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Börsen Aktienmärkte - der beschwerliche Weg nach oben

Aktienhändler in New York: Profiinvestoren trauen dem Aufschwung an den Märkten nicht
Aktienhändler in New York: Profiinvestoren trauen dem Aufschwung an den Märkten nicht
© IMAGO / Xinhua
Viele Privatanleger investierten im Corona-Crash – Profis dagegen nicht. War das voreilig? Immer mehr Ökonomen warnen, der Weg aus der Corona-Krise wird langwierig sein. Die Hoffnung, die Märkte hätten schon das Schlimmste überstanden, könnte also trügen

Widersprüche gehören zum Leben dazu, und offenbar auch zum Leben der Börsianer. Oft denken und sagen wir das Eine – tun aber genau das Entgegengesetzte. So ist es derzeit bei den großen Managern der Fondsbranche: Die nämlich empfinden die Aktienkurse dieser Tage bereits wieder als viel zu hoch. Und sie sagen das auch genau so. Wer will kann es in der monatlichen Umfrage der Bank of America (BoA) nachlesen. Demnach empfinden 78 Prozent der Manager die Kurse als zu hoch. Damit bestätigen sie genau den Eindruck, den zuletzt viele Privatinvestoren und Marktbeobachter hatten, die ungläubig fragten: Ist es wirklich gerechtfertigt, dass die Kurse schon wieder so stark steigen, obwohl die Wirtschaft noch mit der schwersten Rezession seit Menschengedenken ringt?

Nein, ist es eigentlich nicht. Es ist lediglich gut zu erklären: Denn obwohl die Fondsmanager mehrheitlich finden, dass Aktien derzeit ziemlich überbewertet sind, so steigen sie dennoch selbst immer stärker wieder in diesen Markt ein. Und treiben damit die Kurse weiter.

Belegen lässt sich das anhand der Cashquoten, die institutionelle Investoren zurzeit halten. Die ist nämlich laut BoA-Monatsumfrage um einen Prozentpunkt gesunken von knapp 6 auf 5 Prozent. Nun klingt das nicht viel, doch dahinter stecken hunderte von Milliarden Dollar. Insgesamt nämlich belaufe sich die Bargeldreserve der Profianleger aktuell auf rund 4,6 Billionen Dollar, beziffern Analysten. So viel Geld lag zuletzt – nach dem großen Marktabsturz im März – ungenutzt an der Seitenauslinie herum und wartete darauf, wieder irgendwann investiert zu werden.

Nur ... wann ist irgendwann? Wann wäre also der richtige Zeitpunkt dafür? Die allermeisten Fondsmanager sahen ihn noch nicht gekommen angesichts der unsicheren Wirtschafts- und Corona-Gefährdungslage. Deshalb hielten sie ihr Pulver lieber trocken.

Privatanleger zeigten sich mutig

inzwischen machten ihnen aber die Privatanleger einen Strich durch die Rechnung, denn die investierten ziemlich unverdrossen. Gerade in den Tagen, in denen die Kurse an den Weltbörsen wie ein Stein zu Boden fielen, schichteten Privatsparer ihr Geld in den Markt. Und sie eröffneten sogar massenhaft neue Depots in den Chaostagen, um die Chance zu nutzen, die der Blitzcrash bot. Man muss das eigentlich als Erfolg feiern. Schließlich warfen Verhaltensökonomen den Kleinanlegern jahrelang vor, sich immer genau dann ängstlich aus dem Markt zurückzuziehen, wenn die Kurse ihnen Einstiegsgelegenheiten boten. Wenn Indizes also weit unter das bisher gekannte Niveau herabsanken und damit gerade Langfristanlegern wieder einen günstigen Zukauf von Anteilen erlaubten. Diesmal haben Anleger den Absturz dagegen sehr clever genutzt, oder?

Aus Sicht von heute hat jedenfalls jeder, der bei einem Dax-Punktestand von 10.000 oder 11.000 kaufte, neue Aktien und Fondsanteile zu einem satten Discount bekommen. Denn im März stand der deutsche Leitindex noch bei fast 13.000 Punkten und auch jetzt ist er wieder über die 12.000-Punkte-Marke geklettert. So gesehen hat man also rund 20 Prozent beim Einstandspreis gespart. Geht man davon aus, dass der Dax weiter steigt und irgendwann seinen alten Rekord einstellt, so war der Kauf zu diesem Zeitpunkt extrem clever. Vorausgesetzt die Anleger schaffen es, auch dann an den neuen Anteilen festzuhalten, wenn die Börsen demnächst noch einmal kräftig fallen. Was gut passieren könnte.


