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Kolumne Eine Schneise in den Riester‑Wahnsinn

Alles, was Sie über den Grabenkrieg zum Thema Riester-Rente wissen müssen. Von Christian Kirchner
Christian Kirchner
Christian Kirchner
© Gene Glover

Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen

Die Riester-Rente! Es reicht schon, nur den Namen zu erwähnen – und schon springen Verbraucherschützer, Finanzberater, Spiegel-Online-Foristen und Journalisten gleichermaßen aus der Hose. Und bekriegen sich mit Statistiken, Sägen, Ketten, Studien und Messern, ob das Produkt denn nun eine gute Sache sei oder organisierter Betrug. Dazwischen gibt es üblicherweise –nichts.

Wenn Sie sich amüsieren wollen, können Sie zu dem Thema die erregten Debatten auf dem Kurznachrichtendienst Twitter verfolgen. Jüngster Anlass: eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, laut der von der „Riester-Rente“ vor allem Gutverdiener profitierten. Natürlich kramten die Befürworter, wie in solchen Diskussionen üblich, flugs Studien mit gegenteiligem Ergebnis hervor. Es ist überhaupt eines der zentralen Probleme der Riester-Rente: dass man mit der Spielerei an den Annahmen und Durchführungswegen zu jedem gewünschten Ergebnis kommen kann.

Ich kann Ihnen zwar nicht sagen, ob die Riester-Rente für Sie ein gutes Vorsorgeprodukt ist. Ich kann Ihnen allerdings – auch wenn es aufgrund der Komplexität ein wenig ausführlich gerät – erläutern, wo die Konfliktlinien verlaufen, was von den typischen Annahmen der Befürworter und Gegner zu halten ist und umgekehrt auch einige Tricks nennen, mit denen Sie die Nachteile aushebeln können. Und das ohne allzu viele Zahlen, denn in denen liegt auch der Schlüssel zur an Manipulation grenzenden Meinungsmache.

Überschaubare monatliche Zusatzrenten

Von grundlegender Bedeutung ist, dass die Riester-Rente aus zwei Phasen besteht: Einer Anspar- und einer Rentenphase. In der Ansparphase fließen Zulagen oder der Staat fördert die Beiträge steuerlich. In der Rentenphase hingegen muss die Rente versteuert werden. 30 Prozent der Beiträge kann ein Sparer zu Rentenbeginn entnehmen, der Rest fließt in eine Rentenversicherung.

Sie ahnen vielleicht, dass schon diese Zutaten ausreichen, um das gewünschte Bild der Riester-Rente zu zeichnen: Betrachten Sie lediglich die Ansparphase, kommen phantastische Beträge heraus: Gutverdiener bekommen rasch knapp die Hälfte über Steuerersparnisse vom Staat zurück, Geringverdiener über Zulagen häufig noch deutlich mehr. Dass der Staat sich mit 40 bis 80 Prozent an Ihren Altersvorsorgebeiträgen beteiligt, ist ein zugkräftiges Vertriebsargument ganz unabhängig vom Durchführungsweg (Banksparplan, Wohnriester, Rentenversicherung oder Fondssparplan) und den dabei oft unter den Tisch fallenden Kosten.

Mit der Rentenphase wird es dann schon etwas komplizierter. Denn die privaten Lebens- und Rentenversicherer sind in Nöten – oder besser gesagt: ihre Kunden. Menschen werden immer älter, die Zinsen sind aber im Keller. Das heißt in der Praxis, dass die Versicherer ihren Kunden in der Rentenphase nur überschaubare monatliche Zusatzrenten aus der Riester-Vorsorge garantieren und auszahlen können, denn der Staat schreibt vor, dass ein Teil der Riester-Rente lebenslang fließen muss. Erschwerend kommt hinzu, dass die Anbieter heute auch nur näherungsweise wissen, wie sich die Zinswelt und die Lebenserwartung in 20 oder 30 Jahren darstellt – wenn also die Leute heute in ihren Dreißigern ihre Ansparphase beendet haben werden und die Rentenphase beginnen.

