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Aktien Dax-Absturz: Ein Jahr vor, zwei zurück

Dax-Kurve an der Frankfurter Börse
Dax-Kurve an der Frankfurter Börse
© dpa
Der Dax ist auf ein Zweijahrestief gefallen. Mittlerweile sind viele Analysten sicher, dass es noch weiter abwärts gehen wird. Zwei Anzeichen sprechen dafür.

Wenn Sie ein abgebrühter Anleger werden wollen, stellen Sie sich einfach mal vor, es wäre Dezember 2016, wenn Sie auf den deutschen Aktienindex gucken. Warum Sie das tun sollten? Weil der Leitindex damals genauso hoch stand wie jetzt, bei rund 11.200 Punkten nämlich. Damals ist niemand deswegen in Panik verfallen und genauso wenig sollte man es jetzt tun. Auch wenn es schwerfällt, weil der Index auf ein Zweijahrestief gefallen ist. Gut, nun kann man beide Situationen nicht ganz vergleichen. Damals waren die Vorzeichen ganz andere, damals hatte sich der Kurs seit Februar von 8900 Punkten hinaufgearbeitet auf über 11.000. Derzeit schlägt er genau die entgegengesetzte Richtung ein. Er ist von rund 13.500 Punkten im Januar inzwischen über 2000 Punkte in die Tiefe gerutscht. Das ist recht viel, das sind zehn Prozent Kursrückgang in drei Wochen und rund zwölf Prozent seit Jahresbeginn. Es könnte auch tatsächlich sein, dass es der Beginn eines größeren Kursrückganges ist, der sich damit nun endgültig ankündigt. Da sind sich zumindest Chartanalysten mittlerweile sicher. Dennoch ist es kein Drama.

Zunächst einmal scheint klar, dass die Verkaufswelle noch eine Weile anhalten könnte. Das sagen zumindest die Chartanalysten, die sich das Muster des DAX aus der Entfernung ansehen. Betrachtet man den Kursverlauf nämlich über drei Jahre, dann zeigt sich jetzt recht deutlich die Schulter-Kopf-Schulter-Formation, vor der Analysten schon seit einer Weile warnen. Zwar liegt die Charttechnik bei der Deutung der grafischen Kursmuster nicht immer richtig, doch zumindest bei dieser Formation bewahrheitet sich in aller Regel: Ist die zweite Schulter ausgebildet, geht es an den Börsen im Normalfall weiter bergab.

Zwei weitere Entwicklungen könnten das derzeit zusätzlich auslösen und verstärken: Erstens sehen die wirtschaftlichen Fundamentaldaten nicht mehr so gut aus wie noch vor einer Weile. Viele Unternehmen melden zwar in der angelaufenen neuen Quartalsberichtssaison weiter gute Zahlen. Doch zunehmend warnen Ökonomen, dass die Konjunktur in vielen Ländern heiß laufe und sich das Wachstum vermutlich abschwächen werde. Sogar der internationale Währungsfonds nahm jetzt seine Wachstumsprognosen wieder ein wenig zurück. Dazu kommen die vielen politischen Risiken und Unsicherheiten, die Investoren irritieren: Viele warten ab, wie sich die Handelszölle von Präsident Trump noch auswirken werden, welchen Brexitkurs die britische Regierung nun wirklich verfolgen wird. Und wie es um die Stabilität Italiens steht. Das alles sorgt zumindest nicht gerade für Beruhigung an den Aktienmärkten, sondern für viel Nervosität.

Und da wären wir auch schon beim psychologischen Moment. Denn bekanntlich regiert ja an den Börsen zu 80 Prozent nichts als reine Psychologie. Man weiß aus ähnlichen Situationen, dass Anleger so lange im unentschlossenen und zögerlichen Modus verharren – und damit wilde Zickzackkurse auf die Tableaus malen, wenn ein Aufschwung an seien Grenzen gerät - , bis die erste richtig schlechte Nachricht mit Wucht an den Märkten einschlägt. Dann entlädt sich eine wahre Verkaufswelle. Noch, und das ist die gute Nachricht, gab es diese schlechte Meldung nicht. Nur Vorahnungen. Und noch bezeichnen Marktbeobachter den moderaten Abwärtsdrall auch nicht als Baisse. Dazu wird er laut Definition erst, wenn der Leitindex mehr als 20 Prozent verloren hat. Im Falle des DAX sind 17 Prozent seit seinem diesjährigen Höchststand verloren gegangen. Es sind also noch ein bisschen Luft nach unten, bis er die Marke von 10.880 Punkten abwärts durchbricht. Erst dann würde man den Beginn einer Baisse ausrufen.

