Frau Picard, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den ehemaligen DWS-Chef Asoka Wöhrmann wegen Greenwashing. Macht das Unternehmen nervös?
NADJA PICARD: Na klar macht Unternehmen das nervös. Ich nehme bei vielen eine große Bereitschaft wahr, sich mit Nachhaltigkeit und der Berichterstattung darüber auseinanderzusetzen. Aber häufig ist für Firmen noch unklar, wie sie die regulatorischen Anforderungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung umsetzen sollen, zum Beispiel zur EU-Taxonomie. Sie haben schon in der Vergangenheit klare Regelungen gefordert, weil sie sich gestiegenen Anforderungen durch Investoren und anderer Stakeholder ausgesetzt sehen. Der beste Schutz vor Greenwashing-Ermittlungen ist, dass alle nach demselben festgelegten Regelwerk berichten.
Für Investorinnen und Investoren spielen ESG-Standards zunehmend eine Rolle. Wie wichtig sind sie für ihre Investmententscheidungen?
Sehr wichtig, das zeigen unsere Untersuchungen. Die Investoren legen einen wirklich großen Wert auf das Thema Nachhaltigkeit, 73 Prozent von ihnen wollen wissen, wie hoch die Kosten sind, die mit den Nachhaltigkeitsbekenntnissen einer Firma einhergehen. 72 Prozent legen Wert auf eine Veröffentlichung der Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen im Geschäftsbericht. Und für 74 Prozent ist die Relevanz von Nachhaltigkeitsfaktoren für das Geschäftsmodell des Unternehmens von großer Bedeutung. Der Fokus von Investoren liegt aber auch darauf, welche Risiken zum Beispiel durch den Klimawandel für ein Unternehmen entstehen.
Was heißt das konkret?
Ein weltweit tätiges Unternehmen muss sich von bestehenden oder künftigen Investoren die Frage gefallen lassen, ob seine Produktionsstätten in Gegenden liegen, die von Flut oder einem steigenden Meeresspiegel bedroht sind. Nur so können Investoren abschätzen, welche Kosten und Risiken auf die Firma zukommen. Bei Unternehmen in der Nahrungsmittelindustrie sind die Quellen wichtig – gibt es da zum Beispiel Probleme mit den Lieferketten oder mit Dürreperioden, ist genügend Wasser für die Produktion verfügbar? Investoren wissen, dass der Klimawandel Vermögenswerte bedroht. Auch die Regulatorik spielt eine Rolle, wenn Firmen in Ländern aktiv sind, die von verschärften Regelungen betroffen sein könnten. Investoren wollen die tatsächlichen Risiken kennen und sehen, dass die Unternehmen darüber transparent berichten. Das beziehen sie in ihre Entscheidungsfindung ein.
Und wenn Firmen das nicht tun – werden sie von Investorengeldern abgeschnitten?
In der Tat ergaben Studienergebnisse, dass die Hälfte der befragten Investoren ihre Investments verkaufen würde aufgrund ungenügender Nachhaltigkeitsberichterstattung. Allerdings kenne ich keinen Fall, in dem Investoren deinvestiert haben wegen fehlender ESG-Standards oder schlechtem Reporting.Ich glaube, die Unternehmen sind da schon ganz klar im Dialog mit ihren Investoren und bekommen Input von ihnen, was zu tun ist, wenn sie zum Beispiel im Vergleich zu ähnlichen Unternehmen anders unterwegs sind. Darauf müssen Firmen reagieren. Beispielsweise würden drei Viertel der Befragten versuchen, über den Aufsichtsrat an ausführlichere Informationen zu gelangen.
Das heißt im Umkehrschluss aber schon, dass ESG-konform wirtschaftende Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil haben und mehr Geld von Investoren kriegen.
Natürlich ist es so, dass sich für ein Unternehmen, was sich in diesem Bereich gut positioniert oder eine gute Strategie hat – zum Beispiel über nachhaltige Kredite oder Green Bonds – neue zusätzliche Investitionsmöglichkeiten auftun. ESG ist positiv für das Geschäft. Das ist ja die ganze Idee hinter dem European Green Deal, der diese Entwicklung unterstützt über die Regulatorik der Finanzinstitute und ihrer Produkte. Die Unternehmen müssen sich deshalb in kurzer Zeit gut aufstellen, um glaubwürdig darlegen zu können, dass sie das Thema Nachhaltigkeit ernst nehmen.