Besonders diese Ungewissheit und die Rentenphase sind Munition für die Kritiker. Denn um überhaupt alle Beiträge zurückzuerhalten, die man angespart hat, muss man ein gewisses Alter erreichen, weil die Ansprüche nicht vererbbar sind. Sie können leicht modellieren, wie alt ein heute 40-jähriger gutverdienender Riester-Sparer mit zwei Kindern zu den heute üblichen Rentenversicherungskonditionen werden muss, damit er alle Beiträge wieder als Rente zurückerhält. Oder wie hoch die tatsächliche Rendite nach Steuern und Kosten sein wird, wenn er sein „statistisch wahrscheinliches“ Lebensalter erreicht. Heraus kommen dann oft eher optisch niedrige Renditen oder recht hohe, denn Ihr Anbieter will mit dem Produkt auch Geld verdienen und die Risiken gering halten.

„Nuklearoption“ Kündigung

An dieser Stelle fällt ein sehr wichtiges Detail der Kritiker in der Regel unter den Tisch. Die Verrentung der angesparten Beiträge wird als Zwang angenommen und aus den Renditen hergeleitet, dass ein Sparen außerhalb des Riester-Mantels – etwa mit einem Fondssparplan oder gar einem Sparbuch – doch viel besser und flexibler und günstiger allemal sei.

Lassen wir einmal außen vor, dass die disziplinierenden Effekte einer beschränkten Verfügbarkeit bei Altersvorsorgeprodukten so dumm oft gar nicht sind in der Praxis. Und lassen wir auch außen vor, dass Sie auf Ihr Riester-Guthaben auch für eine selbstgenutzte Immobilie zugreifen können.

Viel wichtiger ist, dass Sie Ihren Riester-Vertrag jederzeit auch einfach an einen anderen Anbieter übertragen können (was in der Praxis allerdings höchst schwierig ist, wenn Sie kurz vor der Rentenphase stehen) oder aber, wenn die Verrentungskonditionen für Sie optisch unattraktiv sind, den Vertrag schlicht kündigen können.

Sie müssen dann natürlich die erhaltenen Zulagen zurückzahlen und/oder die gesparten Steuern. Sie haben dann aber viele Jahre Ihre Altersvorsorge mit vom Staat zu Nullzinsen gepumpten Geld aufgepeppt, und der Anbieter muss Ihnen auch mindestens die eingezahlten Beträge garantieren können. Ich nenne die Kündigung und Rückzahlung der Zulagen und Steuerersparnisse flapsig die „Nuklearoption“. Ob Sie die Zulagen oder Steuerersparnisse behalten wollen oder das über Jahrzehnte kostenlos verliehene Geld zurückzahlen wollen, ist dann Ihnen überlassen, je nachdem, wie gut oder schlecht die Konditionen sind oder wie Sie Ihre eigene Lebenserwartung dann einschätzen oder sich schon mit einer Teilauszahlung zufriedengeben.

Wann ist eine Riester-Rente überhaupt als „Erfolg“ zu bezeichnen?

Wenn Sie ein versierter Riester-Kunde sind, können Sie auch drei oder vier Verträge hintereinander abschließen und anschließend sofort ruhen lassen – und haben dann einen kleinen Vorrat an Policen, in die Sie Ihr angespartes Guthaben samt Zulagen übertragen können. Ein etwas aufwändiges Verfahren mit gewissen Anlaufkosten, das aber später Gold wert sein kann, denn den Vertrag kündigen können nur Sie – nicht aber Ihr Anbieter, der kann gesetzlich lediglich den Vertrieb einstellen.

Diese Verfahren sind nichts für Laien. Sie verdeutlichen aber den Kern des Problems: Durch die einseitige Betrachtung lediglich der Ansparphase mit den Zulagen oder der steuerlichen Förderung (bei der Kosten und die Rentenphase unter den Tisch fallen) erreichen Sie suggestiv das gewünschte Ergebnis: Hohe Förderungen. Betrachten Sie hingegen die komplette Laufzeit aus Anspar- und Rentenphase (bei der die Kündigungsoption unter den Tisch fällt), sieht die Rendite natürlich nicht mehr so toll aus. Es handelt sich im Kern schließlich auch um ein Versicherungsprodukt. Und dabei haben wir die in Sachen Renditepotenzial sehr unterschiedlichen Durchführungswege und biografischen Annahmen noch außen vor gelassen.

