Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Das Leben ist oft paradox: Immer wenn man denkt, eine Lektion gelernt zu haben und jetzt zu wissen, wie der Laden läuft, passiert als nächstes genau das Gegenteil. Eben das, womit nun gerade nicht zu rechnen war. Auch – und vor allem – an den Finanzmärkten. Dieser Tage jedenfalls rieben sich viele Anleger verwundert die Augen angesichts der Meldungen, die von den weltgrößten Vermögensverwaltern kamen. Sie lassen sich vereinfacht so zusammenfassen: Hände weg von Aktien! Kauft lieber Anleihen, zumindest in nächster Zeit. Mit dieser Aussage machten die Analysteneinschätzungen denn auch die Runde auf zahlreichen Plattformen und Börsenseiten. Unweigerlich stutzt man, denn das erscheint als radikale Wende.
Haben wir nicht nach Jahren der Niedrigzinsphase endlich schmerzhaft gelernt, dass Anleihen gerade keine Alternative mehr sind? Weil deren Renditen ins Bodenlose gesunken sind und dort bisher auch keine Anstalten machen, sich wieder zu berappeln? Erzählen uns nicht Marktbeobachter, Finanzberater und sämtliche Anlagestatistiken fast mantramäßig, dass langfristig kein Weg an Aktien vorbeiführt, wenn Anleger überhaupt noch Rendite erzielen wollen? Woher also kommt dieser radikale Wandel?
Es ist wie immer bei Paradoxien: Bei genauerem Hinschauen lösen sich die Widersprüche auf und es ergibt sich ein stimmigeres Bild. Die Aussage ist nämlich gar nicht so paradox, wie sie scheint. Zunächst einmal zu den Aktien: Ja, es stimmt, viele Großinvestoren sind inzwischen ins Lager der Skeptiker übergeschwenkt. Zumindest die „großen Drei“, die auf den Weltmärkten die größten Geldsummen bewegen. Zuerst haben JP Morgan und Goldman Sachs deutlich warnende Töne angeschlagen, nun auch noch Blackrock. Ihr Tenor ist: Aktien sind derzeit überbewertet. Die Kursstände an den internationalen Börsen sind zu hoch und eine Korrektur scheint mehr und mehr wahrscheinlich. Blackrock bezeichnet die globalen Aktienmärkte in seinem aktuellen Marktausblick als besonders „verwundbar“ und mahnt zu einer „Zeit der Vorsicht“. Bei Goldman Sachs hieß es recht eindringlich, es gebe in den kommenden zwölf Monaten keinen besonderen Grund, Aktien zu besitzen.
Aktien auf neutral
Worauf stützen die Vermögensverwalter das? Sie verweisen darauf, dass die Bewertungen von Aktien derzeit so hoch sind wie selten. Der globale Index MSCI World hat seit Februar um rund 15 Prozent zugelegt, das ist enorm. Doch eine nachhaltige Erholung des Wachstums sei derzeit nicht in Sicht. Im Klartext: Die Gewinne werden in naher Zukunft nicht sehr hoch ausfallen. Jedenfalls nicht so hoch, dass die hohen Kurse weiterhin gerechtfertigt wären. Gerade US-Aktien bewegten sich zurzeit im historischen Vergleich auf einem Niveau von rund 70 Prozent ihres maximalen Wertes. Das bedeutet: Höher als jetzt stehen sie nur ganz selten – die Wahrscheinlichkeit, dass es demnächst bergab geht, ist also groß. Deshalb hat Blackrock die US-amerikanischen und europäischen Aktien herabgestuft auf das Niveau „neutral“. Goldman setzt Aktien ebenfalls auf „neutral“ und verweist darauf, dass die Bewertungen für Anleihen längst nicht so überzogen scheinen, weswegen man sie im Depot übergewichten solle. So weit, so deutlich.
Längst nicht so klar ist dagegen, was Anleger aus diesen Aussagen ableiten sollten. Ist das nun wirklich der Aufruf: Verkauft Eure Aktien und kauft lieber Anleihen? Nein, das ist es nicht, vor allem nicht für langfristig denkende Privatinvestoren. Und es gilt auch nicht für deutsche Kurzfristanleger. Aus folgenden Gründen:
Erstens bedeutet die Einstufung auf „neutral“ nicht, dass die Investmenthäuser meinen, man müsse sich jetzt sofort von allen Aktien-Beständen trennen. Denn sonst hätten sie Aktien ja auf „verkaufen“ gesetzt. Im Analystensprech gibt es die drei Kategorien „kaufen“, „verkaufen“ und eben „neutral“. Wobei Letzteres heißt, es scheint momentan nicht ratsam, noch größere zusätzliche Bestände aufzubauen und neue Papiere hinzuzukaufen, weil die Preise sehr hoch sind. Neutral bedeutet aber auch: Was man hat, sollte vorerst gehalten werden. Das gilt besonders für Langfristanleger, die Aktien zum Vermögensaufbau nutzen, und es gilt für Fondssparer. Für sie gilt also die Losung: weitermachen!
