Herr Brooks, Herr Bär – dass der US-Dollar im laufenden Jahr weiter gegenüber dem Euro aufwerten wird, gilt unter Ökonomen als ausgemacht Sache. Wie soll das denn klappen, wenn der Konsens bereits so breit für den US-Dollar ist?
Maximilian Bär: Fragen wir einmal umgekehrt: Was spräche denn dafür, dass er gegenüber dem Euro fällt? Da fällt mir nicht viel ein, für die umgekehrte Variante aber eine Menge: Das Wirtschaftswachstum in den USA ist höher als in der Eurozone, das gilt auch für die Inflation und die Zinsen Derzeit kommt zudem die Frage auf, ob die US-Notenbank mit ihren Zinsschritten nicht womöglich nach oben überrascht mit drei statt zwei Zinserhöhungen, vielleicht die Leitzinsen auch mal um 0,5 statt 0,25 Prozentpunkte anheben wird oder damit beginnt, ihre Bilanz zu verkürzen. Ich denke daher, der US-Dollar wird weiter aufwerten.
Robin Brooks: Ich stimme zu. Es ist zudem leicht, über einen angeblichen Konsens zu reden. Aber Geld zu investieren, sich zu positionieren – das ist etwas anderes. Und genau das beobachten wir gerade: die meisten Anleger sind sehr vorsichtig, was eine US-Dollar-Aufwertung angeht. Sie misstrauen der Rally seit der Wahl Donald Trumps, misstrauen, wie Sie, der Theorie des festeren US-Dollars. Deshalb notiert der Euro auch derzeit bei 1,06 US-Dollar – das ist sogar ein wenig fester als unmittelbar nach der US-Wahl. Ich glaube aber an einen Rutsch unter die Parität noch 2017, aus den gleichen Gründen wie Herr Bär.
Könnten damit die USA und die Eurozone gut leben?
Brooks: Ich denke, ja. Wir dürfen nicht vergessen, dass der US-Dollar bereits ab 2014 eine dramatische Aufwärtsbewegung gegenüber Euro und Yen hingelegt hat. Seinerzeit kletterte er zum Euro von 1,40 auf 1,05. Das war extrem im historischen Vergleich. Und dennoch hat es die US-Wirtschaft nur einen Prozentpunkt Wachstum über schwächere Nettoexporte gekostet, sie wuchs 2014 mit zwei statt drei Prozent. Das zeigt: die stark dienstleistungsorientierte US-Wirtschaft kann den festen US-Dollar offenbar gut vertragen. Umgekehrt stützt der schwache Euro Inflation und Wachstum in der Eurozone.
Bär: Letztlich ist das Niveau weniger von Bedeutung. Viel wichtiger ist die Anpassungsgeschwindigkeit einer solchen Aufwertung. Je schneller, desto problematischer ist es für Staaten und Unternehmen, damit umzugehen. Aber genau diese Anpassungsgeschwindigkeit war zuletzt eher gering.
"Wir rechnen mit nachhaltig niedrigen Kerninflationsraten"
Stimmen denn in einer globalisierten Welt überhaupt die alten Regeln noch: ein schwacher Euro ist gut für die Wirtschaft der Eurozone und die Inflation?
Brooks: Die stimmen durchaus noch, was die Sache aber für die Eurozone nicht besser macht, sondern eher bedenklich stimmt: Obwohl der Euro gegenüber dem US-Dollar in den letzten drei Jahren dramatisch an Wert verloren hat von 1,40 auf 1,05 US-Dollar, liegt die Kerninflationsrate der Eurozone bei nur 0,9 Prozent. Dabei hatte diese Abwertung einen großen inflationären Impuls für die Wirtschaft der Eurozone geliefert. Die Frage sei erlaubt: Wo wäre denn die Teuerung – Energiepreise außen vor – ohne diesen Impuls?
Also ist der jüngste Anstieg der Teuerung der Eurozone nur ein Strohfeuer?
Brooks: Laut unseren Ökonomen schon. Wir rechnen mit nachhaltig niedrigen Kerninflationsraten in der Eurozone, das dürfte sich auch schon im Laufe des ersten Halbjahres wieder zeigen. Derzeit sorgt ja vor allem der Anstieg der Energiepreise zum Vorjahr für einen entsprechenden optisch auffälligen Inflationsschub.
Bär: Mir fehlt auch die Phantasie, woher eine höhere Inflation kommen sollte. Betrachten wir die Lage, deutet weder die Nachfrage noch die Kreditvergabe noch die Lohnentwicklung darauf hin, dass wir nachhaltig an das Inflationsziel von an die zwei Prozent in der Eurozone heran kommen. Allerdings lohnt in Sachen Inflation der Blick über die Landesgrenzen hinaus. Dass die Inflation in den USA anzieht, hat sich herumgesprochen. Derzeit passiert aber auch in China etwas Interessantes: Erstmals seit fünf, sechs Jahren ziehen dort die Produzentenpreise wieder an. Ob das nachhaltig ist, wissen wir noch nicht. Aber es bewegt sich etwas.
