Je näher das Brexit-Referendum am 23. Juni rückt, desto nervöser werden Investoren. Sollte Großbritannien tatsächlich der EU den Rücken kehren, sind die wirtschaftlichen und politischen Folgen kaum abzusehen. Klar ist aber auch: Wer europäische Standardwertefonds im Depot hat, muss sich keine großen Sorgen machen. Denn sie sind kaum betroffen.
Eine Auswertung der Fondsratingagentur Morningstar zeigt: Fonds, die europäische Standardwerte kaufen, gehen kaum im Vereinigten Königreich auf Shoppingtour. Ende April hatten sie britische Aktien gegenüber ihrem gängigsten Vergleichsindex, dem Aktienindex MSCI Europe, um 6,4 Prozentpunkte untergewichtet. Im Index haben UK-Titel ein Gewicht von 28,4 Prozent. In den Fonds sind sie im Schnitt nur mit 22 Prozent gewichtet.
Die augenscheinliche Zurückhaltung der Fondsmanager ist nicht allein mit Angst vor dem möglichen Brexit zu erklären. In Europa-Standardwertefonds sind britische Aktien auch in ruhigeren Zeiten deutlich niedriger gewichtet als in breiten Europa-Indizes. Hauptgrund: Die Fonds richten sich vor allem an festlandeuropäische Anleger, und die wollen offenbar nicht rund ein Drittel ihres Anlagevermögens auf der Insel investiert wissen. Auch britische Anleger greifen zu Diversifikationszwecken gern zu Fonds, die UK-Aktien untergewichten, berichten Investmentprofis.
Droht eine neue Krise?
In den vergangenen fünf Jahren hatten Manager von Europa-Standardwertefonds britische Aktien gegenüber dem MSCI Europe im Schnitt um rund fünf Prozentpunkte untergewichtet. Sie waren also sogar noch zurückhaltender als jetzt. Angesichts der Unsicherheit über den Ausgang des Referendums könnte man annehmen, dass Fondsmanager ihre Großbritannien-Positionen zuletzt deutlich reduziert hätten. Dass sie das bislang nicht getan haben, kann ganz verschiedene Gründe haben, sagen Morningstar-Experten.
So könnten die Manager überwiegend der Ansicht sein, dass es nicht zum Brexit kommt. Sie könnten davon ausgehen, dass sich die Folgen eines britischen EU-Austritts für die Wirtschaft im Vereinigten Königreich in Grenzen halten. Vielleicht scheuen sie auch davor zurück, Verluste zu realisieren – die Kurse britischer Aktien sind in den vergangenen Monaten gesunken. Oder sie wollen einfach nicht noch stärker als bisher von ihren Vergleichsindizes abweichen.
Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass sich Fondsmanager für eine neue Krise wappnen. Die Weltwirtschaft wächst im laufenden Jahr voraussichtlich nicht so stark wie erwartet, die Frühjahrserholung in den USA ist ausgeblieben. Einige Analysten befürchten sogar, dass die größte Volkswirtschaft der Welt in eine Rezession abrutscht. Falls das passiert, dürfte es auch in anderen Regionen der Welt kriseln. In vergangenen Krisen haben viele Europa-Fondsmanager britische Aktien als sicheren Hafen genutzt. Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise im Jahr 2011 hatten sie UK-Papiere nur noch minimal untergewichtet, waren also so stark in Großbritannien investiert wie selten.
Was auch immer der Grund für die Entscheidung der Fondsmanager sein mag: Britische Aktien haben in vielen Europa-Standardwertefonds ein so geringes Gewicht, dass sie die Performance der Fonds im Fall eines Brexits nicht maßgeblich beeinträchtigen dürften. Sollte es zum EU-Austritt Großbritanniens kommen, könnte es allerdings auch an den anderen europäischen Aktienmärkten zumindest kurzzeitig turbulent werden. Völlig egal kann Europa-Investoren der Ausgang des Referendums also doch nicht sein.