Wer eher kurzfristig denkt und das Anlagegeld in nächster Zeit womöglich braucht – für eine andere Anschaffung oder für den Ruhestand -, der sollte aber tatsächlich darüber nachdenken, einen Teil der jüngsten Kursgewinne zu „realisieren“ wie es so schön heißt. Er könnte also jetzt einen Teil seiner Aktien verkaufen, sofern sie im Vergleich zum Anschaffungspreis zurzeit deutlich im Plus notieren. Tun sie das nicht, weil er beispielsweise genau vor einem Jahr einige Indexpapiere auf den Dax gekauft hat, als der deutsche Leitindex noch bei 11.400 Punkten stand, dann ist die Entscheidung schwerer.
Das dürfte aber auch der heikelste Fall sein: Momentan notiert der Dax bei rund 10.200 Punkten, das ist ein Abschlag von 1200 Punkten, immerhin zehn Prozent. Im Vergleich zu Höchststand von April 2015 würde man mit einem Verkauf jetzt sogar gut 2000 Punkte verlieren, also etwa 17,5 Prozent. Das ist enorm viel. Braucht man das Geld daher nicht allzu dringend, lohnt sich eher das Warten - wenn man das kann. Wer also notfalls auch eine Schwächephase von zwei oder besser drei Jahren durchstehen kann, der sollte besser warten, als jetzt voreilig zu verkaufen. Denn viel länger dauerte es zumindest bei den vergangenen Börsenabstürzen nicht, bis sich die Kurse wieder nachhaltig erholt hatten und zu ihrem ursprünglichen Niveau zurückfanden.
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Zweitens ist die wichtige Frage: Für welche Papiere gilt die Warnung überhaupt, sie seien überbewertet? Für amerikanische Aktien ohne Frage, das besagen Indikatoren wie das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) und auch das langfristige KGV nach Shiller. Beide Kennzahlen liegen weit über dem langjährigen Durchschnitt. Auch der Vergleich zwischen dem Gesamtbörsenwert aller S&P-500-Firmen und dem Bruttoinlandsprodukt fällt in den USA bedenklich aus. Üblicherweise sind die größten Aktiengesellschaften zusammen knapp so viel wert wie zwei Drittel des BIP, also 0,6. Aktuell liegt ihr Wert bei etwa 1,2. Die Aktien der USA, Japans und der MSCI World liegen derzeit gemessen am Shiller-KGV weit über ihren historischen Durchschnitten. Für deutsche Aktien aber gilt das nicht. Sie sind im Verhältnis noch leicht unterdurchschnittlich bewertet. Ebenso wie der europäische Aktienindex. Stark unterbewertet sind dagegen die Aktien der Emerging Markets. Bei solchen Papieren gilt also auch eher das Halte-Gebot.
Investoren greifen zu Hochzinsanleihen
Nun zur Frage der Anleihen: Wenn die Investmenthäuser sagen, Investoren sollten jetzt lieber auf Anleihen setzen, dann meinen sie damit keinesfalls Staatsanleihen. An den kaum existenten Umlaufrenditen von Bundeswertpapieren von derzeit 0,03 bis 0,05 Prozent wird sich demnächst wohl wenig ändern. Auch der Bereich der klassischen Unternehmensanleihen ist nicht gemeint, denn er gilt renditemäßig als erschöpft. Wenn künftig auch noch die Europäische Zentralbank in diesen Markt eingreift, werden vermutlich zwar die Kurse steigen, wovon Privatanleger aber kaum profitieren. Denn für sie lohnen sich Anleihen wegen der hohen Kaufkosten nur, wenn sie die Papiere auch bis zur Fälligkeit halten. Dagegen werden die staatlichen Stützungskäufe die Renditen bloß noch mehr drücken.