DAX Index


DAX Index Chart
Kursanbieter: L&S RT

Dass es passieren wird, damit rechnet offensichtlich die Mehrheit der Fondsmanager: Nicht einmal jeder Fünfte von ihnen glaubt, dass es eine schnelle V-förmige Erholung geben wird. Die meisten gehen von einem zähen und mühsamen Wiederaufstieg der Wirtschaft und der Finanzmärkte aus, bis die alten Vor-Corona-Niveaus wieder erreicht werden. Denn sonst hätten die Profis ja ebenfalls längst wieder investiert. Es kommt schließlich ziemlich selten vor, dass ausgerechnet Privatanleger einen beginnenden Boom befeuern und damit den richtigen Riecher beweisen – während die Profianleger ihnen und den steigenden Kursen nur hinterherhecheln. Genau genommen kam es seit Marktbeobachtergedenken wohl überhaupt noch nicht vor.

Profiinvestoren tätigen „Pain Trades“

Wenigstens ein bisschen Skepsis scheint also angebracht, wenn es um die Frage geht, wer ganz am Ende als Sieger aus dieser Krise hervorgehen wird. Dennoch hat der Optmismus der Privatanleger bereits eines bewirkt: Er hat die Kurse seit Ende März derart steigen lassen, dass sich die Fondsmanager nun gezwungen sehen, dennoch in den Markt zu gehen – obwohl sie die Kurse für überzogen und zu teuer halten. Sie kaufen also gegen ihre Überzeugung. Schließlich sagt mehr als jeder Zweite von ihnen, die aktuelle Erholung sei nur eine Bärenmarktrally – also ein zwischenzeitliches Wiederaufbäumen im weiteren Abschwung. Und sie kaufen, weil sie es sich nicht leisten können, nicht dabei zu sein, falls es doch eine Bullenrally sein sollte. Falls es also ohne zweite Delle schnurstracks weiter bergauf gehen sollte. Sie tätigten „Pain Trades“, so nennen die Börsianer solche erzwungenen Käufe selbst.

Genau das macht die derzeitige Erholung zu einer gehassten Rally. Es geht bergauf, obwohl die Profis eigentlich mit dem Gegenteil rechneten. Die Stimmung der Marktbeteiligten ist jedenfalls insgesamt noch immer eher negativ, wenn man dem Euwax-Sentimentindex glauben darf . Der Index steckt zurzeit deutlich im negativen Bereich, so tief wie zuletzt im Herbst 2019 als die Kurse rutschten. Er steht zurzeit bei rund minus 15 bis minus 20 Punkten, das bedeutet: Die allermeisten Anleger wetten auf fallende Kurse und eben nicht darauf, dass der Markt weiter steigt. Sehr viel stärker sinkt dieser Index kaum. Zwar schwankt er täglich sehr stark und kann schnell wieder drehen, doch richtige Marktzuversicht sieht anders aus.

Die jüngsten Wirtschaftsdaten und Notenbankaussagen gaben auch wenig Anlass dazu und dann kamen noch die Meldungen aus Peking, wonach die Corona-Pandemie dort wieder lokal aufgeflammt ist. Inzwischen betont die chinesische Regierung zwar, der Ausbruch sei unter Kontrolle, doch führten die vielen Neuinfizierten der Welt vor Augen, dass die Krise eben noch längst nicht überwunden ist. Das Coronavirus ist noch nicht besiegt. Und mit einem neuen Ausbruch muss im Grunde überall gerechnet werden, solange es keinen Impfstoff gibt. Das schärft das Bewusstsein dafür, wie fragil die derzeitige Erholung ist.

Der Fahrstuhl und die Treppe

So sehen es auch führende Ökonomen und Notenbanken: Die amerikanische Zentralbank Fed warnte noch zu Wochenbeginn vor der großen Unsicherheit an den Märkten. Sie werde dazu führen, dass die Erholung sehr schleppend verlaufe und Rückschläge erleiden könne. Die Fed fand dafür ein sehr treffendes Bild: Im März seien Weltwirtschaft und Märkte mit dem Fahrstuhl abwärts gerauscht. Nun gehe es zwar aufwärts, doch die Ökonomie nehme nun die Treppe, um wieder auf ihr altes Stockwerk zu gelangen.