Woran hakt es bei Firmen, wenn es um die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele geht?
Die ESG-Standards sind sehr neu und noch nicht einmal final definiert. Ja, wir haben zwar die EU-Taxonomie, aber das ist nur ein Bruchteil der Standards. Weitere sollen Ende August veröffentlicht werden. Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive, abgekürzt CSRD, will die EU das Berichtswesen dann für Firmen noch einmal stark erweitern. Das heißt, die Firmen arbeiten jetzt gerade mit Standards, die noch nicht endgültig sind und viele Interpretationsspielräume zulassen. Das macht den Unternehmen Sorgen, weil sie nicht genau wissen, was sie tun sollen. Und sie haben sehr viel Angst, dass sie, wenn sie etwas tun, kritisiert werden, entweder von der interessierten Öffentlichkeit, oder eben von den Regulatoren, die am Ende die Implementierung und damit die Einhaltung der Standards überprüfen werden.
Klingt, als seien die Compliance-Abteilungen in heller Aufruhr.
Bei vielen größeren börsennotierten Unternehmen im Dax ist Nachhaltigkeit auch als strategischer Treiber längst angekommen. Die haben ihre Themen definiert, haben alle Zahlen, Daten und Fakten zu ESG parat und sind dazu mit ihren Investoren im Dialog. Es gibt aber eben noch die zweite Schicht der Unternehmen, bei denen das noch nicht so angekommen ist und die sich jetzt tatsächlich anstrengen müssen, um das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen zu einzubetten. Da sind noch viele Firmen herausgefordert.
Gilt das auch für Firmen aus demMDax und SDax?
Ja, durchaus. Auch im MDax und SDax gibt es Unternehmen, die noch ihre Hausaufgaben machen müssen.
Investieren diese Firmen denn jetzt in den ESG-Bereich?
Das tun sie. Wir haben erste Ergebnisse einer Studie, für die wir 170 Unternehmen in Deutschland, Niederlande, Österreich und der Schweiz befragt haben. Die Unternehmen investieren tatsächlich in den Aufbau von neuen Prozessen und Strukturen und bauen Personal auf, um die künftigen Nachhaltigkeitsanforderungen vernünftig umsetzen zu können.
Wie teuer ist das?
Es ist kostenintensiv, aber schwer genau zu beziffern. Allein um die EU-Taxonomie umzusetzen, gibt die Hälfte der von uns in einer Studie befragten Firmen mehrere Zehntausend Euro aus, ein Viertel zahlt dafür zwischen 100.000 und 500.000 Euro. Der Finanzverein EFRAG gibt in einem Papier an, dass die Prüfung des Nachhaltigkeitsberichts im Schnitt 34 Prozent der gesamten Prüfungskosten der Finanzberichterstattung ausmachen.
Werden die Nachhaltigkeitsziele ernsthafter verfolgt, wenn die Gehälter des Managements daran hängen?
Mehrere Dax-Unternehmen machen das schon, nehmen wir beispielsweise die Automobilindustrie: BMW, Mercedes-Benz-Group, Porsche und Volkswagen haben das in ihren Vergütungsberichten ausgeführt . Ein Mittel, um nachhaltiges Wirtschaften zum Thema zu machen, ist die Verknüpfung mit der Vergütung des Managements. Vielfach fordern es aber auch die Investoren noch über den Aufsichtsrat ein.
Der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock war ein Vorreiter nachhaltigen Investierens und wurde dafür von Konservativen und Investoren heftig kritisiert. Jetzt beruft er den Chef des Öl-Giganten Saudi Aramco in den Verwaltungsrat. Drohen auch in Europa Rückschritte?
Ich glaube, dass wir in Europa zumindest zur Zeit eine andere Entwicklung nehmen als in den USA. In Europa herrscht ein anderer gesellschaftlicher Konsens, nämlich der, dass Nachhaltigkeit etwas ist, was wir angehen müssen und was auch angegangen wird.