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Christoph Bruns Exodus nach New York? Dunkle Wolken über dem Finanzplatz London

Christoph Bruns
Christoph Bruns
© Lyndon French
Nach Frankfurt erwischt es nun die Londoner Börse: Britische Aktiengesellschaften verlegen ihre Hauptnotiz nach New York. Sollte aus der Bewegung eine Welle werden, wäre das verheerend für den Finanzplatz London

Großbritannien ist an unerfreuliche Nachrichten gewöhnt. Das Königshaus kommt nicht zur Ruhe, dem dritten Premierminister in kurzer Zeit droht eine verheerende Wahlniederlage und der Brexit hat sich weitgehend als Eigentor erwiesen. Mindestens so tragisch ist die Abwanderungswelle britischer Aktiengesellschaften nach New York. Der irische Baustoffkonzern CRH hat seine Hauptnotierung vor einiger Zeit von London nach New York verlegt und zuletzt hat der große Videospielkonzern Flutter Entertainment seinen Abgang nach Amerika angekündigt. 

Damit setzt sich eine Tendenz fort, die Großbritannien ins Mark trifft. London ist der wichtigste Finanzplatz Europas, aber die britische Hauptstadt verliert an Bedeutung gegenüber New York. Vor Monaten hatte die Entscheidung des Halbleiterherstellers Arm, seine Aktien nicht in London, sondern in New York notieren zu lassen, für Überraschung und Ernüchterung gesorgt. Hinzu kommt, dass Arm seit Jahren dem japanischen Softbank-Konzern gehört. 

Schlimmer noch; es verdichten sich in den letzten Wochen Gerüchte, denen zufolge die Energiemultis Shell und BP von Anlegern gedrängt werden, ihre Hauptbörsennotiz in die USA zu verlegen. Dabei wird argumentiert, amerikanische Investoren verstünden den Energiesektor besser als europäische Kapitalsammelstellen und zudem sei die in Europa betriebene Politik nachgerade feindselig gegenüber Energieunternehmen. 

Attraktivere Standortbedingungen in den USA

Interessanterweise kamen zuletzt ähnliche Töne aus Paris, wo Total Energies verlautbarte, aus Bewertungsgründen eine Börsennotiz in New York zu erwägen. Und der inzwischen mehrheitlich zum LVMH-Imperium gehörende Schuhhersteller Birkenstock vollzog seinen Börsengang nicht in Europa, sondern in den USA. Wichtig ist zu wissen, dass bei allen genannten Unternehmen die Mehrheit der frei verfügbaren Aktien in der Hand amerikanischer Investoren liegt.

Auch in Deutschland sind derartige Absetzbewegungen nicht unbekannt. Im vorigen Jahr verabschiedete sich das vormals wertvollste deutsche Unternehmen Linde aus Frankfurt und wechselte mit seiner Hauptbörsennotiz in die Neue Welt. Während der Coronapandemie war schon der Impfstoffhersteller Biontech aus Mainz in New York und nicht in Frankfurt an die Börse gegangen.

Insgesamt kann man sagen, dass die Standortbedingungen am Kapitalmarkt in Amerika offenbar attraktiver sind als in Europa. Während aber Großbritannien stets um die Wichtigkeit des Finanzmarkt-Ökosystems für die britische Volkswirtschaft wusste, ist die Aktienkultur vor allem in Deutschland unterentwickelt. Dabei wird bereits seit Generation geflissentlich ignoriert, wie wichtig florierende Eigenkapitalmärkte für das Gedeihen von Innovationen, Wirtschaft, Wohlstand und Renten sind. Leider spielt die eminente Bedeutung attraktiver Eigenkapitalmärkte im Denken europäischer und deutscher Politiker traditionell keine wichtige Rolle. Das liegt keineswegs nur an der geringen Bildung in Finanzfragen. Viele Politiker ergehen sich in einer öffentlich zur Schau gestellten Finanzmarktverachtung. Man lese dazu einmal die öffentlichen Kommentare zur Einführung einer „Aktienrente“ nach.

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