Anzeige

Geldanlage Das verflixte achte Bullenjahr

Der Aufschwung an den Börsen geht ins achte Jahr. Oder ist jetzt Schluss? Was die Zahlen über den Anstieg verraten. Von Nadine Oberhuber
Kann das gut gehen? Seit sieben Jahren beherrschen die Bullen die Börse
Kann das gut gehen? Seit sieben Jahren beherrschen die Bullen die Börse

Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen

Wir leben in einer Zeit, in der wir alles messen: Die Zeit, den Raum, jede unserer Leistungen, unsere Gefühle – und vor allem uns selbst. Nur eines entzieht sich hartnäckig jeglicher Messbarkeit: die Börse. Das heißt, natürlich kann man ihre Indexstände ablesen, genau wie das Auf und Ab, das sie dauernd vollbringen. Wir tun es täglich. Das Problem ist nur: Allzu oft wissen wir trotzdem nicht, was uns diese Zahlen sagen. Sind die rund 11.000 Punkte des Deutschen Aktienindex Dax derzeit nun schon zu viel oder immer noch wenig? Geht es also in den kommenden Wochen weiter bergauf, weil die Europäische Zentralbank die Märkte weiter mit Geld flutet und das Feuer der Aktienmärkte damit wieder anfacht, bis der Index erneut die 12.000er Marke knackt? Oder haben wir nur das letzte Aufbäumen gesehen, bevor der bang erwartete Absturz einsetzt? Weil die Aktienmärkte ohnehin längst überbewertet und viel zu lange gestiegen sind. Irgendwie fehlt uns der Vergleichsmaßstab.

Deshalb klammern sich derzeit alle an Kennzahlen, bekannte wie unbekannte. Und greifen zurück auf das, was als Referenzzahlen aus der Vergangenheit verfügbar ist. Eine der beliebtesten Fragen lautet: Wie lange dauern Bullenmärkte überhaupt? Schließlich hält der augenblickliche Aufschwung jetzt schon sieben Jahre an, das erscheint vielen ziemlich lang. Selbst die besten Ehen überleben oft das verflixte siebte Jahr nicht, warum sollte also die Verbindung von Aktionären und Kursen mit mehr Glück gesegnet sein? Ist es also wahrscheinlich, dass 2016 noch ein weiteres achtes Jahr des Kursanstiegs folgt? Dazu haben einige Kennzahlenauswerter geschaut, wie lange die Anstiege in früheren Aktienmarktzyklen waren – und sie warnen: Acht Jahre wären auch bei Aktien weit jenseits der Norm, sagen sie.

DAX Index

DAX Index Chart
Kursanbieter: L&S RT

Das Ergebnis ist überraschend, und zwar überraschend nichtssagend bis schlecht. Denn die Norm, so definieren es die Zyklusrechner, das ist die Zahl der Monate, in denen in vergangenen Aufschwungphasen die Kurse durchgängig stiegen. Nun gab es in den vergangenen 100 Jahren etwa ein Dutzend solcher Bullenmärkte. Doch schon bei der genauen Zahl scheiden sich die Geister. Ebenso bei der Definition, wann ein Bullenmarkt angefangen und wann er geendet habe. Manche etwa sehen die Phase zwischen 1974 und 2000 als durchgängigen Bullenmarkt an. Obwohl es in dieser Zeit auch mindestens drei große Kursstürze gegeben hat. Andere zerlegen diesen Zeitraum sogar in sechs Aufschwungphasen.

Bei ersteren ergibt die Längenvermessung: Die vergangenen Aufschwungphasen waren jeweils zwischen fünf und 26 Jahren lang. Bei letzteren sind es zwischen 6 und 93 Monaten. Ein durchschnittlicher Aufschwung also dauerte demnach 37 Monate, sagen die einen, oder 14,6 Jahre, sagen die anderen. Manche setzen ihn auch bei 57 Monaten an. Kurzum: Im Grunde ist alles möglich. Denn wenn man bei derart wild schwankenden Zahlen einfach aus sämtlichen Werten den Durchschnitt bildet, dann muss man sich nicht wundern, wenn dabei Daten herauskommen, deren wahrer Aussagewert gegen Null tendiert.