Welche Anleihen sind also gemeint? Die Hochzinsanleihen, so genannte High-Yield- oder Junk-Bonds. Das sind Papiere von Unternehmen mit niedriger Bonität, die aber hohe Zinsen zahlen. Solche Anleihen sollten Investoren in den kommenden drei bis zwölf Monaten im Depot „übergewichten“, empfehlen die Analysten, also ruhig häufiger kaufen als bisher. Schließlich sind sie eine der seltenen Möglichkeiten, noch Renditen von deutlich über vier Prozent zu erzielen. Ganz unbedenklich ist diese Empfehlung jedoch nicht, gerade für Privatanleger.
Bereits in den vergangenen Jahren haben Hochzins-Bonds einen geradezu reißenden Absatz gefunden, weil viele Investoren angesichts der sonstigen Minirenditen zu solchen Papieren greifen. Das hat den Markt gewaltig aufgebläht und viel frisches Kapital hineingespült: Ihr Emissionsvolumen hat sich allein in den USA seit 2007 fast verdoppelt. Weltweit wurden zuletzt Papiere im Wert von rund 1,7 Billionen Dollar ausgegeben, im Jahr 1990 war es nicht einmal ein Zehntel dessen. Inzwischen sind bereits 40 Prozent aller Unternehmensanleihen Hochzinsanleihen. Klingt, als wäre eine Menge Rendite drin.
Hohe Rendite, hohes Risiko
Doch das Risiko ist dabei auch nicht zu verachten. Früher war der Markt noch voller „gefallener Engel“, er bestand also vorwiegend aus Unternehmen, die ihre gute Bonität aus welchen Gründen auch immer verloren hatten. Heute dagegen gibt es immer mehr Neuemissionen, bei denen sich extrem finanzschwache Firmen Geld von Anlegern besorgen, weil sie von Banken gar keine Kredite erhalten würden. Zudem ist eine Branche extrem stark repräsentiert: die Energiebranche und die Fracking-Unternehmen, denen die dauerhaft niedrigen Ölpreise noch stark zu schaffen machen könnten. Bei einigen von ihnen ist wahrscheinlich, dass sie langfristig nicht überleben werden, sagen Branchenanalysten.
Zwar sagen die Experten auch, dass die Fundamentaldaten vieler Hochzins-Emittenten seit 2007 gut aussehen. Die Bilanzen seien solider und die Schuldenstände niedriger geworden. Aber: Die Jahre seit 2007 waren auch Boomjahre. Wenn demnächst tatsächlich der Abschwung kommt – was viele erwarten – dann wird er erst recht die High-Yield-Bond-Unternehmen treffen. Bei vielen Unternehmen dieses Bereichs gehen schon jetzt die Gewinne vor Steuern und Abschreibungen zurück. Noch beträgt die Ausfallrate bei solchen Anleihen rund zwei Prozent, doch sie wird steigen.
Ein klarer „Kauf“ sind solche Anleihen also beileibe nicht. Schon gar nicht als blinder Ersatz für Aktien. und erst recht nicht, wenn sie zwar hohe Zinsen zahlen, aber nur ein CCC Rating haben. Dann raten Analysten: Hände weg! Hier wiegt da Risiko die Rendite nicht auf. Allerdings kann ein kleinerer Anteil besserer Hochzinspapiere sehr wohl für einen Renditekick im Depot sorgen. Wer daher mit Bedacht vorgeht und sein Risiko breit streut, der kann sich ruhig solche Wagnispapiere anschaffen, die ein BB+ oder Ba1-Rating tragen. Am besten geht das in Form eines Indexfonds, der auf den Index europäischer Hochzinsanleihen setzt, auf den HE00-Index. Im Schnitt wirft er derzeit 4,4 Prozent ab. Auf Fünfjahressicht lag seine Performance zuletzt sogar bei 6,38 Prozent. Der amerikanische H0A0-Index kann zwar noch ein wenig mehr – er schafft rund 7,5 Prozent – doch er gilt vielen als zu gewagt. Denn im Schnitt haben die Unternehmen darin ein schlechteres Rating und ihre Anleihen laufen noch deutlich länger als diejenigen im europäischen Index. Zudem ist der Energiesektor im amerikanischen Index deutlich überrepräsentiert.
Eines sollte Anlegern aber bewusst sein: Hochzinsanleihen sind sehr spekulative Papiere und ihre Kurse schwanken extrem stark. In der Finanzkrise fielen sie um 30 Prozent. Muss man sie ausgerechnet dann verkaufen, macht das auch jede Rendite zunichte. Klingt paradox aber: Eigentlich kann man da auch weiter Aktien kaufen.
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