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Kolumne Der schleichende Niedergang der Lasteraktien

Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
© Gene Glover
Schlecht für den Körper, aber gut fürs Depot: Lasteraktien der Tabak- oder Fast-Food-Industrie genießen einen guten Ruf bei Anlegern. Leider zu Unrecht. Christian Kirchner über schwere Zeiten für „Sündenfonds“

Geraucht, getrunken und gezockt wird bekanntlich immer – diese Börsenregeln nahmen einige US-Amerikaner 2002 zum Anlass, einen „Sündenfonds“ aufzulegen . Der legt das Geld seiner Anleger ausschließlich in Aktien der Tabak-, Alkohol-, Glücksspiel- und Rüstungsindustrie an.

Kurz darauf kam mit dem „Ave Maria“-Fonds der Gegenentwurf auf den Markt: ein Fonds, der einen Bogen um Aktien von Unternehmen macht, die von einem unter anderem mit einem Kardinal und einem Erzbischof besetzten Komitee als lasterhaft angesehen werden.

Die Geschichte mit den hohen Renditen der „Sündenaktien“ klingt zwar plausibel. Die deutlich besseren Erträge lieferte allerdings der „Ave Maria“-Fonds, und das über ein Jahr, fünf Jahre und zehn Jahre. 6,6 Prozent Rendite pro Jahr stehen über die letzte Dekade hinweg für den „Sündenfonds“ zu Buche, aber 9,3 Prozent für den „Ave Maria“-Fonds.

Avocadotoasts und Gurkenwasser statt Fett und Zucker

Eine Momentaufnahme? Keinesfalls. Viele „Sündenaktien“, allen voran aus der Konsumgüterindustrie, dürften vor schwierigen Jahren stehen. Sie geraten von zwei Seiten in die Zange: Investoren interessieren sich immer häufiger dafür, ob die Unternehmen, in die sie investieren, auch simple Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Zugleich drohen ihnen jederzeit Kampagnen oder gar Klagen, weil NGOs gegen weltweit zunehmende gesellschaftliche Probleme wie Übergewicht und Herz-Kreislauf-Krankheiten kämpfen.

Zudem muss man zwar nicht aus jedem Trend gleich eine Massenbewegung machen. Aber die Chancen stehen gut, dass der Verbrauch von Avocadotoasts und Gurkenwasser in den kommenden Jahren stärkere Wachstumsraten aufweisen wird als der von Fett und Zucker.

Dass diese Veränderungen längst laufen, zeigt ein Blick auf das globale Symbol von Fast Food: McDonald’s, Werbeslogan: „Ich liebe es“. Der globale Umsatz der Burgerbrater ist seit 2012 um zwölf Prozent eingebrochen, der Konzerngewinn um sieben Prozent.

Finanzalchemie kaschiert die schwierige Lage

Nun müsste man annehmen, dass dieser Rückgang auch Folgen für den Aktienkurs hatte. Hatte er aber nicht. Die Aktie legte seit 2012 um 73 Prozent zu. Denn McDonald’s pumpte sich Geld, verdoppelte damit seine Schulden und kaufte für 23 Mrd. Dollar – also rund ein Fünftel des Börsenwerts – eigene Aktien zurück. Das stützt den Kurs und lässt den Gewinn je Aktie klettern, denn der verteilt sich nun auf weniger Aktien als noch 2012.

In Aktienbullenmärkten wie aktuell und zu Niedrigzinsen mag es noch funktionieren, die Erosion des Kerngeschäfts mit Finanzalchemie zu kaschieren: aus immer neuen Schulden Kursgewinne zaubern. In der nächsten Krise funktioniert dies sicher nicht mehr.

Die Produkte der „Lasterindustrien“ von McDonald’s über Coca-Cola bis hin zu Frühstücksflocken- und Fertigessenherstellern wie General Mills oder Kellogg’s dürften ihre Reize zwar nie so ganz verlieren. An den Kapitalmärkten aber stehen ihren Eignern schwierige Jahre bevor.

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