Selbst wenn man sich auf ein Zahlenwerk einigen könnte, mit dem man die möglichen oder tatsächlichen Renditen errechnet, gibt es ein weiteres, großes Definitionsproblem: Wann ist eine Riester-Rente überhaupt als „Erfolg“ zu bezeichnen? Misst man Ihre Verbreitung? Oder misst man, ob sie ihren eigentlichen Zweck erfüllt hat: Den Menschen die Möglichkeit zu geben, die mit der Rentenreform 2001 beschlossene Rentenkürzung auszugleichen? Misst man ihre Renditen im Vergleich zu anderen Vorsorgeprodukten? Oder betrachtet man, wie sich die Förderung verteilt über Gut- und Geringverdiener oder wie verbreitet sie unter verschiedenen Einkommensklassen ist? In der aktuellen Diskussion streitet man sogar darüber, ob es ein Misserfolg ist, dass die Sparquote der Riester-Sparer unverändert ist (mithin die staatlich geförderte Rente privates Sparen lediglich mit viel Steuergeld substituiert) – oder ob das ein Erfolg ist, weil sie eben nicht gesunken ist.

Kurz: Es gibt eine große Grauzone bei der Riester-Rente, in der pauschale Urteile wenig weiterhelfen. Und diese Grauzone ist meiner Einschätzung nach weit größer, als sie die meisten Befürworter oder Kritiker annehmen, weil wir auch die künftigen Änderungen der Riester-Rente (die sicher kommen werden) nicht antizipieren können. Vielleicht ändert der Staat die Spielregeln dahingehend, dass Sie sich in zehn Jahren ärgern, nicht länger schon zu riestern, weil die Verfügbarkeit der stark geförderten Guthaben steigen wird. So hat man das etwa in Großbritannien mit den Betriebsrenten gemacht, mit denen Sie jetzt im Alter von 55 machen können, was Sie wollen, einen Lamborghini kaufen oder das Geld in eine Rentenversicherung einzahlen.

ordnungspolitischer Irrsinn mit Geringverdienern

Vielleicht ärgern Sie sich aber auch umgekehrt, weil der Staat die Anbieter von den Garantien entbindet in den Renditezusagen, weil er Pleiten der Anbieter befürchtet. Über einen Zeitraum von 20 Jahren und mehr – die für Riester-Produkte üblich und eher die untere Grenze sind - ist jedenfalls in der Vergangenheit stets kein Stein auf dem anderen geblieben, wenn es um die Besteuerung oder Förderung von Aktien, Zinsen oder Vorsorgeprodukten wie der betrieblichen Altersvorsorge oder Kapitallebensversicherungen ging. Und übrigens auch der Renditeerwartung!

Das vergessen in der Regel eher die Kritiker, wenn sie etwa Geringverdienern raten, alle Hoffnung auf eine künftige auskömmliche Rente oder Verbesserung der Erwerbsbiografie aufzugeben und sich lieber im Alter dem Staat vor die Füße zu werfen. Denn die Leistungen der Riester-Rente werden tatsächlich – ein ordnungspolitischer Irrsinn – gegen die Grundsicherung gegengerechnet. Schlimmstenfalls haben Sie dann nicht für eine Zusatzrente, sondern den Anbieter gespart. Aber wie hoch wird die Grundsicherung noch in 10 oder 20 Jahren sein? Und besteht nicht Anlass zur Hoffnung, dass der Staat in dieser Sache bald ein Einsehen hat?

Wenn aber die Grauzone groß ist (ebenso wie die Spannbreite der Kosten und Leistungen der Produkte), wieso polarisiert die Riester-Rente so?

Der erste Grund ist natürlich einfach spieltheoretischer Natur. Sie haben gute Chancen, als Experte wahrgenommen zu werden, wenn Sie die Riester-Rente mit Klauen und Zähnen verteidigen oder empfehlen – oder aber, wenn Sie sie in Bausch und Bogen verdammen. Mit der These, dass Pauschalurteile Quatsch sind, und die Riester-Rente für manche Leute ein tolles Vorsorgeprodukt sein kann und für andere nicht, kommen Sie kaum in Talkshows, und in Podiumsdiskussionen wird man Sie als Langweiler wahrnehmen. Es gibt Menschen, die eine mit Kosten vollkommen überladene Riester-Rentenversicherung abgeschlossen haben. Es gibt aber auch Menschen, die mit Riester-Fondssparplänen ihre Einzahlungen mehr als verdoppelt haben – und das ohne Berücksichtigung der Förderung – und der Verrentung der Beträge gelassen entgegen sehen können.