Sie sind sich bemerkenswert einig, dass ein starker US-Dollar den USA wenig anhaben kann und der Eurozone helfen könnte. Was ist mit den Schwellenländern?
Bär: Natürlich sind die in US-Dollar verschuldeten und auf Kapitalzuflüsse angewiesenen Länder Verlierer der Dollaraufwertung. Ich denke da an Länder wie Malaysia und Kolumbien. Unter Druck stehen aus anderen Gründen auch Mexiko und die Türkei – wobei sich die Krisen dieser beiden Länder in den Währungen widerspiegelt, der Aktienmarkt dies aber erstaunlicherweise bislang abschüttelt.
"Wenn es in China rummst, wären die Schockwellen überall zu spüren"
Lockt beim mexikanischen Peso nach dem Absturz um ein Fünftel zum US-Dollar binnen eines Jahres der Einstieg?
Brooks: Ich wäre da sehr vorsichtig. Das politische Risiko ist unter einer Präsidentschaft Trumps sehr hoch. Bislang tritt er sehr bestimmt auf in Sachen illegale Einwanderung, den niedrigen mexikanischen Lohnkosten, den Autoherstellern, die in Mexiko aus agieren. Die Abwertung könnte noch nicht beendet sein.
Was ist mit Trumps Rhetorik gegenüber China – ist die ernst zu nehmen?
Brooks: Oh ja. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass China eines der meistunterschätzten Risiken für das Jahr 2017 ist. Im Wechselkurs des chinesischen Renminbi „spielt die Musik“, wie es so schön heißt. Die Fundamentaldaten aus China in Sachen Handelsbilanz sind bedenklich, das Land ächzt nun auch unter steigenden Energiepreisen. Wenn es hier mal rummst – in Form einer deutlichen Abwertung der chinesischen Währung – wären die Schockwellen überall zu spüren. Dass China mit einer Wirtschaft, die zwei Drittel der Größe der USA beträgt, systemisch relevant ist, stimmt einerseits positiv, denn das zwingt alle Beteiligten zur Vernunft in den Verhandlungen. Aber es zeigt andererseits auch, was auf dem Spiel steht.
Woher die Sorge? Das Thema Abwertung haben viele Kapitalmarktakteure doch bereits im Sommer 2015 durchgespielt.
Brooks: Und das ist genau das Problem. Vor 12 bis 18 Monaten war die Angst vor einer Abwertung von Chinas Währung groß. Viele Anleger haben auch viel Geld damit verloren, sich vor einem Jahr gegen eine kräftige Abwertung abzusichern oder darauf zu setzen. Die kam aber nicht. Was dazu führt, dass viele das derzeit nicht mehr als Problem wahrnehmen. Ich denke, die derzeit vom Markt eingepreiste Abwertung von vier bis fünf Prozent ist zu wenig. Es dürften schon acht Prozent werden über zwölf Monate. Das Problem ist, dass die Mechanismen in China recht einfach sind: eine schwache Währung forciert mehr Kapitalabflüsse – und die wiederum belasten den Yuan. Das ist mit Regulierung kaum zu verhindern.
Bär: Wenn wir mit Beratern oder Kunden reden, ist China im Allgemeinen und die Abwertung der chinesischen Währung im Besonderen immer ein zentrales Risikoszenario, welches es zu berücksichtigen gilt. Dementsprechend kommt dem 19. Parteitag im Herbst 2017 eine besondere Bedeutung zu.
Rubel oder kanadischer Dollar
Reden wir abschließend über Chancen statt Risiken: Welche Währung – außer dem US-Dollar – hat denn Ihrer Einschätzung nach noch Aufwertungspotenzial?
Bär: Auf längere Sicht ist das schwer vorherzusagen, weil einfach zu viele Unbekannte im Spiel sind, gerade auf politischer Seite. Die Wahlen der Eurozone lassen sich kaum vorhersagen, sie werden aber die Devisenmärkte prägen. Mein Favorit auf kurze Sicht ist der russische Rubel. In der politischen Konstellation der Vergangenheit ist Russland politisch und wirtschaftlich in die Enge gedrückt worden. Das könnte sich unter der neuen US-Administration ändern.
Brooks: Meiner ist der kanadische Dollar. Der wurde aufgrund der Debatte um den neuen US-Präsidenten Trump systematisch schwach geredet. Dabei sind Trumps Maßnahmen – ein fiskalischer Stimulus, ein expansiverer Haushalt – an sich gut für Kanada. Das gilt auch für den Bau einer neuen Keystone-Pipeline quer durch Nordamerika, die unter Trump rasch forciert werden dürfte.
Robin Brooks ist Chefdevisenstratege bei Goldman Sachs
Maximilian Bär ist Leiter Portfoliomanagement Multi Asset der Deka