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Kolumne Utopia an der Börse

Stellen Sie sich vor, die Deutschen legen ihr Geld in Aktien an. Das bleibt wohl auf absehbare Zeit ein frommer Wunsch. Von Christoph Bruns
Christoph Bruns
Christoph Bruns
© Lyndon French

„Stell Dir vor es ist Krieg, und keiner geht hin!“ Mit derartigen Slogans bin ich von einer Generation von Pazifisten während des Kalten Krieges sozialisiert worden. Diesem Gedankenmuster folgend wähle ich heute eine Analogie aus meinem eigenen Berufsfeld, die leider nicht minder illusionär ist. Stellen wir uns also vor, alle deutschen Sparer, die den teutonischen Geldvermögensberg von 5,7 Billionen Euro besitzen, hätten zu Jahresbeginn dieses Geld in die im Deutschen Aktienindex versammelten Aktien gesteckt. Dann wäre der Geldvermögensberg seit Jahresanfang bis heute um circa zehn Prozent, das entspricht 570 Mrd. Euro, gewachsen.

Nehmen wir weiter an, die Aktien wären Mitte Mai verkauft worden, dann hätte unser kleptokratischer Staat die Hand aufgehalten und etwa 26 Prozent des Zuwachses - sprich 150 Mrd. Euro - an zusätzlichen Steuern eingestrichen. Die Bundesregierung könnte danach auf einen Schlag die Mehrwertsteuer weitgehend abschaffen.

Eine schöne Illusion, die mit der berühmten Utopie von Thomas Morus das Schicksal teilt, keine Chance auf Verwirklichung in Deutschland zu haben. Zu gering ist leider die ökonomische Bildung im Volk und vor allem bei ihren politischen Führern, um selbst eine bescheidene Aktienquote von - sagen wir 25 Prozent am Geldvermögen - herbeizuführen. Der Gedanke, dass der Wohlstand der Menschen in der Wirtschaft erarbeitet wird und keineswegs vom Staat, dürfte einem Großteil der Bevölkerung kaum bekannt sein. Noch weniger macht unsere politische Elite den Eindruck, als wüsste sie davon.

Phobie vor Aktienkursverlusten

Jeder kann sich zu äußerst geringen Kosten an der Wirtschaft beteiligen. Dazu vergleiche man nur einmal die Erwerbs- beziehungsweise Übertragungskosten verschiedener Sachwerte wie zum Beispiel Immobilien, Schiffen, Flugzeugen mit börsengehandelten Unternehmensanteilen beziehungsweise Aktienfonds, und man wird verblüfft feststellen, wie günstig der Erwerb und die Verwahrung von Aktien im Vergleich mit den genannten Anlageformen ist. Außerdem ist es kinderleicht und günstig, weltweit in erfolgreiche Unternehmen zu investieren. Aber selbst die überzeugenden und einfachen Argumente helfen bei der Popularisierung der Aktienanlage offenbar nicht weiter.

Daher möchte ich unserer Regierung einen Vorschlag machen, wie sie einerseits den Wohlstand der Bevölkerung deutlich mehren und andererseits die Steuereinnahmen steigern kann. Wie bekannt ist, sind weite Teile der Sparer mit einer Phobie vor Aktienkursverlusten infiziert. Viele Stimmen sagen, diese Phobie hänge mit den Erfahrungen mit der T-Aktie und dem „Neuen Markt“ der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts zusammen. Zwar ist diese Sichtweise viel zu asymmetrisch, man könnte auch „linksschief“ sagen, allein man muss sie doch als „gefühlte Wahrheit“ ernst nehmen.

Wie wäre es also, wenn die Bundesregierung die Besteuerung von Kapitaleinkünften derartig änderte, dass realisierte Kursverluste mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden dürfen. Dann müsste sich die Angst der Sparer vor Kursverlusten bald verflüchtigen. Verluste sind bei längerfristigen Aktienanlagen ohnehin nahezu ausgeschlossen, weil die Wirtschaft im Verlauf der Zeit wertvoller wird. So könnte der Weg freigemacht werden, die jahrzehntelange Fehlallokation des deutschen Geldvermögens, die durch die Abschaffung der Zinsen durch die Europäische Zentralbank dramatisch verstärkt wurde, langsam aufzuheben und in ein rationales Fahrwasser zu steuern.

Sehnsucht nach Gerhard Schröder

Freilich bedarf es keiner großen Fantasie, um die Einwände der Berliner Krämerseelen zu antizipieren. „Das würde ja die Planung unserer Steuereinnahmen unsicherer machen“, höre ich eine Heerschar von Finanzbeamten bereits keifen. Wahrscheinlich würde der Vorschlag mit dem Argument der sogenannten „sozialen Gerechtigkeit“ brüsk zurückgewiesen. Gleichwohl sollten sich unsere Staatsvertreter an dieser Stelle an ihre ureigene Rolle erinnern, die darin besteht, die Wohlfahrt der Bürger im Staat zu mehren.

Aber kommen wir wieder zurück in die Realität, wo die Erhaltung des bequemen Status quo viel angenehmer ist, als kluge, aber vielleicht zunächst unverstandene, beziehungsweise unpopuläre Vorschläge aufzugreifen. Milton Friedman, der große liberale Ökonom der Universität von Chicago hat diesbezüglich vor vielen Jahren ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel und der These „Die Tyrannei des Status quo“ vorgelegt. Im Lutherjahr 2017 ist es eine Ironie der Geschichte, dass man sich Männer mit großem steuerreformatorischen Eifer wie Gerhard Schröder wünscht. Außer ihm ist niemandem in den letzten Jahrzehnten eine große und kluge Steuerreform auf dem Gebiet der Geldanlage gelungen.

Aus ChicagoIhr

Dr. Christoph Bruns

Christoph Brunsist Fondsmanager, Vorstand und Teilhaber der Fondsgesellschaft Loys AG. Weitere Kolumnen: Deutsche Leitkultur bei der Geldanlage, Aktienquote statt Frauenquote und US-Aktien starten durch

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