Auch der Präsident des Ifo Instituts Clemens Fuest drückte deutlich auf die Bremse bei der Jahresversammlung am Donnerstag: Der Geschäftsklimaindex sei in der Krise so tief und so plötzlich gefallen wie noch nie. Je nach Branche sagte ein Drittel bis ein Fünftel der Unternehmen, sie kämen in Schwierigkeiten, wenn Lockdown und Umsatzeinbrüche länger als drei Monate anhielten. Nun wird der Lockdown zwar sukzessive wieder aufgehoben, doch die Umsatzeinbußen fürs Gesamtjahr beziffern die Firmen selbst auf rund 20 Prozent. Ein Fünftel ihrer Erträge bricht ihnen also weg. „Das ist eine historisch einmalige Zahl“, sagt Fuest, „wir sehen einen Einbruch in einer völlig neuen Dimension.“ Dazu kommt die historisch hohe Zahl an Kurzarbeitern, die vor allem die Einkommen der privaten Haushalte schmälert. Diese Krise sei „ganz anders als alles, was wir in der Bundesrepublik jemals an Schwierigkeiten hatten.“

Dazu kommt: Die Regierungen haben zwar riesige Konjunkturpakete geschnürt, um den Fall der Wirtschaft abzufedern, doch allmählich schwindet ihr Stabilisierungspotenzial. Weil mit jedem ausgegebenen Euro ihre Verschuldung noch höher wird als sie es ohnehin schon ist. Das macht die Staaten zusehends manövrierunfähiger. Die Verschuldung von Regierungen und Privathaushalten hemmt somit die Erholung. Zudem fällt diesmal China als antreibender Faktor weg. In der Finanzkrise hatte die Volksrepublik mit ihrer Nachfrage noch die schwächelnde restliche Weltwirtschaft am Laufen gehalten. Jetzt ist China selbst stark betroffen.

Deshalb könnte sich die Corona-Krise am Ende als tiefgreifender herausstellen als es die Finanzkrise war. Die Erwartungen der Firmen jedenfalls seien derzeit „sehr negativ“, bei den kleineren Unternehmen sogar noch viel stärker als bei den großen. „Und man darf sich nichts vormachen“, sagt Fuest, „Erwartungen beeinflussen doch recht stark den Konjunkturverlauf.“ Und auch die Aktienmärkte.

Anleger brauchen einen langen Atem

Nicht alle Ökonomen malen zwar ein so düsteres Bild , aber auch die Prognosen der OECD gehen von einem Wachstumsschwund von zehn Prozent aus – falls die schlimmsten Auswirkungen der Pandemie überstanden wären. Gäbe es eine zweite Infektionswelle, könnte das globale Wachstum sogar um 15 Prozent zurückgehen. Der Internationale Währungsfonds will seine bisherige Prognose bald auch nach unten anpassen. Er warnte ohnehin, die Börsen seien zu optimistisch und daher korrekturbedürftig. Und dieser Tage zitierte auch Chefökonom Joachim Fels von Pimco das Treppenbild der Fed: Der Wiederaufstieg werde länger dauern, weil viele Unternehmen ihre Kraft noch gar nicht voll ausspielen können. Zum einen wegen der Abstandsregeln, die allerorten die Kapazitäten begrenzen. Zum anderen weil Lieferketten noch länger gestört blieben. Die Regierungsmaßnahmen dagegen führten dazu, dass auch Zombiefirmen künstlich am Leben gehalten würden, die im freien Markt der kreativen Zerstörung weichen müssten.

Zu all dem passen die hohen Kurs-Buchwert-Verhältnisse nicht, die der Markt bereits jetzt wieder sieht: Sie lagen noch im März auf dem Rezessionswert von 1,0. Inzwischen aber liegen sie im Schnitt wieder bei 1,50, das ist verdammt nah am längerfristigen Durchschnitt von 1,57. Den freilich erreicht die Wirtschaft üblicherweise in Normaljahren. Nicht am Scheitelpunkt der schwersten Krisen, die sie je getroffen haben.

Welche Schlüsse Privatanleger aus all dem ziehen, müssen sie nun überlegen. Eines ist klar: Wer jüngst anlegte, um damit längerfristig auf Aktien und Fonds zu setzen und wer sein Geld über 15 oder 20 Jahre vermehren will, der hat wirklich zum cleveren Zeitpunkt eingekauft. Der sollte seine Papiere halten, auch wenn demnächst die verheerenden Zahlen des zweiten Quartals durch die Medien schwappen.

Wer aber jüngst nur kaufte, um den schnellen Gewinn mitzunehmen – und sich jetzt ins Fäustchen lacht, weil er sich klüger fühlt als viele Fondsmanager, der sollte sicher sein, dass er gute Nerven hat. Denn es könnte sein, dass auch er im Herbst das Gefühl von Schmerzen im Zusammenhang mit seinen Trades verspüren wird, Pain Trades mal anders sozusagen. Dann nämlich, wenn der Markt noch einmal Tiefststände auslotet, wenn Aktien wieder viel billiger zu haben sind. Und wenn ihm dann das Geld zum Nachkaufen fehlt.

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