht zuließen und gleichzeitig die Hono­rare erhöhten.

„Aus Zürich höre ich, dass man sich die Zusammenarbeit mit liechtensteinischen Finanzinterme­diären mittlerweile zweimal überle­ge, da das Ganze schon als Erpres­sung herkäme“, schreibt Frick. Er sei mittlerweile davon überzeugt, dass es vereinzelt ein Geschäftsmodell sei, den Kunden als „Selbstbedie­nungsladen“ anzusehen. „Ich halte ein solches Verhalten für schädlich, rücksichtslos“, und es schade dem Finanzplatz. Frick mahnt: „Der Kun­de steht im Vordergrund, nicht die Struktur.“

Sein Anliegen: Er möchte es den Mandanten erleichtern, den Treuhänder zu wechseln. Denn bis­lang ist die Bindung Treuhänder und Treugeber wie eine Ehe. Sie hält lebenslang, in guten wie in schlech­ten Zeiten. Eine Scheidung ist nicht vorgesehen. Seiner Mail fügte er eine Petition zu einer Änderung der Stan­desrichtlinien bei.

Die Antwort kam postwen­dend, und sie fiel nicht positiv aus. Angelika Moosleithner-Batliner, die Präsidentin der Treuhandkammer, schrieb an ihre Kollegen: „Wir bit­ten Sie, von einer Unterzeichnung des Dokuments von Herrn Frick Ab­stand zu nehmen.“

Die Fälle laufen unter dem Stichwort "kinderlose Witwen"

Moosleithner­-Batliner ist selbst eine bekannte Figur unter den Liechtensteiner Treuhändern, sie ist die Tochter von Herbert Batli­ner. Er gilt als Erfinder der Familienstiftungen – mit der reiche Familien ihr Vermögen diskret an die nächste Generation weiterreichen können. Stolz trägt der 89-­jährige Rechtsan­walt den Titel „Fürstlicher Kommer­zienrat, Senator h. c.“ im Briefkopf, ist „Kammerherr seiner Heiligkeit“.

Auch er war mehrere Jahre Präsident des Staatsgerichtshofs, so wie Harry Gstöhl. Zu Batliners Kun­den zählten der Milliardär Friedrich Karl Flick oder der Springreiter Paul Schockemöhle. Mit Altbundeskanz­ler Helmut Kohl ging Batliner wan­dern – im Parteispendenskandal der CDU führte eine Spur zu ihm. Das alles wurde bekannt, als Ende der 90er-­Jahre die Kundenkartei Batli­ners an Medien und Behörden ge­spielt wurde.

Schon damals hatte Deutschland seinen ersten Steuerskandal. Sieben Jahre dauerten die Ermittlungen wegen Beihilfe zur Hinterziehung in mehr als 200 Fällen, im Sommer 2007 wurden sie gegen eine Zahlung von 2 Mio. Euro eingestellt. Batliner war krank, Atteste bestätigen das. „Wir hätten keine Chance gehabt, ihn vor ein deutsches Gericht zu bekommen“, sagt eine damalige Ermittlerin.

Auf seine alten Tage aber wur­de Herbert Batliner dann doch noch verurteilt. Allerdings in Liechten­stein. Und auch da schon war es ein Betrugsvorwurf, über den der Treu­händer stolperte – und nicht die Steuerhinterziehung im Ausland. Im Dezember 2009 strafte das höchs­te Gericht Batliner in einem Zivil­prozess ab. Es galt als erwiesen, dass Batliner den Gesundheitszustand ei­ner dementen Witwe ausgenutzt hat­te, um sich persönlich zu bereichern. Der Treuhänder musste 1 Mio. Euro an die Erben zurückzahlen.

„Es gibt eine ganze Reihe sol­cher Fälle“, sagt der Konstanzer An­walt Jürgen Wagner, der seit Jah­ren durch Treuhänder geschädigte Mandanten vertritt. Bei ihm laufen die Fälle unter dem Stichwort „kin­derlose Witwen“. Man finde häufi­ger die Konstellation, dass eine Fa­milienstiftung eingerichtet sei, die Erben aber trotz ihres Anspruchs auf das Vermögen gar nichts von der Stiftung wüssten – und die Treuhän­der, die im Besitz der Unterlagen sei­en, sie auch nicht benachrichtigen. Viele Kunden hätten sich auf Gedeih und Verderb ihren Treuhändern aus­geliefert, sagt ein anderer Anwalt ei­ner renommierten deutschen Kanz­lei: „Oft sind die Treuhänder eiskalte Menschen, die nur das Geld sehen.“

Auch der Anwalt David Chris­tian Bauer, Spezialist für Stiftungs­recht bei der Kanzlei DLA Piper in Wien, fordert, dass Missbrauchsfälle von Treuhändern „scharf geahndet“ werden müssten. Ansonsten dro­he dem Standort Liechtenstein eine Lawine. „Wenn die Absetzbewegung einmal Fahrt aufnimmt“, sagt Bauer, „ist sie nicht mehr zu stoppen.“

Ein wenig scheinen die Treu­händer sich nun zu bewegen. Nach­ dem Roger Frick in seiner Peti­tion gefordert hat, dass Klienten ihren Treuhänder wechseln können, knickte die Treuhandkammer ein. Ende Mai richtete sie eine dreiköpfi­ge Schlichtungskommission ein, die Streitfälle zwischen Mandanten und Treuhändern „beurteilen“ soll. So­mit will die Kammer „dem Ansehen des Stiftungsstandortes Sorge tra­gen“. Ein Insider nennt es schlicht ei­nen Rettungsanker, um nicht von der Finanzmarktaufsicht an die Kette ge­legt zu werden.

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