Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
Der Dezember ist traditionell der Monat der Ausblicke auf das neue Jahr – und die fallen in diesem Jahr spannend wie nie aus: werden wir gerade Augenzeugen einer historischen Zinswende? Platzt am Aktienmarkt eine vom billigen Geld aufgepumpte Kursblase? Führen die „Trumponomics“ des neuen US-Präsidenten Donald Trump die US-Wirtschaft ins Verderben oder in eine spätzyklische Blüte?
Es gibt an den Kapitalmärkten nie einfache Antworten und nie Gewissheiten – aber wir sind verführt, in einer immer komplexeren Welt nach vermeintlich einfachen Antworten zu suchen und diese zu schnell zu glauben. Widmen wir uns daher heute fünf kursierenden Thesen, die Sie bei Ihren Plänen für 2017 mehr verwirren als aufklären.
These 1
Die Kapitalmärkte werden vor allem von der Politik bestimmt
Ein zugegeben naheliegender Schluss: Das Referendum über den „Brexit“ und die US-Wahl sind leicht zu merkende Ankerpunkte, und sie haben die Märkte ordentlich durchgeschüttelt. Und stehen nicht 2017 weitere bedeutende Wahlen etwa in Frankreich und Deutschland an?
Die Sache mit dem angeblich erdrückenden Einfluss der Politik hat nur einen Haken: Wenn Sie zu Jahresbeginn in eine Glaskugel geschaut hätten, die Ihnen die Ergebnisse der politischen Großereignisse 2016 (Brexit, US-Wahl und Italien-Referendum) korrekt vorhergesagt hätte – was hätte es Ihnen geholfen für Ihre Anlagen?
Die Wahrheit ist: überhaupt nichts, es hätte Sie vermutlich sogar auf die falsche Spur gelockt: Verluste nach dem Brexit-Referendum wurden – mit Ausnahme des britischen Pfunds – rasch wieder aufgeholt. Die Börsenrally nach der US-Wahl war eine der größten Überraschungen der jüngsten Vergangenheit. Und das Referendum in Italien glich einem Non-Event am Anleihenmarkt, während die Kurse italienischer Bankaktien anzogen.
Niemand weiß, ob sich das Blatt 2017 wenden wird. Seien Sie aber zumindest auf der Hut vor Prognosen, die auf politischen Ereignissen beruhen.
These 2
Es ist völlig irrational, was seit der Wahl Donald Trumps passiert – der Mann hat doch noch gar nichts konkretisiert
Wer zu sehr auf die US-Wahl fixiert ist, übersieht eine wichtige Entwicklung: An den Kapitalmärkten kam es bereits im Juli zu einer markanten Wende bei den Zinsen sowie den Inflations- und Wachstumserwartungen in den USA. Zwischen Anfang Juli und der US-Wahl Anfang November legten die mittel- und langfristigen US-Anleihenrenditen wie auch die Inflationserwartungen bereits um knapp einen halben Prozentpunkt zu – und dies, ohne den US-Aktienmarkt besonders zu belasten.
Es ist nicht ausgemacht, dass dies auch 2017 so bleiben muss – Zweifel sind durchaus angebracht, da an den Kapitalmärkten derzeit ein optimistisches Szenario etwa für die US-Wirtschaft eingepreist wird aus beherrschbarer Inflation, einem weiteren moderaten Zinsanstieg und vor allem deutlich steigenden US-Gewinnen. Es ist aber keineswegs so, dass es sich um eine reine Trump-Hoffnungsrally handelt, die auf tönernen politischen Füßen stünde.
These 3
Die Aktienmärkte klettern nur wegen des billigen Geldes, vor allem in Europa
Falsch. Anders als in den vergangenen Jahren klettern nicht die Preise aller Vermögenswerte. Es ist vielmehr eine Rotation aus Anleihen hinein in Aktien in Gang: Anleihen haben seit der US-Wahl weltweit rund 1700 Mrd. US-Dollar an Wert eingebüßt, weil ihre Kurse infolge steigender Renditen fallen. Aktien hingegen haben lediglich rund 700 Mrd. US-Dollar hinzugewonnen.
Und eine weitere Feinheit wird rasch übersehen: Die Zinsen klettern seit Spätsommer nicht ohne Grund. Die Ökonomen – die sonst das Wirtschaftswachstum notorisch überschätzen und im Jahresverlauf ständig nach unten korrigieren – stocken ihre Wachstumserwartungen für 2016 wie 2017 seit Sommer vorsichtig nach oben auf.
Entsprechend sind auch die Gewinnrevisionen der Analysten für die Unternehmensgewinne nach oben auf einem Fünfjahreshoch, wie die Strategen von Vontobel ermittelt haben. Und das ist gut für Aktien und schlecht für Anleihen – mit dem billigen Geld hat es nur begrenzt zu tun.
These 4
Die Europäische Zentralbank hat den Einstieg aus dem Ausstieg der ultraniedrigen Zinsen und Anleihenkäufe eingeleitet
Seit der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag tobt ein Streit unter den Notenbankauguren, ob die Absenkung des monatlichen Anleihekaufvolumens ab April 2017 von rund 80 auf rund 60 Mrd. Euro das Zurückfahren – englisch: Tapering – der geldpolitischen Lockerungen einleitet oder nicht.