Wenn sie nun kommt, was passiert dann? Es muss nicht zwingend heißen, dass es dann endlos bergab geht. Als die Welt - zumindest die europäische – das letzte Mal den ganz großen Absturz befürchtete, im Jahr 2011 nämlich, als die Griechenlandkrise schwelte und manche vorm Ende der EU warnten, büßten die Kurse innerhalb von sieben Wochen rund 30 Prozent ihres Wertes ein. Danach ging es schon wieder weiter bergauf. Auch 2015 kriselten die Kurse um 25 Prozent, doch nur für ein paar Monate. Auch jetzt gibt es einige Börsenoptimisten, die sagen: Die tiefen Kurse jetzt seien eher Kaufkurse als Ausstiegssignale, die Lage würde sich schon bald wieder erholen.

Dennoch sollte man gerade jetzt vorsichtig sein und vor allem skeptisch beim Neueinstieg zu solchen „Kaufkursen“. Auch – oder gerade – weil eine aktuelle Erhebung sagt, dass deutsche Anleger es augenblicklich nicht mehr sind, sie haben ihre Skepsis abgelegt. Genau das nämlich ist ein Warnzeichen: Jahrelang kritisierten so viele Finanzberater, die Bundesbürger seien ein aktienscheues Volk und verschmähten die einzigen Anlageinstrumente, die in diesen Niedrigzinszeiten noch ordentliche Rendite versprächen. Aktien und Fonds nämlich. Und siehe da, kaum streben die Märkte zehn Jahre bergauf, haben plötzlich mehr Menschen Zutrauen zu Aktien gefasst. Das zumindest besagt eine internationale Umfrage unter Privatinvestoren, darunter auch 1000 deutsche Anleger, die zu dem Schluss kommt, dass der Aktienanteil in deutschen Depots von 10 Prozent 2017 auf 27 Prozent 2018 gestiegen sei, was eine enorme Steigerung ist. Es geht hier wohlgemerkt nicht um die Aktienbesitzquote, also nicht um die Zahl der Aktionäre im Land. Die könnte auch gern höher sein. Sondern es geht um den Anteil der Aktien in den einzelnen Wertpapierdepots. Der war seit Umfragengedenken nicht mehr so hoch wie zurzeit.

Im Grunde ist das gut, leider aber ist es für den Markt ein schlechtes Zeichen. Denn es bedeutet, dass viele Anleger, die bereits Aktien hielten, sich zuletzt noch massenhaft weitere Papiere ins Portfolio geschaufelt haben. Zahlen aus Amerika belegen ebenfalls, dass auch Profiinvestoren zuletzt noch einmal Aktien nachgeladen haben. Sie haben ihre Bestände sogar auf 70 Prozent aufgestockt. Und immer, wenn in der Vergangenheit die Aktienquoten derart hoch standen, wenn eine Rallye also wirklich in die Breite gegangen war und jeder Aktien in Massen hielt, dann drehten die Märkte nach unten ab.

Zumindest warfen sie in der Folgezeit erheblich weniger Performance ab, so ermittelte ein amerikanischer Analyst. Für ihn ist die 70-prozentige Aktienquote deshalb ein Warnzeichen. Bei derart hohen Anteilen sei der Markt aus Käufersicht erst einmal nahezu gesättigt, das Nachkaufinteresse entsprechend gering. Viel Kraft, um die Märkte weiter nach oben zu treiben, habe der Markt also nicht mehr. Bei einem Anteil von unter 50 Prozent Aktien habe sich in der Vergangenheit eine gute Performance beobachten lassen von mindestens 10 Prozent Wertentwicklung pro Jahr. Bei einer Quote über 70 Prozent dagegen habe die Performance zumeist weniger als sechs Prozent gelegen, meist deutlich weniger.

