Die chinesische Regierung will Chinas Wachstumsmotor wieder zum Laufen bringen: Das Politbüro kündigte zum Wochenstart umfassende Konjunkturmaßnahmen an. Die Geldpolitik solle „umsichtiger“, die Währung stabiler und die Binnennachfrage stärker werden. Für letzteres plant Peking umfassende Steuer- und Abgabensenkungen, etwa günstigere Steuern für den Kauf von Elektroautos. Der private Sektor soll eine eigene Investitionspolitik erhalten und mehr Finanzmittel in Bereiche wie Energie, Infrastruktur, und Landwirtschaft lenken.
Die Maßnahmen kommen zur rechten Zeit, fiel doch Chinas Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal deutlich niedriger aus, als befürchtet. Mit 6,3 Prozent blieb es rund einen Prozentpunkt unter der Markterwartung von 7,3 Prozent. Im Juni stagnierte zudem die Inflationsrate und verharrte bei null Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Inflation sank damit auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Sollte der Verbraucherpreisindex unter null Prozent fallen, steckt die Wirtschaft technisch gesehen in einer Deflation. Die Abwärtsspirale aus sinkenden Umsätzen, Löhnen, Konsumausgaben sowie ausbleibenden Investitionen würde die Wirtschaft weiter belasten und eine etwaige Rezession verschärfen.
Ganz so weit ist es allerdings noch nicht. „Chinas Regierung scheint die Wirtschaft wieder zunehmend in den Fokus zu rücken“, sagt Pramol Dhawan, Emerging-Markets-Portfoliomanager bei PIMCO zu dem Maßnahmenpaket. „Historisch gesehen wurden Chinas Konjunkturzyklen größtenteils politisch gesteuert, und wir erwarten in den kommenden Monaten einen starken Wiederanstieg des Wachstums.“ Pimco prognostiziere für 2023 ein Wachstum von etwa 5,5 Prozent und liegt damit etwas über der Schätzung des Internationalen Währungsfonds. Dieser hatte für das laufende Jahr ein Plus von 5,2 Prozent vorausgesagt.
Andere Analysten sind kritischer: „Die Maßnahmen werden das Problem nicht komplett lösen können, sondern lediglich eine Unterstützung darstellen“, sagt Salah Eddine-Bouhmidi, Head of Markets beim Broker IG Europe, und fordert: „Das Problem müsste an der Wurzel angepackt werden.“ Die chinesische Wirtschaft leide noch immer unter den Folgen jahrzehntelanger Fehlinvestitionen, einer gescheiterten Bevölkerungspolitik und der extremen Unternehmensverschuldung. Hinzu kämen die Folgen des kompletten Shutdowns der chinesischen Wirtschaft im Zuge der Bekämpfung des Coronavirus. „Kurzfristige Stimuli werden nicht ausreichen, um diese Probleme zu überkommen, zumal die Nachfrage aus dem Ausland nach wie vor stockt“, sagt der Stratege.
Goldene Zeiten beim Golden Dragon Index
Bei Anlegern sorgt das angekündigte Konjunkturpaket für Kurssprünge. Der Golden Dragon China Index, der die größten in den USA gelisteten chinesischen Unternehmen abbildet, legte am Montag bis Börsenschluss um 4,27 Prozent zu. Dienstag und Mittwoch waren weitere 0,34 respektive 2,82 Prozent drin.
Zu den Profiteuern zählte beispielsweise die chinesische Suchmaschine Baidu. Das Google-Pendant legte am Montag mehr als fünf Prozent zu. Auch mehrere Elektroautohersteller machten angesichts der versprochenen Subventionen Kurssprünge. So verbuchte Xpeng erst am Montag knapp zehn Prozent Plus und dann am Mittwoch weitere 27 Prozent, nachdem bekannt wurde, dass Volkswagen beim chinesischen Konkurrenten einsteigt.
Eddine-Bouhmidi zufolge könnte der Optimismus der China-Aktionäre verfrüht sein: „Verglichen mit ihren Allzeithochs handeln viele chinesische Titel noch immer mit einem deutlichen Abschlag. Daran wird sich wahrscheinlich auch so schnell nichts ändern“, sagt er. Laut dem IG-Europe-Strategen werden China-Aktien vorerst volatiler bleiben als europäischen oder US-amerikanischen Märkte. Grund dafür seien neben Rezessions- und Zinssorgen die anhaltenden geopolitischen Risiken im Konflikt mit den USA.