Faktisch handelt es sich nur um das Ende einer temporären Aufstockung, in der zwei wichtigere Entscheidungen beinahe untergehen: Die EZB hat ihr Aufkaufprogramm nicht nur grundsätzlich bis Dezember 2017 verlängert, sondern kauft künftig auch Anleihen unterhalb des Einlagezinses von aktuell minus 0,4 Prozent an. Damit qualifizieren sich weit mehr Anleihen – etwa kurzlaufende Bundesanleihen mit stark negativen Renditen – für das Aufkaufprogramm als bisher, und die EZB vermeidet eine mögliche Knappheit anzukaufender Papiere.
Wie man es aber auch dreht und wendet: die Geldpolitik der EZB bleibt damit auch 2017 extrem locker. Selbst in dieser Hinsicht optimistische Ökonomen rechnen frühestens Mitte 2017 mit vorsichtigen Signalen, wohin die Reise dann 2018 gehen könnte.
Der EZB ist aber mit ihren Maßnahmen der kommunikative Kniff gelungen, dass nun überhaupt über ein Ende der lockeren Geldpolitik gesprochen wird, obwohl sie tatsächlich extrem lax bleibt.
Damit gewinnt die EZB zwar an Glaubwürdigkeit. Und das ist vordergründig auch gut für Häuslebauer, Unternehmen und nicht zuletzt die Aktienmärkte. Doch es kann ein zentrales Problem für Anleger 2017 nicht kaschieren: dass die Differenz zwischen den Renditen von US-Anleihen und ihren europäischen Pendants jetzt schon auf einem 25-Jahres-Hoch sind. Sie wird bei einer weiter ultralaxen Geldpolitik der EZB und steigenden Leitzinsen in den USA kaum kleiner – und stellt damit eine Gefahr für die Kapitalströme dar: in den USA anlegen wird damit immer attraktiver, in der Eurozone eher unattraktiver. Verwerfungen an den Devisen- und Anleihenmärkten könnten die Folge sein.
These 5
Eben noch fast pleite, jetzt gehen die Kurse von Bankaktien durch die Decke – das zeigt, wie nahe die Institute an der Trump-Administration sind und wie verrückt der Aktienmarkt
Die Kursentwicklung von Bankaktien sind atemberaubend: Knapp 70 Prozent legte etwa die Deutsche-Bank-Aktie seit Ende September zu, gar 80 Prozent die Aktien von Goldman Sachs seit Sommer. Mit Verschwörungstheorien hat das allerdings wenig zu tun, sondern vor allem mit zwei Dingen: erstens dem Basiseffekt und zweitens dem Zinsanstieg.
Zum ersten Punkt, dem Basiseffekt: Bankaktien waren zuvor sehr tief gefallen. Deutsche-Bank-Aktien etwa notieren trotz der Rally immer noch 30 Prozent tiefer als vor genau einem Jahr, ähnliches gilt für die Aktien der Credit Suisse, die – obschon weder in milliardenschwere Streitigkeiten mit der US-Justiz oder in Kredite an Trump verwickelt – eine ganz ähnliche Kursentwicklung wie die Deutsche-Bank-Aktie zeigte. Wir sprechen hier also vor allem von einem Phänomen der Branchenrotation, nicht von einzelnen Instituten, die dem künftigen US-Präsidenten besonders nahe oder eher fern stehen.
Wichtiger ist noch der zweite Punkt, der ursächlich für eben jene Rotation ist. Das Ertragsumfeld der Banken hat sich an einer entscheidenden Stelle verändert seit dem Sommer: bei der so genannten Zinskurve. Sie beschreibt das Verhältnis der kurzfristigen zu den langfristigen Kapitalmarktzinsen. Sind diese recht nahe beieinander, spricht man auch von einer „flachen“ Zinskurve – in diesem Umfeld haben es Banken schwer, Geld mit der Zinsdifferenz zu verdienen, wenn sie sich kurzfristig Geld leihen und es langfristig ausreichen. Ganz anders bei einer so genannten „steilen“ Zinskurve mit niedrigen Kurzfristzinsen und höheren Langfristzinsen: dann ist das Zinsgeschäft sehr lukrativ für Banken.
Nach vielen Jahren mit flachen Zinskurven – weil die Notenbanken die kurzfristigen Zinsen extrem niedrig hielten, Anleger aber auch gierig auf die sicheren Renditen langfristiger Staatsanleihen waren – wird die Zinskurve nun tatsächlich seit Sommer wieder steiler: so betrug die Renditedifferenz sehr kurzfristiger US-Staatsanleihen mit drei Monaten Restlaufzeit und jenen mit zehn Jahren Laufzeit noch im Juli gut ein Prozent, inzwischen liegt sie bei knapp zwei Prozent.
Die Entwicklung ist auch in der Eurozone zu beobachten. Hier hat sich die Renditedifferenz zwischen Bundesanleihen mit drei Monaten Restlaufzeit und jenen mit zehn Jahren Laufzeit seit Sommer ebenfalls von rund 0,6 auf nunmehr 1,2 Prozentpunkte verdoppelt.
Das löst zwar nicht die grundlegenden Probleme vieler Banken – aufgeblähte Bilanzen, sinkende Erträge und eine immer schärfere Regulierung – gibt ihnen aber wieder deutlich mehr Luft zum Atmen, als noch im Sommer erwartet worden war.
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