Ehrlicher wäre die Aussage: Wie lange ein Aufschwung im Schnitt dauert, kann man leider nicht sagen und es gibt auch keine erkennbaren Gesetze. Denn weder die schiere Länge eines Kursanstieges, noch die dabei zurückgelegte Wertsteigerung, oder das am Ende des Aufschwungs erreichte Kurs-Gewinn-Verhältnis (das lag mal bei 14, mal bei 29) sind verlässliche Indikatoren für das Ende einer Erfolgsserie an der Börse. Es sind vielmehr äußere Umstände, die den Markt bremsen: Kapitale Krisen einzelner Unternehmen (Lehman Brothers) oder ganzer Marktbereiche (die Dotcom-Branche und der Neue Markt), politische und wirtschaftliche Verwerfungen (Ölkrise) oder harsche Eingriffe der Währungshüter wie Währungsschnitte.

Prognosen für 2016 sind gut

Bisher ist von all dem nichts in Sicht. Auch wenn es natürlich im Grunde täglich passieren kann. Die neuerliche Entscheidung der Europäischen Zentralbank jedenfalls, die Politik des billigen Geldes noch eine Weile fortzuführen, spielt dem Markt eher in die Hände. Sie spricht dafür, dass die Aktienkurse noch eine Weile weiter steigen werden. Denn sie wird weiter auf die Zinsen von Anleihen drücken und sie als Anlageklasse weiter uninteressant erscheinen lassen. Sie wird auch weiter den Kurs des Euro klein halten. Das nützt den hiesigen Exportunternehmen. Deren Abnehmern geht es zudem in Ländern wie den USA oder Großbritannien dank robuster Wirtschaft anhaltend gut. Zumal die Konsumausgaben überall steigen. Es gibt also keinen Grund, warum die hiesigen Unternehmen daraus in den kommenden Monaten kein Kapital schlagen sollten.

Insgesamt sind die Prognosen für 2016 daher gut und Gewinnsteigerungen halten viele Analysten noch für möglich. Vor allem bei deutschen Firmen. Im Vergleich mit den Aktien europäischer Unternehmen scheinen deutsche Papiere ohnehin noch unterbewertet. Die Abschläge sind teils so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr. Manche Analysten verweisen zum Beleg auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis deutscher Papiere, das sei derzeit bei weitem nicht besorgniserregend hoch, sondern mit 13 vielmehr deutlich geringer als im langjährigen Mittel. Das stimmt zwar, zumal es in den späten 90er- und 2000er-Jahren um die 30 schwankte. Doch diese Werte hat es auch seitdem nicht wieder erreicht. Selbst bei Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 notierte es nur bei mageren 16. Die absolute Höhe des KGV scheint also in jüngster Zeit wenig über das Bevorstehen einer Krise auszusagen. Viel aufschlussreicher ist die Frage: steigt es in einer Phase überdeutlich an, oder nicht? Das hat es bis Anfang 2015 getan, ist dann aber wieder abgestürzt, seitdem ist die Lage unübersichtlich. Es gibt also sowohl Luft nach oben als auch nach unten.

Absturz sind meist schneller vorbei als gedacht

Eines macht jedoch wirklich Mut, wenn man das ganze Auf und Ab der letzten Zeit in Zahlen aufschlüsselt: Egal, wie lang alle Bullenmärkte bisher auch waren, sie dauerten stets länger als es die Bärenmärkte taten. Das bedeutet: Kommt ein Absturz, ist er meist schneller vorbei als gedacht. Und bisher überflügelten die Kurse danach – weit danach – die alten Höchststände von zuvor noch jedes Mal. Auf einen Crash zu warten, ergibt daher zumindest aus langfristiger Sicht wenig Sinn. Zumal die meisten Anleger aus Erfahrung viel zu lange warten, bis sie wieder einsteigen – und damit schon den Großteil der Wertsteigerungen des folgenden Aufschwungs verpassen, wie Verhaltensökonomen herausgefunden haben.

Wer dem Markt also auch für 2016 etwas zutraut, der kann auch jetzt noch auf deutsche Unternehmen setzen. Auf die soliden und aussichtsreichen, denen Analysten auch für 2016 noch eine satte Gewinnsteigerung zutrauen wie Fresenius, Henkel, Pro7, Hannover Rück oder Deutsche Wohnen. Und wenn dann doch ein Rücksetzer kommt? Dann am besten an den Satz mit den guten und den schlechten Zeiten denken und an die Selbstheilungskräfte des Marktes glauben: Zählen Sie doch einfach mal die Monate, bis der nächste Aufschwung einsetzt. Wetten, das sind weniger als sie denken?

Neueste Artikel