Europäerinnen und Europäer setzen bei der Geldanlage kaum auf Aktien: Im Jahr 2021 waren nur 17 Prozent des Vermögens privater Haushalte in der Europäischen Union (EU) in Wertpapieren angelegt, berichtet Eurostat. Viele misstrauen Anlageberatungen und Finanzintermediären. Rund 45 Prozent zweifeln daran, dass Anlageberatung in ihrem besten Interesse liegt, zeigt eine Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2023. Zu Recht, wie der Vizepräsident der Europäischen Kommission Valdis Dombrovskis findet: „Wenn es um Anlageentscheidungen geht, erhalten die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher bislang nicht das beste Angebot“, kritisiert er.
Abhilfe schaffen soll die Kleinanlegerstrategie der EU. Die Kommission hatte das Maßnahmenpaket Ende Mai in Brüssel vorgestellt. Es nimmt insbesondere strengere Transparenzvorschriften und Regulierung für den Provisionsverkauf von Finanzprodukten ins Visier. „Wir legen heute die Messlatte für sachkundige, unvoreingenommene und unkomplizierte Beratung für Anlageprodukte noch höher, damit die Menschen mit ihrem Geld die beste Rendite erzielen können“, sagt Dombrovskis. Das solle Vertrauen und Schutz der Privatanleger fördern.
Die neue Strategie folgt auf einen Aktionsplan aus dem Jahr 2020, der die Kapitalmarktunion des Staatenverbundes voranbringen soll. Der Vorschlag muss jetzt sowohl vom Europäischen Parlament als auch von den EU-Ländern beraten werden. Eine Einigung wird in wenigen Monaten erwartet.
Keine Provision ohne Beratung
Besonders kontrovers ist die Neuregelung bei reinen Ausführungsgeschäften. Das sind beispielweise Aufträge, bei denen Finanzvertriebe die Order ihrer Kunden nur an die Vermögensverwalter weitergeben, ohne sie zu beraten. Für diese Tätigkeiten dürfen Berater künftig keine Provision mehr verlangen. Ein vollständiges Provisionsverbot, wie es Verbraucherschützer im Vorfeld gefordert haben, sieht die neue Kleinanlegerstrategie aber nicht vor. Wer ein Produkt im Rahmen einer Beratung vermittelt, darf weiterhin Provision kassieren.
Darüber hinaus sollen Finanzprodukte transparenter werden. Wenn der Vorschlag durchgeht, werden Privatanleger künftig Kosten und Risiken noch schneller erkennen und so Produkte einfacher miteinander vergleichen können. Außerdem sollen sie einmal jährlich einen klaren Überblick über die Entwicklung ihres Portfolios erhalten. Auch „irreführende Marketingaktivitäten“ könnten eingedämmt werden, indem Berater stärker in die Verantwortung gezogen werden. Zudem sieht die Kleinanlegerstrategie vor, dass Aufsichtsbehörden stärker zusammenarbeiten und dass die Mitgliedstaaten die finanzielle Bildung ihrer Bürgerinnen und Bürger verbessern.
Drei Jahre nach Annahme der Strategie will Mairead McGuinness, Kommissarin für Finanzdienstleistungen, -stabilität und Kapitalmarktunion bei der EU, entscheiden, ob die Regeln ausreichen. Sollte dem nicht so sein, will sie Alternativen vorschlagen – darunter eine mögliche Ausweitung des Provisionsverbots.
Finanzvertriebe sehen Maßnahmenpaket kritisch
Kritik am partiellen Provisionsverbot hagelt es wenig verwunderlich von den Verbänden der europäischen Finanz- und Versicherungsbranche. Es könne den Zugang der Verbraucher zu Finanzprodukten massiv beeinträchtigen, heißt es in einem Statement. Die neuen Regeln würden den Fokus auf die Kosten legen und dabei sonstige Kundeninteressen aus dem Blick verlieren. Außerdem seien die neuen Anforderungen zu aufwendig und die vorgeschlagenen Fristen zur Umsetzung nicht praktikabel. Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung, schließt sich dem an: „Viele der vorgesehenen Regularien bringen weder den Anlegern noch dem EU-Kapitalmarkt irgendeinen Nutzen“, sagt er.
Verbraucherschützer sind ebenfalls unzufrieden. Dorothea Mohn, Leiterin Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), hält die Pläne für unzureichend. Der Verband hatte sich ein komplettes Provisionsverbot gewünscht. „Dass Provisionen zu Falschberatungen und schlechten Finanzanlageprodukten führen, hat die EU-Kommission selber festgestellt. Trotzdem reguliert sie um das Problem herum“, kritisiert Mohn. Die Beratung müsse sich stärker am Bedarf der Verbraucherinnen und Verbraucher orientieren. Das funktioniere nur, wenn die Beratungen direkt vergütet werden – wie es bei einer Honorarberatung der Fall ist. „Nur ein Provisionsverbot würde das Problem an der Wurzel packen“, fordert die Verbraucherschützerin.