Auch ein anderer Indikator bestätigt den Zusammenhang: das Shiller-KGV, das Kurs-Gewinn-Verhältnis mit langfristigen geglätteten Zehnjahresgewinnen nämlich. Es gilt gemeinhin als Anzeichen dafür, ob Aktien über- oder unterbewertet sind, manche nennen es auch einen Börsenblasenindikator. Schaut man sich nun an, wie hoch die Aktienanteile in den Depots jeweils waren, und wie das Shiller-KGV zu dieser Zeit stand, so fällt auf: Stieg der Aktienanteil in den Depots auf über Zweidrittel, erreichte auch das Shiller-KGV einen Höchststand mit über 40, 1999 und 2000 etwa. Was danach passierte, ist bekannt. Derzeit erreicht das Shiller-KGV einen Wert von über 30. Entsprechend hat sein Erfinder, Nobelpreisträger Robert Shiller auch schon vor schlechten Zeiten gewarnt.

Was heißt das nun? Soll man lieber Aktien verkaufen? Die Anhänger des Aktienquotenindikators sehen es so und haben zurückgerechnet: Hätten Anleger von 1987 bis 2018 jeweils bei einem Aktienanteil von über 70 Prozent in den Depots verkauft und erst wieder bei unter 50 Prozent den Neueinstieg gewagt, so hätten sie aus jedem Anlagedollar in diesem Zeitraum 43 Dollar gemacht. Das ist weitaus mehr als Anhänger der Kaufen-und-Halten-Strategie im gleichen Zeitraum gewonnen hätten. Sie hätten wegen der zwischenzeitlichen Börsen-Aufs-und-Abs „nur“ 24 Dollar eingesackt.

Allerdings hat die Strategie auch einen Haken, oder besser zwei: Erstens muss man die Quote nicht nur kennen und verfolgen, sondern sich zweitens auch sklavisch daran halten. Da aber zeigt der Vergangenheitsblick: Nach dieser Regel wären Börsianer schon 1996 aus dem Markt ausgestiegen, also zwar rechtzeitig vorm großen Dotcom-Crash. Aber danach folgten noch vier lange weitere Aufstiegsjahre. Und nun zeigen Sie mir einen Anleger, der in dieser Zeit des Megaaufschwungs nicht wieder schwach geworden wäre und erneut Aktien gekauft hätte? Das Draußenbleiben trotz Booms ist also die große Herausforderung dabei. Die Abschwungphasen dagegen scheint man sich damit ja recht gut zu ersparen.

Und damit wären wir bei der aktuellen Situation und beim Dezember 2016. Wenn die 11.000 Punkte des DAX nun bloß ein Durchhänger sind und es demnächst weiter bergauf ginge, dann wäre ein Ausstieg jetzt ein schlechtes Geschäft. Dann müsste man zumindest Langmut beweisen und so lange warten, bis der Kurs endgültig nach unten geknickt ist und der Indikator kurz vor der Talsohle wieder zum Einstieg ruft. Sind die 11.000 Punkte dagegen nur ein Zwischenstopp auf dem weiteren Weg nach unten, dann hätte sich ein Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt im Nachhinein zwar gelohnt – doch nur, sofern man bereits vor langer Zeit in den Markt eingestiegen ist, also deutlich vor Dezember 2016. Nur dann hätte man dennoch einen Gewinn davongetragen, wenn auch einen kleinen. Gehört man dagegen zu den frisch Eingestiegenen – was ja offenbar viele tun - , so büßt man mit einem jetzigen Ausstieg zunächst einmal etliche Prozentpunkte Performance ein, die man noch zu Jahresbeginn hätte einstreichen können und die bestimmt so schnell nicht wiederkommen. So gesehen wäre man also ohnehin schon zu spät dran für den Verkauf. Dann gilt eben die Devise: Aktien halten – dann werden aus einem Euro Einsatz eben nicht so schnell 43, aber hoffentlich bald dennoch 24.

Und wer trotz aller Warnzeichen und Börsenwellen jetzt noch einsteigen will, weil er an Kaufkurse glaubt, der sollte sich jetzt unter den Value-Titeln umsehen, also unter den Substanzwerten. Und zudem lieber Aktien von Großkonzernen kaufen als Mid Caps oder Small Caps. Wählen Sie defensive Branchen wie Energie, Pharma und Gesundheit und halten Sie daran fest. So als sei 2016. Denn wenn alle anderen ihre Aktien aus dem Portfolio werfen, steigen wieder die Chancen, dass die Wertentwicklung in den Folgejahren richtig positiv ausfällt.

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