Der zweite Grund ist, dass die Riester-Rente eine schlimme Kinderkrankheit hat: Nennen wir sie die Garantieritis. Hintergrund: Die Riester-Rente wurde zu einem Zeitpunkt (2000/2001) geplant und eingeführt, als in Deutschland die Überlegung viele Anhänger hatte, dass eine kapitalgedeckte Altersvorsorge eine tolle Sache sei und das staatliche Umlagesystem renditeschwach und staubig. Kein Wunder: Fast 20 Jahre ging es zu diesem Zeitpunkt mit den Kursen von Aktien und Anleihen nach oben. Risikolose Anleihen brachten aber seinerzeit noch vier Prozent und mehr an Zinsen ein.

Folgen der Niedrigzinsen trägt der Kunde

Aus diesem Grund konnte der Gesetzgeber – erstens - eine Kapitalgarantie für die eingezahlten Beiträge samt Zulagen vorschreiben zum Ende der Ansparphase einer Riester-Rente und – zweitens – auch sicher sein, dass Kunden im Alter eine solide Zusatzrente aus ihrem Guthaben finanziert bekommen. Denn als man die Riester-Rente strukturierte, lag der Garantiezins auf Sparbeiträge bei Lebensversicherungen noch bei vier Prozent. Mit den Regelungen konnten die Anbieter gut leben, schließlich sind Garantien plus Förderung ein tolles Vertriebsargument. Und es fiel bei den damals üblichen Jahresrenditen von sechs bis neun Prozent pro Jahr mit einem Mix aus Aktien und Anleihen auch kaum auf, wenn man sich zwei oder drei Prozentpunkte über Gebühren herausschneidet.

Mit der dramatischen Entwicklung an den Aktienmärkten mit zwei Jahrhundertcrashs sowie dem aus damaliger Sicht unvorstellbaren Rückgang der Zinsen auf nahe null Prozent haben sich die Spielregeln allerdings grundlegend verändert. Sie legen nicht nur die Kostenprobleme offen, die viele Produkte haben, weil die Kosten die verbliebenen Renditechancen auffressen.

Schlimmer noch: Der Zwang zum Kapitalerhalt der Beiträge nimmt den meisten Anbietern die Luft, überhaupt noch nennenswerte Teile der Anlagesummen in rentable Anlageformen zu investieren. Allerdings interessiert das auch manche Anbieter herzlich wenig, da sie ihren „Schnitt“ – zum berechtigten Ärger von Verbraucherschützern – schon in den ersten Jahren der Laufzeit des Riester-Produkts gemacht haben oder laufend vom Guthaben abziehen. Denn die Folgen dieser Niedrigzinsen muss stets der Kunde tragen, der Anbieter verdient sein Geld so oder so. Er wird nicht ins Risiko gehen für die Garantie, sondern im Zweifel das Vermögen der Kunden direkt oder indirekt in Anleihen stecken, um irgendwie ohne Verluste über die Runden zu kommen bis zum Beginn der Rentenphase.

Es gibt natürlich noch einen weiteren Grund für die Polarisierung: Die Komplexität des Produkts lässt viel Raum für griffige, aber pauschal falsche Vereinfachungen („lohnt nur für kinderreiche Geringverdiener“), Latrinenparolen („sollte Maschmeyer-Rente heißen“), Vorurteile („bürokratisches Monster“). Und natürlich hat auch der Gesetzgeber einige Böcke geschossen, indem er keine vernünftigen Kostendeckel eingeführt hat, der Kreis der Förderberechtigten nur schwer zu verstehen ist und die Zulagenpraxis lange Zeit etwas verwirrend war. Nicht eben zur Popularität beigetragen hat auch, dass der Namensgeber Walter Riester als gern gebuchter Redner ein großer Profiteur seine eigenen Erfindung war – was natürlich ein journalistisches Fressen ist, aber wenig über die Attraktivität des Produkts aussagt.

Wenn jedenfalls Berlin nicht in völligem Tiefschlaf ist, werden an der Riester-Rente noch in dieser Legislaturperiode einige Stellschrauben verändert. Das „Auftauchen“ von polarisierenden Studien ist, wie ein Vertreter der Finanzdienstleistungsindustrie in dieser Woche „off the record“ erklärte, ein oft verlässlicher Frühindikator für Änderungen.

Dann wird wieder neu gerechnet, werden neue Studien erscheinen. Ich kann Ihnen daher nur einen Rat geben: Haben Sie Mut, die Parolen zu hinterfragen, Ihre eigenen Annahmen zu treffen, selbst zu rechnen, selbst zu urteilen, anstatt sich von Lobbyisten-getriebenen Debatten oder thesenstarkem Journalismus in die eine oder andere Richtung treiben zu lassen, wie es bei Riester leider üblich ist.

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